# taz.de -- Deutscher Buchpreis: „Sehr hohes literarisches Niveau“ | |
> Hervorragend geschrieben, kühn gedacht: Die Jury hat die sechs Titel der | |
> Shortlist des Deutschen Buchpreises bekanntgegeben. | |
Bild: Da sind sie, die sechs Romane, die es auf die Shortlist geschafft haben | |
Eins ist sicher, eins ist klar: Schreiben können sie alle wunderbar, die | |
sechs AutorInnen auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Am Vorabend | |
der Frankfurter Buchmesse wird die Jury bekannt geben, wer den Preis | |
erhalten wird. Nur noch einmal wird sich die Jury vor dem 9. Oktober | |
treffen, und die Entscheidung werde „schwierig“, sagte Jurysprecherin Katja | |
Gasser. Den nun sechs ausgewählten Titeln bescheinigte sie „ein sehr hohes | |
literarisches Niveau“. | |
Darüber hinaus eine diese Bücher die „Sorge um Europa“, ergänzte Gasser, | |
als sei der Buchpreis eine Redaktionskonferenz oder die Documenta. Es wäre | |
ein gutes Zeichen gewesen, wenn sich die Jury jeder Relevanzbehauptung | |
verweigert hätte, zumal diese sicher nicht für ein Buch wie „Romeo oder | |
Julia“ von Gerhard Falkner zutrifft, dessen ungebrochene Punkattitüde | |
beinhaltet, sein Tun romantisch als „Sprachgefangenschaft“, also | |
existenziellen Vorgang zu begreifen: „Der Rausch, sich nach jahrelangen | |
Tagen und Nächten endlich einem Text gegenüberzusehen, dauerte bei mir nur | |
kurz“, lässt Falkner seinen Ich-Erzähler sagen. „Danach ernüchterte sich | |
das Schreiben zu einer Art von gehobenem Selbstmord. In der Literatur, was | |
nicht in jedem Falle mit dem Schreiben von Büchern zu verwechseln ist, hat | |
man lediglich die Gewissheit, so lange am Leben zu sein, wie man es bis zum | |
Ende des angefangenen Satzes schafft.“ Die Jury schreibt, bei Falkner sei | |
„jeder Satz aufs schärfste angespitzt“. | |
Auch über die KonkurrentInnen Falkners lässt sich sagen, dass ihnen Sprache | |
nicht bloß dazu dient, zu erzählen, sondern Vehikel ist, um Gedanken zu | |
Papier zu bringen, wobei sie die Schönheit der Satzbildung nie aus dem | |
Blick verlieren. Schreiben zeigt sich in diesen Texten als Praxis, in der | |
die unüberwindbare Distanz zwischen Ich und Welt mit Humor und | |
Stilbewusstsein angenommen wird. „Die Kieferninseln“ Marion Poschmanns | |
etwa werden zum Schauplatz eines literarischen Clashs zwischen den | |
Reisebeschreibungen des klassischen Dichters Bashō und dem „Complete Manual | |
of Suicide“. Allen Texten hat die Jury zu Recht auch „kühnes Denken“ | |
attestiert. | |
Franzobel liest die wahre Geschichte des Untergangs der Fregatte „Medusa“ | |
im Juli 1816 als deftig-rustikale Metapher auf den dünnen Firnis der | |
Zivilisation: „Wo es kein Brot gibt, gibt es kein Gesetz mehr.“ 147 | |
Menschen hatten sich auf ein Floß gerettet, 15 von ihnen überlebten. Thomas | |
Lehr lässt in „Schlafende Sonne“ ein ganzes deutsches Jahrhundert in einem | |
Tag implodieren, während die Verweise, Geschichten, Reflexionen | |
explodieren, bis der nackte Kaiser in Fraktur zu sprechen beginnt. | |
Robert Menasse widmet seinen Roman „Die Hauptstadt“ der Europäischen Union, | |
die dringend einer Imagepolitur bedarf. Das erzählerische Mosaik, das er | |
mit einiger Ironie erstrahlen lässt, bietet dem Pathos der Erkenntnis Raum, | |
dass Europa eine historische Errungenschaft ist. Zwischen den Welten und | |
„Außer sich“, so der Titel von Sasha Marianna Salzmanns Debütroman, sind | |
die Zwillinge Alissa und Anton, die im postsowjetischen Moskau aufwachsen, | |
bis es sie nach Westdeutschland verschlägt. | |
Die Jury hat eine gute Wahl getroffen. Freuen dürfen sich die | |
Schriftsteller, aber auch der Suhrkamp Verlag, der mit drei Titeln auf der | |
Liste vertreten ist. | |
12 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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