| # taz.de -- Autor über Jörg-Haider-Kulte: "Eine Reise ins Herz der Finsternis" | |
| > Der Schriftsteller David Schalko beschäftigt sich mit der Mystifizierung | |
| > des Rechtspolitikers Jörg Haider. Sein neues Buch über die Haider-Welt | |
| > bezeichnet Schalko als schwarzen Karl-May-Roman. | |
| Bild: Mystische Verehrung: Haider-Ausstellung im Klagenfurter Bergbaumuseum. | |
| taz: Herr Schalko, "Heimreise statt Einreise", wer hat das im Wahlkampf | |
| zuletzt plakatiert? | |
| David Schalko: In Österreich hätte ich gesagt, die FPÖ. Aber es klingt fast | |
| ein bisschen zu intellektuell für die. | |
| Es war die NPD im letzten Bundestagswahlkampf. | |
| Da ist die FPÖ sehr nah dran. | |
| Die NPD bekam in Deutschland dafür wenig Stimmen. In Österreich reüssieren | |
| mit ähnlichen Parolen gleich zwei rechtsextremistische Parteien, BZÖ und | |
| FPÖ. Woran liegt das? | |
| Es gibt einen braunen Bodensatz in Österreich. Eine politische Unkultur, | |
| die über die ständige Verharmlosung des Nationalsozialismus funktioniert. | |
| In Deutschland gibt es zur NS-Vergangenheit eine kritischere öffentliche | |
| Haltung. Außerdem schaffen es die Rechten in Österreich sehr clever, die | |
| sozialdemokratischen Wähler abzuholen. | |
| Wie machen sie das? | |
| Durch Präsenz und vorgetäuschte Volksnähe. So blöd das klingen mag: Der SPÖ | |
| ist das Ressentiment abhandengekommen. Das man so wie früher sagen kann: | |
| "Die Kapitalisten!" Das wird nicht mehr benutzt und würde man ihnen auch | |
| nicht mehr abnehmen. | |
| Wofür in Deutschland die Linkspartei zuständig ist? | |
| Ja, SPD und SPÖ können das nicht mehr bedienen. Dazu sind sie selber zu | |
| sehr Teil des Systems geworden. | |
| Ist das nur schlecht? | |
| Nein, aber eine Tatsache. Es gibt eine Übersättigung: Die Sozialdemokraten | |
| waren in Österreich die letzten vierzig Jahre in fast jeder Regierung | |
| vertreten. Es fehlt ihnen nicht an Werten, aber es fehlt eine Galionsfigur, | |
| die diese glaubwürdig formulieren kann. Die Rechten pflegen hingegen | |
| erfolgreich ihre Ressentiments, in erster Linie die Ausländerfeindlichkeit. | |
| "Schluss mit falscher Toleranz: Deutsch ist Pflicht - keine türkischen | |
| Dolmetscher, keine Minarette." So wurde die FPÖ jetzt zweite Kraft im | |
| reichen Vorarlberg. | |
| Viele wählen die Rechten mangels Alternative auf der Linken. Die anderen | |
| Parteien wirken sehr blass. Der österreichische Wähler ist haltlos und | |
| rechten Ideologien gegenüber sehr empfänglich. In Österreich ist die | |
| Opferideologie stark verbreitet. Dieses: "Der kleine Mann wird nicht gehört | |
| - jetzt zeigen wirs den Großen." Die Rechten sind allerdings auch sehr | |
| geschickt im Mythenerzählen und Bilderschaffen. Das ist der | |
| Sozialdemokratie völlig abhandengekommen. | |
| Was für Bilder meinen Sie? | |
| Sie stellen den Jugendlichen eine ganze Erlebniswelt zur Verfügung. Diese | |
| Diskopolitik … | |
| Diskopolitik? | |
| FPÖ-Chef Strache hat damit viele der unter Dreißigjährigen erreicht. Die | |
| gewinnt er in den Diskotheken. Auf Wahlvideos singt er HipHop. Er geht mit | |
| einer billigen Dosenpopwelt und deren Mythen hausieren. Vordergründig geht | |
| es bei diesen Diskofantasien nicht um Inhalte, die werden so nebenbei | |
| untergeschoben. Der Wiener Journalist Armin Thurnher hat das als | |
| "Feschismus" bezeichnet: Aus unterschiedlichen Schubladen werden Teile | |
| genommen, moderne Jugendlichkeit und christliche Werte gegen Islamismus | |
| werden zusammengeschraubt. Völlig unglaubwürdig, aber so funktioniert das. | |
| "Abendland in Christenhand." | |
| Total lächerlich. Strache ließ sich auch erst eine Woche nach dieser | |
