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# taz.de -- Österreich nach dem Bruch der Koalition: Das Prinzip Kickl
> In Wien kann man beobachten, welchen Schaden rechtsextreme Politiker
> verursachen, wenn sie an die Macht kommen. Eine Rekonstruktion.
Bild: Der ehemalige österreichische Innenminister Herbert Kickl gilt als Proto…
Wien taz | Am 28. Februar 2018 klingeln Polizisten der Einsatzgruppe gegen
Straßenkriminalität an der Rennwegkaserne im dritten Wiener Gemeindebezirk.
Sie verlangen Einlass, durchsuchen Büros, packen Akten und Datenträger ein,
kopieren E-Mail-Verläufe. Es ist eine Razzia an einem ungewöhnlichen Ort.
Die Beamten ermitteln gegen Mitarbeiter des Bundesamtes für
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Eine Behörde filzt die andere.
Die Polizisten nehmen sich beim Verfassungsschutz auch das Referat
Extremismus vor, im Büro der Leiterin stapeln sich Papierunterlagen, 397
Seiten davon nehmen sie mit. Außerdem ein Kuvert mit 19 CDs, „aktuelle
Fälle – Beweismittel!!!“ vermerken die Ermittler auf dem
Sicherstellungsprotokoll. Auch die Smartphones der Referatsleiterin packen
sie ein, ihren Computer, USB-Sticks.
Als die Polizisten den Leiter der IT-Abteilung treffen, drücken sie ihn
gegen die Wand, durchsuchen ihn, nehmen ihm seine Armbanduhr ab, weil sie
wohl glauben, darin könnte ein Mechanismus versteckt sein, mit dem er Daten
per Fernbedienung löschen kann. In seiner Abteilung konfiszieren sie auch
eine unscheinbare Festplatte, sie ist unbeschriftet. Was die Ermittler zu
diesem Zeitpunkt nicht wissen: Darauf befindet sich die
Neptun-Kommunikation – hochsensible Daten, gesammelt und ausgetauscht von
europäischen Nachrichtendiensten. Dass diese Daten den österreichischen
Verfassungsschutz verlassen, löst eine europaweite Geheimdienstkrise aus.
Was wie ein Überfall wirkt, ist offiziell anberaumt von einer
Staatsanwaltschaft, genehmigt von einem Richter. Eigentlich aber, das
werden später Recherchen von Journalisten, Gerichten und einem
parlamentarischen Untersuchungsausschuss zeigen, stehen hinter der Razzia
zwei Männer. Der eine heißt Peter Goldgruber, ein Polizist und Jurist, nun
hoher Beamter im Innenministerium. Der andere heißt Herbert Kickl, der
Innenminister. Einer der wichtigsten Männer der Freiheitlichen Partei
Österreichs (FPÖ).
[1][Nachdem Freitag vor einer Woche der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung
ein Video veröffentlichten,] auf dem zu sehen war, wie der
FPÖ-Parteivorsitzende Heinz-Christian Strache und der FPÖ-Fraktionschef
Johann Gudenus in einer Villa auf Ibiza im Juli 2017 Wodka-Red-Bull tranken
und einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte lukrative
Staatsaufträge versprachen, erklärten die beiden Politiker schnell ihre
Rücktritte. Danach hing die Frage, ob die Österreichische Volkspartei ÖVP
und die FPÖ weiter koalieren, an der Personalie Kickl.
In den aufgezeichneten Gesprächen auf Ibiza ging es auch um möglicherweise
illegale Parteienfinanzierung. Strache sprach von Spenden besonders reicher
Österreicher an die FPÖ, die über einen Verein gelaufen sein sollen, um
ihre Herkunft zu verschleiern. Obwohl Kickl zum Zeitpunkt der Entstehung
des Videos FPÖ-Generalsekretär war, hätte er nun als Innenminister selbst
über die Ermittlungen zu diesen Spenden gewacht.
## Beschädigtes Vertrauen
Kickl wollte nicht von sich aus gehen, die FPÖ weigerte sich, ihn als
Verhandlungsmasse einzusetzen. Als der Bundespräsident auf Wunsch von
Bundeskanzler Sebastian Kurz ankündigte, [2][den Innenminister zu
entlassen, traten die verbliebenen FPÖ-Minister aus Empörung zurück.]
