# taz.de -- Österreich nach dem Bruch der Koalition: Das Prinzip Kickl | |
> In Wien kann man beobachten, welchen Schaden rechtsextreme Politiker | |
> verursachen, wenn sie an die Macht kommen. Eine Rekonstruktion. | |
Bild: Der ehemalige österreichische Innenminister Herbert Kickl gilt als Proto… | |
WIEN taz | Am 28. Februar 2018 klingeln Polizisten der Einsatzgruppe gegen | |
Straßenkriminalität an der Rennwegkaserne im dritten Wiener Gemeindebezirk. | |
Sie verlangen Einlass, durchsuchen Büros, packen Akten und Datenträger ein, | |
kopieren E-Mail-Verläufe. Es ist eine Razzia an einem ungewöhnlichen Ort. | |
Die Beamten ermitteln gegen Mitarbeiter des Bundesamtes für | |
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Eine Behörde filzt die andere. | |
Die Polizisten nehmen sich beim Verfassungsschutz auch das Referat | |
Extremismus vor, im Büro der Leiterin stapeln sich Papierunterlagen, 397 | |
Seiten davon nehmen sie mit. Außerdem ein Kuvert mit 19 CDs, „aktuelle | |
Fälle – Beweismittel!!!“ vermerken die Ermittler auf dem | |
Sicherstellungsprotokoll. Auch die Smartphones der Referatsleiterin packen | |
sie ein, ihren Computer, USB-Sticks. | |
Als die Polizisten den Leiter der IT-Abteilung treffen, drücken sie ihn | |
gegen die Wand, durchsuchen ihn, nehmen ihm seine Armbanduhr ab, weil sie | |
wohl glauben, darin könnte ein Mechanismus versteckt sein, mit dem er Daten | |
per Fernbedienung löschen kann. In seiner Abteilung konfiszieren sie auch | |
eine unscheinbare Festplatte, sie ist unbeschriftet. Was die Ermittler zu | |
diesem Zeitpunkt nicht wissen: Darauf befindet sich die | |
Neptun-Kommunikation – hochsensible Daten, gesammelt und ausgetauscht von | |
europäischen Nachrichtendiensten. Dass diese Daten den österreichischen | |
Verfassungsschutz verlassen, löst eine europaweite Geheimdienstkrise aus. | |
Was wie ein Überfall wirkt, ist offiziell anberaumt von einer | |
Staatsanwaltschaft, genehmigt von einem Richter. Eigentlich aber, das | |
werden später Recherchen von Journalisten, Gerichten und einem | |
parlamentarischen Untersuchungsausschuss zeigen, stehen hinter der Razzia | |
zwei Männer. Der eine heißt Peter Goldgruber, ein Polizist und Jurist, nun | |
hoher Beamter im Innenministerium. Der andere heißt Herbert Kickl, der | |
Innenminister. Einer der wichtigsten Männer der Freiheitlichen Partei | |
Österreichs (FPÖ). | |
[1][Nachdem Freitag vor einer Woche der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung | |
ein Video veröffentlichten,] auf dem zu sehen war, wie der | |
FPÖ-Parteivorsitzende Heinz-Christian Strache und der FPÖ-Fraktionschef | |
Johann Gudenus in einer Villa auf Ibiza im Juli 2017 Wodka-Red-Bull tranken | |
und einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte lukrative | |
Staatsaufträge versprachen, erklärten die beiden Politiker schnell ihre | |
Rücktritte. Danach hing die Frage, ob die Österreichische Volkspartei ÖVP | |
und die FPÖ weiter koalieren, an der Personalie Kickl. | |
In den aufgezeichneten Gesprächen auf Ibiza ging es auch um möglicherweise | |
illegale Parteienfinanzierung. Strache sprach von Spenden besonders reicher | |
Österreicher an die FPÖ, die über einen Verein gelaufen sein sollen, um | |
ihre Herkunft zu verschleiern. Obwohl Kickl zum Zeitpunkt der Entstehung | |
des Videos FPÖ-Generalsekretär war, hätte er nun als Innenminister selbst | |
über die Ermittlungen zu diesen Spenden gewacht. | |
## Beschädigtes Vertrauen | |
Kickl wollte nicht von sich aus gehen, die FPÖ weigerte sich, ihn als | |
Verhandlungsmasse einzusetzen. Als der Bundespräsident auf Wunsch von | |
Bundeskanzler Sebastian Kurz ankündigte, [2][den Innenminister zu | |
