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# taz.de -- Freiheit der Forschung: Zehn tote Affen zu viel
> Das Primatenzentrum in Göttingen gilt als
> Vorzeige-Tierversuchseinrichtung. Trotzdem muss jetzt die
> Staatsanwaltschaft ermitteln.
Bild: Weißbüscheläffchen ähneln Schopenhauer, spielen in der Wissenschaft a…
BREMEN taz | Wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz
ermittle die Staatsanwaltschaft Göttingen gegen das Deutsche
Primatenzentrum (DPZ), berichtet der NDR. Die Staatsanwaltschaft und das
Zentrum bestätigten dies der taz auf Nachfrage. „Wir haben bislang noch
keine Akteneinsicht bekommen“, sagte DPZ-Sprecherin Susanne Diederich. Man
wisse daher auch nicht, „wer Anzeige erstattet hat“.
Das ist in diesem Fall tatsächlich von besonderer Brisanz. Denn die
[1][hochrangige Forschungs- und Zuchteinrichtung] ist nicht von einer
Gruppe engagierter Tierrechtler*innen angeschwärzt worden. Die Ermittlungen
ins Rollen gebracht habe vielmehr die zuständige Aufsichtsbehörde,
informiert Oberstaatsanwalt Andreas Buick.
Seit seiner Gründung im Jahr 2001 kontrolliert das n[2][iedersächsische
Landesamt für Verbraucherschutz] (Laves) das DPZ. Es verfügt entsprechend
über die nötige Expertise, um die komplexe Dokumentation der Einrichtung zu
erfassen. Nun sei angesichts der Unterlagen festgestellt worden, dass einem
Tier eine Giftspritze verweigert wurde, das „in so schlechter Verfassung
aus einem Versuch kam, dass es hätte eingeschläfert werden müssen“,
erläutert Buick.
Außerdem sollen zehn Weißbüscheläffchen gesund und munter ein Experiment
überlebt haben und dann trotzdem eingeschläfert worden sein – ohne
vernünftigen Grund. „Das wäre ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz“, s…
Buick.
## Tierschutzbund nicht überrascht
Es sei „erfreulich, dass die niedersächsische Aufsicht hier so gewissenhaft
agiert“, kommentiert Stephanie Link, Fachreferentin Tierversuche vom
[3][Deutschen Tierschutzbund]. Die seriöse Quelle deute „darauf hin, dass
es eine gewisse Beweislast gibt“.
Wirklich überraschen könnten die Vorwürfe an die Adresse des
Vorzeige-Instituts aber nicht. „Es wäre nicht die erste vermeintliche
Elite-Einrichtung, bei der sich hinter der Fassade Missstände zeigen“,
erinnert Link an den Fall des Tübinger Max-Planck-Instituts.
Im Jahr 2017 hatte die Universität dort ihre Primatenversuche schließlich
eingestellt, nachdem Video-Aufnahmen von Misshandlungen der Tiere in den
Labors publik geworden waren. Überraschend sei höchstens, dass es zu
Ermittlungen komme, weil sonst „immer versucht wird, unter der Hand zu
beschwichtigen“, sagt Link.
Tatsächlich grämt man sich auch beim DPZ darüber, dass die Kontrollbehörde
mit der Anzeige „den in solchen Fällen üblichen Weg verlassen“, und statt
Zusatzinformationen anzufordern, die Staatsanwaltschaft alarmiert habe.
Bislang war die Zusammenarbeit mit der Kontrollbehörde offenbar stets
harmonisch verlaufen: Vergleichbare Ermittlungen habe es nach Kenntnis der
DPZ-Sprecherin Diederich bislang noch nie gegeben.
Man könne momentan auch wenig zum Fall sagen: „Wir wissen derzeit nicht, um
welchen Versuch es sich gehandelt haben soll.“ Die Tierart, die man
Presseberichten habe entnehmen müssen, helfe nicht weiter beim Eingrenzen.