Was aber hat Kickl in seinen 18 Monaten im Amt gemacht, dass seine
Personalie so wichtig war? Und: Was bleibt zurück, wenn der Innenminister
einer rechtsextremen Partei abtritt, der von Gewaltenteilung nicht viel
hält und unter anderem mit dem Satz auffiel, dass das Recht der Politik zu
folgen habe und nicht die Politik dem Recht? Was muss der Nachfolger
reparieren?
Es gibt kein Ministerium in der jüngeren österreichischen Geschichte, in
dem die Umwälzungen und das politische Kalkül der Regierenden so
umfangreich dokumentiert sind, wie das beim Innenministerium unter Herbert
Kickl der Fall ist. Eine Reihe von Gerichtsverfahren beschäftigen sich mit
Kickls Einflussnahme. Nur ein Dreivierteljahr nach Beginn seiner Amtszeit
beschloss das österreichische Parlament, einen Untersuchungsausschuss
einzurichten, die Protokolle sind zugänglich. Außerdem liegen der taz
nichtöffentliche Zeugenbefragungen und Asservatenlisten vor. Hinzu kommen
Gespräche mit Augenzeugen und Einschätzungen von denjenigen, die Einblick
ins Innere des Ministeriums haben.
Im Fall Kickl gibt es eine eindeutige Antwort: Nach 18 Monaten FPÖ im
Innenministerium muss nicht weniger repariert werden als das Vertrauen in
den Rechtsstaat.
## Freie Hand
Es beginnt am ersten Tag. Der alte Innenminister übergibt zur
Amtseinführung dem neuen Innenminister eine Fahne, das ist so üblich. Dann
hält der gerade vereidigte Kickl eine kurze Ansprache. Die Spitzenbeamten
des Ministeriums sind da. Es ist der Moment für ein paar höfliche
Begrüßungsworte, aber Kickl hält sich nicht lange damit auf. Er stellt
Peter Goldgruber als seinen Generalsekretär vor, eine spezielle
Führungsposition in österreichischen Ministerien. Kickl sagt: „Mein
Generalsekretär ist ab sofort – ich wiederhole, ab sofort – weisungsbefugt
gegenüber allen Beamten.“ Daran erinnert sich ein damals Anwesender.
Das ist neu. Die mächtige Nummer zwei in einem Ministerium ist eine
Erfindung der schwarz-blauen Regierung, Generalsekretäre hat es vorher
schon gegeben, aber sie waren nicht mit tatsächlicher Macht ausgestattet,
Entscheidungen zu treffen, direkte Anweisungen zu geben. Der
Generalsekretär im Innenministerium untersteht nun nur noch einer Person:
dem Innenminister selbst. Peter Goldgruber hat freie Hand.
Kritiker sagen, dieser Posten sei erfunden worden, damit sich die
Ministerinnen und Minister bei Kritik hinter ihre Adjutanten zurückziehen
können – der Generalsekretär ist es dann gewesen, sie hätten ja keine
Weisung gegeben.
Lange war Herbert Kickl selbst der Mann im Hintergrund. Zu Beginn seiner
Karriere hat er Jörg Haider Tee gekocht, später dessen Reden geschrieben.
Nach Haiders Ausstieg bei der FPÖ passte Kickl sich ideologisch
Heinz-Christian Strache an, er reüssiert als verbaler Scharfmacher. Von
Kickl stammen Parolen wie „Mut zum Wiener Blut“ oder „Daham statt Islam�…
## Gemeinsame Pläne
[3][Er gilt als Prototyp eines Rechtspopulisten, der Politik macht, indem
er die Gesellschaft in ein „Wir“ und „die anderen“ spaltet.] Ausgerechn…
derjenige, dessen Politik sich auf Angst begründet, soll also ab Dezember
2017 mit dem Antritt von Kurz’ schwarz-blauer Regierung als Minister für
die innere Sicherheit sorgen.