entlassen, traten die verbliebenen FPÖ-Minister aus Empörung zurück.] | |
Was aber hat Kickl in seinen 18 Monaten im Amt gemacht, dass seine | |
Personalie so wichtig war? Und: Was bleibt zurück, wenn der Innenminister | |
einer rechtsextremen Partei abtritt, der von Gewaltenteilung nicht viel | |
hält und unter anderem mit dem Satz auffiel, dass das Recht der Politik zu | |
folgen habe und nicht die Politik dem Recht? Was muss der Nachfolger | |
reparieren? | |
Es gibt kein Ministerium in der jüngeren österreichischen Geschichte, in | |
dem die Umwälzungen und das politische Kalkül der Regierenden so | |
umfangreich dokumentiert sind, wie das beim Innenministerium unter Herbert | |
Kickl der Fall ist. Eine Reihe von Gerichtsverfahren beschäftigen sich mit | |
Kickls Einflussnahme. Nur ein Dreivierteljahr nach Beginn seiner Amtszeit | |
beschloss das österreichische Parlament, einen Untersuchungsausschuss | |
einzurichten, die Protokolle sind zugänglich. Außerdem liegen der taz | |
nichtöffentliche Zeugenbefragungen und Asservatenlisten vor. Hinzu kommen | |
Gespräche mit Augenzeugen und Einschätzungen von denjenigen, die Einblick | |
ins Innere des Ministeriums haben. | |
Im Fall Kickl gibt es eine eindeutige Antwort: Nach 18 Monaten FPÖ im | |
Innenministerium muss nicht weniger repariert werden als das Vertrauen in | |
den Rechtsstaat. | |
## Freie Hand | |
Es beginnt am ersten Tag. Der alte Innenminister übergibt zur | |
Amtseinführung dem neuen Innenminister eine Fahne, das ist so üblich. Dann | |
hält der gerade vereidigte Kickl eine kurze Ansprache. Die Spitzenbeamten | |
des Ministeriums sind da. Es ist der Moment für ein paar höfliche | |
Begrüßungsworte, aber Kickl hält sich nicht lange damit auf. Er stellt | |
Peter Goldgruber als seinen Generalsekretär vor, eine spezielle | |
Führungsposition in österreichischen Ministerien. Kickl sagt: „Mein | |
Generalsekretär ist ab sofort – ich wiederhole, ab sofort – weisungsbefugt | |
gegenüber allen Beamten.“ Daran erinnert sich ein damals Anwesender. | |
Das ist neu. Die mächtige Nummer zwei in einem Ministerium ist eine | |
Erfindung der schwarz-blauen Regierung, Generalsekretäre hat es vorher | |
schon gegeben, aber sie waren nicht mit tatsächlicher Macht ausgestattet, | |
Entscheidungen zu treffen, direkte Anweisungen zu geben. Der | |
Generalsekretär im Innenministerium untersteht nun nur noch einer Person: | |
dem Innenminister selbst. Peter Goldgruber hat freie Hand. | |
Kritiker sagen, dieser Posten sei erfunden worden, damit sich die | |
Ministerinnen und Minister bei Kritik hinter ihre Adjutanten zurückziehen | |
können – der Generalsekretär ist es dann gewesen, sie hätten ja keine | |
Weisung gegeben. | |
Lange war Herbert Kickl selbst der Mann im Hintergrund. Zu Beginn seiner | |
Karriere hat er Jörg Haider Tee gekocht, später dessen Reden geschrieben. | |
Nach Haiders Ausstieg bei der FPÖ passte Kickl sich ideologisch | |
Heinz-Christian Strache an, er reüssiert als verbaler Scharfmacher. Von | |
Kickl stammen Parolen wie „Mut zum Wiener Blut“ oder „Daham statt Islam�… | |
## Gemeinsame Pläne | |
[3][Er gilt als Prototyp eines Rechtspopulisten, der Politik macht, indem | |
er die Gesellschaft in ein „Wir“ und „die anderen“ spaltet.] Ausgerechn… | |
derjenige, dessen Politik sich auf Angst begründet, soll also ab Dezember | |
2017 mit dem Antritt von Kurz’ schwarz-blauer Regierung als Minister für | |
die innere Sicherheit sorgen. | |
Peter Goldgruber hat Kickl nur Tage vor seinem Amtsantritt bei den | |
Koalitionsverhandlungen kennengelernt. Schon unter der ÖVP hatte Goldgruber | |
versucht, Karriere zu machen, auch mal bei den Sozialdemokraten. Manche | |