Auf dem DPZ-Gelände leben 1.300 Primaten, und darunter sind laut Diederich
derzeit immerhin 350 Weißbüscheläffchen.
Die meisten davon sind Zuchttiere: Eine der wichtigsten Aufgaben des
Göttinger Zentrums ist es, sämtliche Einrichtungen in Deutschland, die an
Primaten forschen, mit Nachschub zu versorgen. Denn es ist in Europa
verboten, Affen für wissenschaftliche Zwecke der Wildnis zu entnehmen.
Die Art des Experiments ist von Belang, denn laut Diederich gibt es
„Versuche, bei denen das Tier aus wissenschaftlichen Gründen nach Abschluss
getötet werden muss, auch wenn sein Gesundheitszustand gut ist“. Das ist
zum Beispiel der Fall, wenn in der Hirnforschung durch die Schädeldecke
hindurch in einzelne Neuronen [4][Sonden eingelassen werden], um deren
elektrische Aktivität bei bestimmten Reizen zu messen. Dann nämlich muss
später dokumentiert werden, wo genau im Affenhirn die Elektrode eingelassen
war.
Solche Versuche werden meist, wie an der Uni Bremen, mit Makaken gemacht.
Auf Weißbüscheläffchen hingegen, deren Frisur der des Philosophen Arthur
Schopenhauer [5][ähnelt], greifen häufig Forscher*innen mit
infektiologischen und toxikologischen Fragestellungen zurück. Auch gelten
sie als geeignet für Impfstudien.
Bei denen sei es nötig, zu überprüfen, ob durch den Wirkstoff
beispielsweise „Organe Schäden genommen haben“, erläutert Diederich. Wenn
aber die Tötung der Tiere von vornherein geplant ist, stehe das „bereits im
Antrag drin.“ Sprich: Als Teil des Versuchsaufbaus gilt auch die Tötung des
Versuchstiers als vernünftig. Mit der Genehmigung des Experiments ist auch
sie genehmigt.
## Tötung war nicht geboten
„Das ist hier nicht der Fall gewesen“, stellt Oberstaatsanwalt Buick klar.
„Die Versuche hatten nichts mit Infektiologie zu tun und die Tötung war
nicht wissenschaftlich geboten.“ Mehr Details könnten derzeit nicht
verraten werden – sowohl aus datenschutzrechtlichen Gründen, als auch, um
die Ermittlungen nicht zu beeinträchtigen.
Am vergangenen Dienstag haben die Ermittler das Primatenzentrum durchsucht,
um Akten und Speichermedien sicherzustellen. Sie ermitteln derzeit gegen
eine Tierärztin in leitender Funktion und fünf festangestellte Mitarbeiter.
Versuche an Tiermodellen sind in Deutschland [6][genehmigungspflichtig].
Dafür werden sie pro forma von Tierversuchskommissionen kontrolliert. Um
dabei die Wissenschaftsfreiheit zu wahren, dürfen diese jedoch nur eine
sogenannte „qualifizierte Plausibilitätskontrolle“ durchführen.
Das [7][bedeutet], das Gremium muss das von den Antragsteller*innen
geschilderte Versuchs-Design auf unbillige Härten checken. Auch auf eine
Beanstandung des Experiments hin erfolgt aber in der Regel eine
Genehmigung.
Verbote, geplante Experimente durchzuführen, wie sie Bremen und Münster
verhängen wollten, sind von den Oberverwaltungsgerichten bislang stets
kassiert worden. Auch die Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel im
Grundgesetz hat daran nichts geändert.
14 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.dpz.eu/de/startseite.html
[2] https://www.laves.niedersachsen.de/startseite/
[3] https://www.tierschutzbund.de/
[4] /Der-Bremer-Streit-um-die-Makaken/!5172534/
[5] http://www.schopenhauers-kosmos.de/Affe
[6] https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html
[7] https://www.researchgate.net/publication/225895664_Der_lange_Weg_von_der_qu…
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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Tiere
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