Peter Goldgruber hat Kickl nur Tage vor seinem Amtsantritt bei den
Koalitionsverhandlungen kennengelernt. Schon unter der ÖVP hatte Goldgruber
versucht, Karriere zu machen, auch mal bei den Sozialdemokraten. Manche
beschreiben ihn als Asketen. Er gilt als streng zu sich selbst und fleißig.
Und Kickl ist vor allem daran interessiert, Stimmen für die FPÖ
einzusammeln. Dafür eignet sich aus seiner Sicht in diesen Monaten nichts
besser als restriktive Asylpolitik.
Gemeinsam entwickeln sie Pläne, um den Sicherheitsapparat auszubauen. Die
Zahl der Planstellen wird aufgestockt, die Beamten mit neuer Munition
ausgerüstet, die Kooperation mit der russischen Polizei intensiviert. Kickl
verspricht, eine Reiterstaffel bei der Polizei zu schaffen, das soll Stärke
signalisieren und ihm schöne Medienbilder liefern. Der ungarische Präsident
Viktor Orbán schenkt ihm dafür zwei Pferde. Dann erweist sich die Suche
nach weiteren als schwierig, schließlich stellt sich heraus, auch Orbáns
Pferde taugen nichts. Sie lahmen.
Um Nachwuchs für die Polizei anzuwerben, lässt das Ministerium gut bezahlte
Werbung schalten, auch in rechtsextremen Publikationen. Kickls Ministerium
pflegt die FPÖ-Klientel.
## „Schwarzes Netz“
Schließlich weist das Innenministerium Polizeidirektionen an, bei
Straftaten immer Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus der Beteiligten
zu nennen, kritische Medien fortan jedoch nur mit den nötigsten
Informationen zu versorgen.
Am 19. Januar, vier Wochen nach Amtsantritt, wird Generalsekretär Peter
Goldgruber bei einer Staatsanwältin der Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft vorstellig. Es sind die Wochen, in denen die
neuen Ministerien überhaupt erst mal arbeitsfähig werden müssen.
Goldgruber hat anonyme Schreiben dabei, als er bei der Staatsanwältin
vorstellig wird. Dieses Konvolut mit Anschuldigungen wurde noch in der
Amtszeit der Vorgängerregierung verschickt, an Ämter, Politiker, es
kursiert unter Journalisten und liegt auch der taz vor. Darin: Vorwürfe
über sexualisierte Übergriffe im Verfassungsschutz; von alkoholisierten
Abteilungsleitern dort ist die Rede, von unterschlagenen Geldern und in
Österreich produzierten nordkoreanischen Reisepässen, die an Südkorea
ausgehändigt worden sein sollen, von Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft.
Vorgänge, über die als das „schwarze Netz“ der ÖVP gesprochen wird.
Erstmals seit 17 Jahren hatte nun mit der FPÖ eine andere Partei das
Innenministerium übernommen.
Der Verfassungsschutz ist auch für die Bekämpfung von Rechtsextremismus
zuständig und bedroht damit Aktivitäten eines Teils der FPÖ-Klientel.
Goldgruber fordert die Staatsanwältin auf, wegen der Vorwürfe in dem
Konvolut zu ermitteln; sie erwidert, sie sei bereits dran.
## Festnahmen und Telefonüberwachung
Später notiert sie einen Satz in ihr Tagebuch, den man in den
Ausschussprotokollen nachlesen kann: „Goldgruber: Er habe vom Minister
den Auftrag, das BMI aufzuräumen.“
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ist besonders geschützt,
formal ist sie dem Justizministerium unterstellt, jedoch nicht
berichtspflichtig. Das hat einen Grund: Hier wird gegen die eigenen Leute
ermittelt. Bestechlichkeit, Vetternwirtschaft, das alles im politischen
Apparat. Und weil das schwierig genug ist, soll es möglichst wenig
Möglichkeiten für die Politik geben, Einfluss zu nehmen.
Was in den Tagen nach diesem Treffen passiert, ist das Gegenteil. Aus den
Protokollen des Untersuchungsausschusses geht hervor: Eine Mitarbeiterin
des Verfassungsschutzes trifft sich mit Goldgruber, auch Innenminister
Kickl ist anwesend. Tage später präsentiert Goldgruber die Mitarbeiterin
der Staatsanwaltschaft als erste Zeugin.