beschreiben ihn als Asketen. Er gilt als streng zu sich selbst und fleißig. | |
Und Kickl ist vor allem daran interessiert, Stimmen für die FPÖ | |
einzusammeln. Dafür eignet sich aus seiner Sicht in diesen Monaten nichts | |
besser als restriktive Asylpolitik. | |
Gemeinsam entwickeln sie Pläne, um den Sicherheitsapparat auszubauen. Die | |
Zahl der Planstellen wird aufgestockt, die Beamten mit neuer Munition | |
ausgerüstet, die Kooperation mit der russischen Polizei intensiviert. Kickl | |
verspricht, eine Reiterstaffel bei der Polizei zu schaffen, das soll Stärke | |
signalisieren und ihm schöne Medienbilder liefern. Der ungarische Präsident | |
Viktor Orbán schenkt ihm dafür zwei Pferde. Dann erweist sich die Suche | |
nach weiteren als schwierig, schließlich stellt sich heraus, auch Orbáns | |
Pferde taugen nichts. Sie lahmen. | |
Um Nachwuchs für die Polizei anzuwerben, lässt das Ministerium gut bezahlte | |
Werbung schalten, auch in rechtsextremen Publikationen. Kickls Ministerium | |
pflegt die FPÖ-Klientel. | |
## „Schwarzes Netz“ | |
Schließlich weist das Innenministerium Polizeidirektionen an, bei | |
Straftaten immer Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus der Beteiligten | |
zu nennen, kritische Medien fortan jedoch nur mit den nötigsten | |
Informationen zu versorgen. | |
Am 19. Januar, vier Wochen nach Amtsantritt, wird Generalsekretär Peter | |
Goldgruber bei einer Staatsanwältin der Wirtschafts- und | |
Korruptionsstaatsanwaltschaft vorstellig. Es sind die Wochen, in denen die | |
neuen Ministerien überhaupt erst mal arbeitsfähig werden müssen. | |
Goldgruber hat anonyme Schreiben dabei, als er bei der Staatsanwältin | |
vorstellig wird. Dieses Konvolut mit Anschuldigungen wurde noch in der | |
Amtszeit der Vorgängerregierung verschickt, an Ämter, Politiker, es | |
kursiert unter Journalisten und liegt auch der taz vor. Darin: Vorwürfe | |
über sexualisierte Übergriffe im Verfassungsschutz; von alkoholisierten | |
Abteilungsleitern dort ist die Rede, von unterschlagenen Geldern und in | |
Österreich produzierten nordkoreanischen Reisepässen, die an Südkorea | |
ausgehändigt worden sein sollen, von Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft. | |
Vorgänge, über die als das „schwarze Netz“ der ÖVP gesprochen wird. | |
Erstmals seit 17 Jahren hatte nun mit der FPÖ eine andere Partei das | |
Innenministerium übernommen. | |
Der Verfassungsschutz ist auch für die Bekämpfung von Rechtsextremismus | |
zuständig und bedroht damit Aktivitäten eines Teils der FPÖ-Klientel. | |
Goldgruber fordert die Staatsanwältin auf, wegen der Vorwürfe in dem | |
Konvolut zu ermitteln; sie erwidert, sie sei bereits dran. | |
## Festnahmen und Telefonüberwachung | |
Später notiert sie einen Satz in ihr Tagebuch, den man in den | |
Ausschussprotokollen nachlesen kann: „Goldgruber: Er habe vom Minister | |
den Auftrag, das BMI aufzuräumen.“ | |
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ist besonders geschützt, | |
formal ist sie dem Justizministerium unterstellt, jedoch nicht | |
berichtspflichtig. Das hat einen Grund: Hier wird gegen die eigenen Leute | |
ermittelt. Bestechlichkeit, Vetternwirtschaft, das alles im politischen | |
Apparat. Und weil das schwierig genug ist, soll es möglichst wenig | |
Möglichkeiten für die Politik geben, Einfluss zu nehmen. | |
Was in den Tagen nach diesem Treffen passiert, ist das Gegenteil. Aus den | |
Protokollen des Untersuchungsausschusses geht hervor: Eine Mitarbeiterin | |
des Verfassungsschutzes trifft sich mit Goldgruber, auch Innenminister | |
Kickl ist anwesend. Tage später präsentiert Goldgruber die Mitarbeiterin | |
der Staatsanwaltschaft als erste Zeugin. | |
