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# taz.de -- Franzobel über Ibizagate: „Der Österreicher neigt zur Niedertra…
> Autor Franzobel über seinen Roman „Rechtswalzer“, die fiktive und die
> faktische Lage nach dem Ibiza-Video und dem Austritt der FPÖ aus der
> Regierung.
Bild: Franzobel wurde als Schriftsteller bekannt, als er 1995 den Ingeborg-Bach…
taz am wochenende: Auf dem inzwischen berühmten Ibiza-Video ist der
mittlerweile als FPÖ-Chef und österreichischer Vizekanzler zurückgetretene
Heinz-Christian Strache bereit, den halben ORF, die Kronen Zeitung und
Österreichs Wasserreserven gegen illegale Parteispenden an eine
vermeintliche russische Oligarchin zu verkaufen. Bundespräsident Alexander
[1][Van der Bellen hat dann gesagt: „Wir Österreicher sind nicht so.“]
Armin Thurnher von der Wochenzeitung Falter widerspricht ihm. Viele seien
tatsächlich so. Wer hat recht?
Franzobel: Mein Roman „Rechtswalzer“ nimmt da doch einiges vielleicht
vorweg: die Korruption, den Nepotismus, den Ausverkauf des Landes, auch
wenn bei mir das Wasser an Saudi-Arabien verscherbelt wird. Die im Buch
geschilderte Korruption in einer fiktiven Gemeinde, Untergrutzenbach, hat
mir ein geschasster Gemeindesekretär geschildert. Und ich habe natürlich
schon viele Politiker privat erlebt, deswegen hat mich das Ibizagate nicht
wirklich überrascht. Die Verkommenheit mancher Volksvertreter in Österreich
ist nicht neu. Es gibt hier nur wenige Politiker, denen man keine Falle
stellen könnte. Ich denke etwa an Ernst Strasser, der als
ÖVP-EU-Abgeordneter einem vermeintlichen Lobbyisten für 50.000 Euro
versprochen hat, Gesetze durchzuboxen. Auch wenn man schaut, was
Ex-Politiker machen, von welchen Konzernen sie sich als Lobbyisten bezahlen
lassen, da zeigt sich eine haltungslose Unmoral, ein Verrat an den eigenen
Werten.
Also alle gleich und niederträchtig?
Der Österreicher neigt zur selbstgerechten Niedertracht. Es gibt integre
Personen wie Van der Bellen, dem man schwer eine Falle stellen könnte,
außer man entzieht ihm das Nikotin. Hier herrscht eine moralische
Verkommenheit, die man in Deutschland so nicht kennt. Ich glaube, die
Deutschen sind aufgrund ihrer Mentalität, ihres Protestantismus [2][und
ihres Umgangs mit der Geschichte integrer als wir.] Österreich ist da näher
am Balkan und an Südamerika. Bestechlichkeit ist eine menschliche Schwäche,
die nur in wenigen Ländern eingedämmt werden konnte, Österreich zählt da
nicht dazu.
Wenn man etwas Fantasie entwickelt: Was würde ÖVP-Chef und Kanzler
Sebastian Kurz in einer solchen Falle erzählen?
Sie wäre eine Bloßstellung seiner inhaltslosen Machtversessenheit, der
Ähnlichkeit seiner Kamarilla mit Haiders Buberl-Partie. Ich hätte mir
jedenfalls nicht gedacht, dass die Kurz-Regierung so schnell ins Schleudern
kommt. Bei aller inhaltlichen Fragwürdigkeit hatte sie eine höchst
wirkungsvolle Performance. Die Medien waren zur Hofberichterstattung
degradiert und haben brav mitgespielt.
Viele Leser*innen in Österreich haben [3][den Roman „Rechtswalzer“ als
prophetisches Werk gesehen.] Ist es Ihnen auch so gegangen, dass Sie
plötzlich Dinge sehen, die Sie vorher als Dystopie geschrieben haben?
Ja, schon durch die Äußerungen des – Gottlob ehemaligen – Innenministers,
der die Orbanisierung auf die Spitze getrieben hat. Dem ging es um die
Aufhebung des Rechtsstaats, wenn er die seit Montesquieu bestehende
Gewaltenteilung aushebeln wollte und sagte: „Das Recht hat der Politik zu
folgen, nicht umgekehrt.“ Sein Umgang mit Asylbewerbern und der Plan,
Flüchtlinge vorbeugend in Haft zu nehmen, da sind permanent provokant
Bezüge zur Terminologie des „Dritten Reiches“ hergestellt worden.
Unmittelbar vor seiner Abberufung hat er noch eine Verordnung erlassen, die
den Stundenlohn von Asylbewerbern auf 1,50 Euro begrenzt.