Später wird bekannt: Auch mit weiteren Zeugen trifft sich Kickl vorab,
mindestens eine dieser Personen wird zur Aussage bei der Staatsanwaltschaft
von einem Ministeriumsmitarbeiter begleitet. Und derselbe Mitarbeiter regt
gegenüber der Staatsanwaltschaft Festnahmen und Telefonüberwachung an.
Goldgruber selbst drängt so sehr auf eine Durchsuchung beim
Verfassungsschutz, dass sein Gegenpart im Justizministerium, der dortige
Generalsekretär, in einer internen E-Mail später schreibt: „Das ist doch
unfassbar; kein Ermittlungsdruck?“
Innenminister Kickl ist über all das informiert.
## NS-Verherrlichung
Der Verfassungsschutz ist eine der sensibelsten Behörden Österreichs. Dort
werden Informationen über Auslandsbeziehungen gesammelt, Staatsgeheimnisse.
Und natürlich nachrichtendienstlich gewonnene Erkenntnisse über
Extremisten. In Österreich besonders interessant: Burschenschaftler,
Mitglieder der Identitären Bewegung, junge Männer mit besten Verbindungen
in die FPÖ.
Wenige Wochen vor der Durchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz
passiert etwas Erstaunliches: Der Presse werden Liederbücher einer
Burschenschaft zugespielt, in der ein hoher FPÖ-Funktionär Mitglied ist.
Diese Bücher sind voll von NS-verherrlichenden und antisemitischen Texten.
Daraufhin muss der Spitzenkandidat der FPÖ in Niederösterreich sein Amt
vorerst niederlegen.
Bei der Hausdurchsuchung in der Burschenschaft Germania finden die
Ermittler dann nur Bücher mit geschwärzten Passagen. Der FPÖ-Mann kommt in
die Politik zurück.
Generalsekretär Goldgruber erkundigt sich im Zuge dessen beim Chef des
Verfassungsschutzes Peter Gridling. Im Protokoll des
Untersuchungsausschusses zur Befragung Goldgrubers liest sich das so: „Ich
habe ihn gefragt, ob gegen Burschenschaften Ermittlungen geführt werden.“
An dieser Stelle unterscheiden sich die Versionen fundamental. Der Chef des
Verfassungsschutzes gibt an, sich erinnern zu können, Goldgruber habe ihn
nicht nur nach dem „ob“ gefragt. Auszug aus seiner Befragung im
Untersuchungsausschuss:
„Hat Sie Generalsekretär Goldgruber expressis verbis nach Namen von
verdeckten Ermittlern gefragt?“
Peter Gridling: „Das ist meine Erinnerung.“
An anderer Stelle heißt es:
„War für Sie die Frage nach den verdeckten Ermittlern überraschend,
insbesondere jene danach, wo sie eingesetzt werden?“
Gridling: „Ja, weil es ja im Widerspruch zu dem stand, was ich mit dem
Herrn Generalsekretär vorher vereinbart habe: dass so operative Dinge ihn
nicht interessieren, damit er nicht in Geruch kommt, Dinge zu verraten.“
## Sensible Daten
Gridling leitet Goldgruber schließlich keine Namen weiter. Tage später
stehen dann die Polizisten in der Extremismusabteilung des
Verfassungsschutzes und beschlagnahmen Unterlagen, Datenträger, Wissen. Die
Polizeieinheit ist eigentlich für Straßenkriminalität vorgesehen, ihr
Leiter ist selbst ein FPÖ-Politiker. Goldgruber hatte ihn vorgeschlagen.
Die Leiterin der Extremismusabteilung Sibylle G. beschreibt ihre Gedanken
über den Moment, als die Ermittler in ihr Büro dringen: „Jetzt ist es so
weit. Jetzt ist der Tag X, wo in der Szene immer davon geredet wird: Wenn
sie an die Macht kommen, dann hängen sie als Erstes die Staatspolizei auf
und als Nächstes kommt die Justiz dran.“
Ein Mitarbeiter aus der IT-Abteilung des Verfassungsschutzes speichert etwa
ein Mal im Jahr besonders sensible Daten auf einer externen Festplatte als
Back-ups. Das Jahr ist gerade rum, als die Ermittler das Amt durchsuchen,
die Festplatte liegt auf seinem Tisch. Darauf: Daten der Zentralen
Quellenbewirtschaftung, eine Übersicht also darüber, von wem der
Verfassungsschutz seine Informationen bezieht; Inhalte der „Police Working
Group on Terrorism“, ein EU-Netzwerk, über das Informationen ausgetauscht
wurden. Und auch Daten, die europäische Geheimdienste miteinander
ausgetauscht hatten, sind darauf – die sogenannte Neptun-Kommunikation.