Später wird bekannt: Auch mit weiteren Zeugen trifft sich Kickl vorab, | |
mindestens eine dieser Personen wird zur Aussage bei der Staatsanwaltschaft | |
von einem Ministeriumsmitarbeiter begleitet. Und derselbe Mitarbeiter regt | |
gegenüber der Staatsanwaltschaft Festnahmen und Telefonüberwachung an. | |
Goldgruber selbst drängt so sehr auf eine Durchsuchung beim | |
Verfassungsschutz, dass sein Gegenpart im Justizministerium, der dortige | |
Generalsekretär, in einer internen E-Mail später schreibt: „Das ist doch | |
unfassbar; kein Ermittlungsdruck?“ | |
Innenminister Kickl ist über all das informiert. | |
## NS-Verherrlichung | |
Der Verfassungsschutz ist eine der sensibelsten Behörden Österreichs. Dort | |
werden Informationen über Auslandsbeziehungen gesammelt, Staatsgeheimnisse. | |
Und natürlich nachrichtendienstlich gewonnene Erkenntnisse über | |
Extremisten. In Österreich besonders interessant: Burschenschaftler, | |
Mitglieder der Identitären Bewegung, junge Männer mit besten Verbindungen | |
in die FPÖ. | |
Wenige Wochen vor der Durchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz | |
passiert etwas Erstaunliches: Der Presse werden Liederbücher einer | |
Burschenschaft zugespielt, in der ein hoher FPÖ-Funktionär Mitglied ist. | |
Diese Bücher sind voll von NS-verherrlichenden und antisemitischen Texten. | |
Daraufhin muss der Spitzenkandidat der FPÖ in Niederösterreich sein Amt | |
vorerst niederlegen. | |
Bei der Hausdurchsuchung in der Burschenschaft Germania finden die | |
Ermittler dann nur Bücher mit geschwärzten Passagen. Der FPÖ-Mann kommt in | |
die Politik zurück. | |
Generalsekretär Goldgruber erkundigt sich im Zuge dessen beim Chef des | |
Verfassungsschutzes Peter Gridling. Im Protokoll des | |
Untersuchungsausschusses zur Befragung Goldgrubers liest sich das so: „Ich | |
habe ihn gefragt, ob gegen Burschenschaften Ermittlungen geführt werden.“ | |
An dieser Stelle unterscheiden sich die Versionen fundamental. Der Chef des | |
Verfassungsschutzes gibt an, sich erinnern zu können, Goldgruber habe ihn | |
nicht nur nach dem „ob“ gefragt. Auszug aus seiner Befragung im | |
Untersuchungsausschuss: | |
„Hat Sie Generalsekretär Goldgruber expressis verbis nach Namen von | |
verdeckten Ermittlern gefragt?“ | |
Peter Gridling: „Das ist meine Erinnerung.“ | |
An anderer Stelle heißt es: | |
„War für Sie die Frage nach den verdeckten Ermittlern überraschend, | |
insbesondere jene danach, wo sie eingesetzt werden?“ | |
Gridling: „Ja, weil es ja im Widerspruch zu dem stand, was ich mit dem | |
Herrn Generalsekretär vorher vereinbart habe: dass so operative Dinge ihn | |
nicht interessieren, damit er nicht in Geruch kommt, Dinge zu verraten.“ | |
## Sensible Daten | |
Gridling leitet Goldgruber schließlich keine Namen weiter. Tage später | |
stehen dann die Polizisten in der Extremismusabteilung des | |
Verfassungsschutzes und beschlagnahmen Unterlagen, Datenträger, Wissen. Die | |
Polizeieinheit ist eigentlich für Straßenkriminalität vorgesehen, ihr | |
Leiter ist selbst ein FPÖ-Politiker. Goldgruber hatte ihn vorgeschlagen. | |
Die Leiterin der Extremismusabteilung Sibylle G. beschreibt ihre Gedanken | |
über den Moment, als die Ermittler in ihr Büro dringen: „Jetzt ist es so | |
weit. Jetzt ist der Tag X, wo in der Szene immer davon geredet wird: Wenn | |
sie an die Macht kommen, dann hängen sie als Erstes die Staatspolizei auf | |
und als Nächstes kommt die Justiz dran.“ | |
Ein Mitarbeiter aus der IT-Abteilung des Verfassungsschutzes speichert etwa | |
ein Mal im Jahr besonders sensible Daten auf einer externen Festplatte als | |
Back-ups. Das Jahr ist gerade rum, als die Ermittler das Amt durchsuchen, | |