Kommt durch den schnellen Abgang der FPÖ-Minister die Diskussion über die
moralische Verkommenheit, die im Ibiza-Video zum Ausdruck kommt, zu kurz?
Die Österreicher sind vergessliche Menschen. Es kann sein, dass die
momentane Stimmung bei FPÖ-Wählern in ein „Jetzt erst recht“ umschlägt.
Dass man sich sagt: „Die haben uns eine Falle gestellt und vom Ausland
lassen wir uns nicht dreinreden.“ Die Leute, die nun in der FPÖ ans Ruder
kommen, werden sich distanzieren und mit den Verfehlungen ihrer Vorgänger
nichts zu tun haben wollen. Österreich ist verstaatlichte Unschuld voll
charmanter Niedertracht. Leute, die auf die moralische Verkommenheit
hinweisen, werden eher als Nestbeschmutzer verunglimpft.
Wir haben eine seltsame Zwei-Mann-Show der designierten neuen Parteichefs
und Ex-Minister Norbert Hofer und Herbert Kickl erlebt. doch wer
repräsentiert denn die FPÖ wirklich: der sanft auftretende, verbindliche
Norbert Hofer oder der rachsüchtige Herbert Kickl?
Hofer ist der Massentauglichere. Im österreichischen
Bundespräsidentschaftswahlkampf hat er mit seiner
Peter-Alexander-Ausstrahlung eine breite Wählerschicht angesprochen. Er
mimt den braven Schwiegersohn mit dem ideologischen Angebot eines
Billig-Supermarktes. Kickl ist gewiefter, strategischer, auch literarisch
interessanter: ein Rumpelstilzchen-Goebbels. Ich glaube aber nicht, dass
der eine breite Masse anspricht. Die will keine zu gescheiten Menschen. Er
ist eher das bösartige Mastermind im Hintergrund, ein Intrigant, der sich
geschmacklose, aber eingängige nationalistische Slogans ausdenkt.
Ist es noch denkbar, dass irgendeine Partei mit einer FPÖ, in der Kickl was
zu sagen hat, in die Koalition geht?
Der Drang zu den Futtertrögen macht in allen Parteien blind. Aber für mich
ist das momentan unvorstellbar.
Kurz gilt ja als strategischer Denker, der dieses Szenario sicher
vorausgeplant hat. Die Gesprächsbasis mit der SPÖ hat er aber in der
Vergangenheit mutwillig zerstört. Nun wird er sie ja vielleicht bald
brauchen?
In Kurzens absolutistischer Weltvorstellung braucht er keinen Partner. Da
ist er Alleinherrscher, Sonnenkönig und Heilsbringer. Das ist sein Mantra:
dass Österreich ohne ihn stillsteht und zerbricht.
Die Kulturszene in Österreich ist ja linksgrün geprägt. Was ist so schlimm
daran, wenn man, wie es die FPÖ getan hat, einen völkischen Maler wie Odin
Wiesinger in einen Kulturbeirat setzt, der ohnehin wenig zu reden hat?
Eine Demokratie muss vieles aushalten. Jede Partei darf entsenden, wen sie
will. Es ist nur ein äußerst bedenkliches Zeichen, wenn man einen
offensichtlichen Verehrer des Dritten Reiches, der Wehrmacht, der
Burschenschaften, einen nur mäßig talentierten Maler, der beinahe
pathologisch an allen Wiederbetätigungsparagrafen kratzt und das
Kunstverständnis eines hinterwäldlerischen Banausen hat, in eine
öffentliche Position setzt. Das ist eine bewusste Provokation der FPÖ zur
Ausweitung der eigenen Geschmacksverwirrung und zum Künstler-Bashing.
Straches größter Fehler, war es vielleicht, sich die Kronen Zeitung zum
Feind zu gemacht zu haben.
Die Krone ist ein Archipel der Stammtischmeinung und zugleich der wahre
Regent. Als Politiker hat man in Österreich keine Überlebenschance, wenn
man die Krone zum Feind hat. Das haben seinerzeit die Sozialdemokraten
Caspar Einem als Innenminister und Rudolf Scholten als Kulturminister zu
spüren bekommen. Sie wurden beide von der Krone abgeschossen. Eine Mischung
aus Prawda und Internetforum, in der die Welt so beschrieben wird, wie der
Krone-Leser glaubt, dass sie ist. Die Krone ist staatstragend subversiv,
dumpf progressiv, rassistisch, wehleidig, wütend – und vor allem
unberechenbar. Aber vielleicht hat sie nun mit den Machern des
Ibiza-Videos, denen ich einen Oscar gönne, ungeahnte Konkurrenz bekommen.
25 May 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Ralf Leonhard
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