Die Ermittler nehmen diese Festplatte mit. Unversiegelt. Sie ist nicht
einmal mit einem Passwort geschützt.
Im November 2018 gelangt dann ein streng vertrauliches Dokument der
finnischen Behörden an die Öffentlichkeit. Sie bitten ihre Partner um
Auskunft zu einem russischen Diplomaten, den sie für einen Agenten halten.
„Except BVT Vienna“, steht da fett, „außer für den Verfassungsschutz in
Wien“. Dass es überhaupt nach Österreich gelangt, war ein Versehen. Die
finnischen Behörden trauen den Österreichern nicht mehr.
Im Berner Club, einem Netzwerk der europäischen Inlandsgeheimdienste, ist
Österreich nun Außenseiter. Die Niederlande und Großbritannien äußern ihre
Bedenken, mit Österreich zusammenzuarbeiten, und Verfassungsschutzchef
Gridling bleibt nichts anderes übrig, als quer durch Europa zu reisen, um
für Vertrauen zu werben.
## Expertise aus Deutschland
Nicht nur die Befürchtung, die rechten Netzwerke der FPÖ könnten direkt aus
dem Verfassungsschutz heraus an Information gelangen, stört die
internationale Zusammenarbeit. Auch die gut dokumentierte Nähe der FPÖ zu
Wladimir Putin lässt andere Geheimdienste zögern, mit den Österreichern
Informationen zu teilen.
Erst vergangene Woche hat der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Thomas Haldenwang laut einem Bericht der Welt dem parlamentarischen
Kontrollgremium des Deutschen Bundestags gesagt, es bestünden erhebliche
Risiken in der Zusammenarbeit wegen der möglichen Datenweitergabe nach
Russland.
Kickl sagt im Untersuchungsausschuss, die Razzia im Verfassungsschutz sei
nicht seine „Hauptbeschäftigung“ gewesen. Im Alltag eines Ministers gehe es
„um hunderttausend andere Dinge, und nebenher kriegt man dann halt auch
noch einmal eine Information über das, was im Zusammenhang mit dem BVT
läuft“.
Generalsekretär Goldgruber sagt: „„Von Anerkennung ist in vielen Bereichen
dann weniger zu bemerken, da gibt es dann eher sehr kritische Fragen in dem
Zusammenhang – habe ich so zur Kenntnis genommen.“
Ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der von der Staatsanwaltschaft des
Amtsmissbrauchs verdächtigt worden war, sagt: „Man fühlt sich gedemütigt.�…
Mitten in der Affäre, Ende Mai 2018, plant Kickl, den Verfassungsschutz neu
aufzustellen, die nachrichtendienstlichen Befugnisse auszuweiten,
Ermittlungen zuzulassen, auch ohne eindeutige Verdachtslage. So berichtet
es die österreichische Zeitung Die Presse. Kickl holt sich dafür aus dem
traditionell FPÖ-dominierten Heeres-Nachrichtenamt, dem österreichischen
Pendant zum BND, einige Mitarbeiter. Und auch Expertise aus Deutschland,
neun Monate für insgesamt 79.000 Euro. Der Berater heißt Klaus-Dieter
Fritsche und war früher Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt. Einer
der obersten Geheimnisträger des Landes.
## Keine Erinnerung
Dienstagvormittag nach der Videoveröffentlichung in der Wiener Hofburg, am
Vortag wurde Kickl als Innenminister entlassen. Ein langer Saal ohne
Fenster, mit niedriger Decke, hier saßen Kickl und Goldgruber,
Verfassungsschutzchef Gridling, die Leiterin der Extremismusabteilung, die
Staatsanwältin und all die anderen, die der Untersuchungsausschuss seit 38
Sitzungstagen befragt hat. Den Parlamentariern bleibt jetzt kaum noch Zeit,
aufzuklären. Löst sich das Parlament auf, endet auch ihre Arbeit.