die Festplatte liegt auf seinem Tisch. Darauf: Daten der Zentralen | |
Quellenbewirtschaftung, eine Übersicht also darüber, von wem der | |
Verfassungsschutz seine Informationen bezieht; Inhalte der „Police Working | |
Group on Terrorism“, ein EU-Netzwerk, über das Informationen ausgetauscht | |
wurden. Und auch Daten, die europäische Geheimdienste miteinander | |
ausgetauscht hatten, sind darauf – die sogenannte Neptun-Kommunikation. | |
Die Ermittler nehmen diese Festplatte mit. Unversiegelt. Sie ist nicht | |
einmal mit einem Passwort geschützt. | |
Im November 2018 gelangt dann ein streng vertrauliches Dokument der | |
finnischen Behörden an die Öffentlichkeit. Sie bitten ihre Partner um | |
Auskunft zu einem russischen Diplomaten, den sie für einen Agenten halten. | |
„Except BVT Vienna“, steht da fett, „außer für den Verfassungsschutz in | |
Wien“. Dass es überhaupt nach Österreich gelangt, war ein Versehen. Die | |
finnischen Behörden trauen den Österreichern nicht mehr. | |
Im Berner Club, einem Netzwerk der europäischen Inlandsgeheimdienste, ist | |
Österreich nun Außenseiter. Die Niederlande und Großbritannien äußern ihre | |
Bedenken, mit Österreich zusammenzuarbeiten, und Verfassungsschutzchef | |
Gridling bleibt nichts anderes übrig, als quer durch Europa zu reisen, um | |
für Vertrauen zu werben. | |
## Expertise aus Deutschland | |
Nicht nur die Befürchtung, die rechten Netzwerke der FPÖ könnten direkt aus | |
dem Verfassungsschutz heraus an Information gelangen, stört die | |
internationale Zusammenarbeit. Auch die gut dokumentierte Nähe der FPÖ zu | |
Wladimir Putin lässt andere Geheimdienste zögern, mit den Österreichern | |
Informationen zu teilen. | |
Erst vergangene Woche hat der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz | |
Thomas Haldenwang laut einem Bericht der Welt dem parlamentarischen | |
Kontrollgremium des Deutschen Bundestags gesagt, es bestünden erhebliche | |
Risiken in der Zusammenarbeit wegen der möglichen Datenweitergabe nach | |
Russland. | |
Kickl sagt im Untersuchungsausschuss, die Razzia im Verfassungsschutz sei | |
nicht seine „Hauptbeschäftigung“ gewesen. Im Alltag eines Ministers gehe es | |
„um hunderttausend andere Dinge, und nebenher kriegt man dann halt auch | |
noch einmal eine Information über das, was im Zusammenhang mit dem BVT | |
läuft“. | |
Generalsekretär Goldgruber sagt: „„Von Anerkennung ist in vielen Bereichen | |
dann weniger zu bemerken, da gibt es dann eher sehr kritische Fragen in dem | |
Zusammenhang – habe ich so zur Kenntnis genommen.“ | |
Ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der von der Staatsanwaltschaft des | |
Amtsmissbrauchs verdächtigt worden war, sagt: „Man fühlt sich gedemütigt.�… | |
Mitten in der Affäre, Ende Mai 2018, plant Kickl, den Verfassungsschutz neu | |
aufzustellen, die nachrichtendienstlichen Befugnisse auszuweiten, | |
Ermittlungen zuzulassen, auch ohne eindeutige Verdachtslage. So berichtet | |
es die österreichische Zeitung Die Presse. Kickl holt sich dafür aus dem | |
traditionell FPÖ-dominierten Heeres-Nachrichtenamt, dem österreichischen | |
Pendant zum BND, einige Mitarbeiter. Und auch Expertise aus Deutschland, | |
neun Monate für insgesamt 79.000 Euro. Der Berater heißt Klaus-Dieter | |
Fritsche und war früher Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt. Einer | |
der obersten Geheimnisträger des Landes. | |
## Keine Erinnerung | |
Dienstagvormittag nach der Videoveröffentlichung in der Wiener Hofburg, am | |
Vortag wurde Kickl als Innenminister entlassen. Ein langer Saal ohne | |
Fenster, mit niedriger Decke, hier saßen Kickl und Goldgruber, | |