Die Antworten im Untersuchungsausschuss haben eines gezeigt: Die
Widerstandskräfte eines Rechtsstaats sind mitunter schwächer, als man
hofft. Es braucht nicht ein geniales Mastermind, um einen Rechtsstaat
entscheidend zu schwächen. Es braucht nur einen Minsterialbeamten, der sich
an der falschen Stelle einmischt; eine Staatsanwaltschaft, die sich dieser
Einmischungen nicht verwehrt; es braucht Amtsmitarbeiter, die nicht um
jeden Preis verhindern, dass geheime Daten in Plastiktüten weggetragen
werden. Es braucht Abteilungsleiter und Chefs, die Vetternwirtschaft nicht
begegnen. Und einen Minister, der Misstrauen und Missgunst sät, um seine
politische Agenda durchzudrücken.
Passiert das nur unter einer Partei wie der FPÖ?
Im Untersuchungsausschuss geht es an diesem Dienstag um das Konvolut aus
Anschuldigungen gegen Verfassungsschutzmitarbeiter, um das angebliche
„schwarze Netz“, die ÖVP-Seilschaften innerhalb des Innenministeriums.
Dessen vermeintliche Existenz hatte die Razzia überhaupt erst ausgelöst.
Dazu muss sich heute ein Spitzenbeamter befragen lassen, der der Kopf des
schwarzen Netzwerks gewesen sein soll.
Die Abgeordneten lesen ihm SMS und E-Mails vor, in denen er sich als
damaliger Personalchef über Postenbesetzungen austauschte. In einer Mail
tauscht er sich mit einem „Schützling“ eines ÖVP-Mannes über eine
Planstelle aus, die noch nicht einmal ausgeschrieben war. Daran kann der
Spitzenbeamte sich nun nicht mehr erinnern. Die Abgeordneten sind genervt
und kündigen eine Anzeige wegen Falschaussage an.
Während sich die Parlamentarier bemühen, ihre Arbeit rasch zu beenden,
weigert sich der Innenminister noch sein Amt zu verlassen. Er nutzt die
Zeit, bevor sein Nachfolger am Mittwoch ernannt wird, um seine Agenda
durchzupeitschen, sein letztes Gesetz: die Herabsetzung des Mindestlohns
für Geflüchtete auf 1,50 Euro.
## Neue Polizeidienststelle
Und auch in den Stunden, bevor das Ibiza-Video veröffentlicht wurde, war
Kickl nicht untätig. Intern ist am Freitag, den 17. Mai die Nachricht
längst bekannt, dass das Video öffentlich werden wird. In so einer
Situation weiß jeder in der Politik: Es muss Konsequenzen und Rücktritte
geben.
Kickl ruft noch vor der Veröffentlichung den Bundespräsidenten an. Was er
sagt, berichtet er später selbst auf Facebook: Er habe eine Entscheidung
über eine Personalie getroffen. Sein engster Vertrauter, der
Generalsekretär Goldgruber, soll einen lukrativen Posten bekommen:
Generaldirektor für innere Sicherheit. Die offizielle Ernennung lehnt der
Bundespräsident ab. Vorübergehend aber kann ihn der scheidende Minister
berufen, das erlaubt das Gesetz. Und das tut Kickl.
Noch am Montag dieser Woche bezieht Peter Goldgruber das Büro des
Generaldirektors. Medienwirksam kündigt er an, eine neue
Polizeidienststelle am Wiener Praterstern zu errichten. Nun darf er qua Amt
über die Polizei und das Bundesamt für Verfassungsschutz und
Terrorismusbekämpfung herrschen. Jenes Amt also, dessen Durchsuchung er ein
Jahr zuvor ausgelöst hatte.
Am Donnerstag zieht ihn der vorübergehend eingesetzte Innenminister, ein
Ex-Präsident des Obersten Gerichtshofs, wieder von dieser Position ab.
24 May 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Christina Schmidt
Laurin Lorenz
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