Verfassungsschutzchef Gridling, die Leiterin der Extremismusabteilung, die | |
Staatsanwältin und all die anderen, die der Untersuchungsausschuss seit 38 | |
Sitzungstagen befragt hat. Den Parlamentariern bleibt jetzt kaum noch Zeit, | |
aufzuklären. Löst sich das Parlament auf, endet auch ihre Arbeit. | |
Die Antworten im Untersuchungsausschuss haben eines gezeigt: Die | |
Widerstandskräfte eines Rechtsstaats sind mitunter schwächer, als man | |
hofft. Es braucht nicht ein geniales Mastermind, um einen Rechtsstaat | |
entscheidend zu schwächen. Es braucht nur einen Minsterialbeamten, der sich | |
an der falschen Stelle einmischt; eine Staatsanwaltschaft, die sich dieser | |
Einmischungen nicht verwehrt; es braucht Amtsmitarbeiter, die nicht um | |
jeden Preis verhindern, dass geheime Daten in Plastiktüten weggetragen | |
werden. Es braucht Abteilungsleiter und Chefs, die Vetternwirtschaft nicht | |
begegnen. Und einen Minister, der Misstrauen und Missgunst sät, um seine | |
politische Agenda durchzudrücken. | |
Passiert das nur unter einer Partei wie der FPÖ? | |
Im Untersuchungsausschuss geht es an diesem Dienstag um das Konvolut aus | |
Anschuldigungen gegen Verfassungsschutzmitarbeiter, um das angebliche | |
„schwarze Netz“, die ÖVP-Seilschaften innerhalb des Innenministeriums. | |
Dessen vermeintliche Existenz hatte die Razzia überhaupt erst ausgelöst. | |
Dazu muss sich heute ein Spitzenbeamter befragen lassen, der der Kopf des | |
schwarzen Netzwerks gewesen sein soll. | |
Die Abgeordneten lesen ihm SMS und E-Mails vor, in denen er sich als | |
damaliger Personalchef über Postenbesetzungen austauschte. In einer Mail | |
tauscht er sich mit einem „Schützling“ eines ÖVP-Mannes über eine | |
Planstelle aus, die noch nicht einmal ausgeschrieben war. Daran kann der | |
Spitzenbeamte sich nun nicht mehr erinnern. Die Abgeordneten sind genervt | |
und kündigen eine Anzeige wegen Falschaussage an. | |
Während sich die Parlamentarier bemühen, ihre Arbeit rasch zu beenden, | |
weigert sich der Innenminister noch sein Amt zu verlassen. Er nutzt die | |
Zeit, bevor sein Nachfolger am Mittwoch ernannt wird, um seine Agenda | |
durchzupeitschen, sein letztes Gesetz: die Herabsetzung des Mindestlohns | |
für Geflüchtete auf 1,50 Euro. | |
## Neue Polizeidienststelle | |
Und auch in den Stunden, bevor das Ibiza-Video veröffentlicht wurde, war | |
Kickl nicht untätig. Intern ist am Freitag, den 17. Mai die Nachricht | |
längst bekannt, dass das Video öffentlich werden wird. In so einer | |
Situation weiß jeder in der Politik: Es muss Konsequenzen und Rücktritte | |
geben. | |
Kickl ruft noch vor der Veröffentlichung den Bundespräsidenten an. Was er | |
sagt, berichtet er später selbst auf Facebook: Er habe eine Entscheidung | |
über eine Personalie getroffen. Sein engster Vertrauter, der | |
Generalsekretär Goldgruber, soll einen lukrativen Posten bekommen: | |
Generaldirektor für innere Sicherheit. Die offizielle Ernennung lehnt der | |
Bundespräsident ab. Vorübergehend aber kann ihn der scheidende Minister | |
berufen, das erlaubt das Gesetz. Und das tut Kickl. | |
Noch am Montag dieser Woche bezieht Peter Goldgruber das Büro des | |
Generaldirektors. Medienwirksam kündigt er an, eine neue | |
Polizeidienststelle am Wiener Praterstern zu errichten. Nun darf er qua Amt | |
über die Polizei und das Bundesamt für Verfassungsschutz und | |
Terrorismusbekämpfung herrschen. Jenes Amt also, dessen Durchsuchung er ein | |
Jahr zuvor ausgelöst hatte. | |
Am Donnerstag zieht ihn der vorübergehend eingesetzte Innenminister, ein | |
Ex-Präsident des Obersten Gerichtshofs, wieder von dieser Position ab. | |
24 May 2019 | |
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