| Christenparole firmen. Jetzt braucht er auf einmal das Kreuz gegen den | |
| Islam und mutiert zum Christen. Die FPÖ macht sich ausschließlich darüber | |
| Gedanken, wie sie erfolgreich sein könnte - da geht es nicht um Haltungen. | |
| Und da die SPÖ vor allem mit sich selbst beschäftigt ist, ist klar, wer am | |
| Ende die Wahlen gewinnt. | |
| Ihr Roman "Weiße Nacht" handelt - verfremdet, aber erkennbar - von Kärnten, | |
| Haiders letztem jungen Freund, der Landesmutter, tätowierten Chauffeuren. | |
| Warum haben Sie sich für diese Form entschieden? | |
| Das Faktisch-Analytische wurde schon oft probiert. Ich habe das Buch aus | |
| einer poetischen Sichtweise formuliert, weil ich glaube, damit ein tieferes | |
| Verständnis des Phänomens zu bekommen. | |
| Überhöhte Figuren wie Feuerhand im Dienstwagen, für was sollen sie stehen? | |
| Das ist ein Spiel mit einer gewissen Karl-May-Ästhetik. Ich glaube, Karl | |
| Mays Abenteuermystizismus kommt sehr nahe an das Selbstverständnis von | |
| Figuren wie Haider heran. "Weiße Nacht" ist ein schwarzer Karl-May-Roman. | |
| Eine Reise ins Herz der Finsternis, bizarr, komisch und nahe an der | |
| Innenwelt dieser rechten Lebenswelten angelegt. Das mag aus der Ferne | |
| unrealistisch wirken, ist es aber nicht. | |
| Wer Kärnten verstehen will, muss Karl May lesen? | |
| Genau. Durch Kärnten fahren und dabei Winnetou oder Old Shatterhand vor | |
| Augen haben. Bei einer Politik des mythologisierten Lebensabenteuers geht | |
| es nicht um verantwortliches Handeln. Es geht einzig um den Erfolg dieser | |
| Dosenfantasiebilderwelt, aus der sich die Inszenierungen speisen. Etwas | |
| weiter südlich weiß dies Berlusconi perfekt zu bedienen. "Weiße Nacht" ist | |
| kein weiteres Buch über Haider, sondern über erfolgreiche rechte | |
| Machtästhetiken, die sich stark mit Esoterik und Katholizismus verbinden | |
| und als Gegenwelt zu Islamismus und anderen Ideologien darstellen. | |
| Der historische Katholizismus in Österreich stand aber in Opposition zu den | |
| Deutschnationalen? | |
| Das mischt sich heute alles neu. Hitler war ja auch ein Opportunist, der | |
| sich dort bedient hat, wo es ihm am Erfolg versprechendsten erschien. Die | |
| in den letzten zwanzig Jahren geschaffenen Bilder funktionieren in den | |
| Köpfen der Menschen so gut, dass sie die tatsächliche Realität nicht mehr | |
| sehen. Die Grenzen sind dicht. Doch in den Köpfen vieler steht immer noch | |
| halb Ungarn vor der Tür und die Rumänen wollen Wien auffressen. | |
| Sie haben sich intensiv mit Person und Milieu des verstorbenen Jörg Haider | |
| beschäftigt. Nach der Spaltung der österreichischen Rechten in BZÖ und FPÖ | |
| und vor allem mit dem Tod Haiders letztes Jahr dachte man: So, das wars. | |
| Aber das Gegenteil ist der Fall? | |
| Haider ist nach dem Tod noch größer geworden. Das ist eine österreichische | |
| Eigenheit: Wenn sie sterben, werden sie zu Heiligen, auch wenn sie | |
| Nationalsozialisten waren. Und wer sie nach ihrem Tod kritisiert, gilt als | |
| pietätlos. Mund halten ist die Losung. Der Mythos Haider ist so stark, dass | |
| dessen Nachfolger jetzt noch mehr Stimmen bekommen als ihr verstorbener | |
| Chef. Der Totenkult ist ein mächtiges Instrumentarium und gilt als | |
| unantastbar: "Bitte, nicht über Tote schimpfen." Der tote Haider ist noch | |
| gefährlicher als der lebende. | |
| Nach einer Satire im ORF auf Haiders Beerdigung haben Sie Schwierigkeiten | |
| bekommen? | |
| Ich produziere auch eine Late-Night-Show fürs österreichische Fernsehen mit | |
| Grissemann und Stermann. Nach dem Tod von Jörg Haider haben wir den Umgang | |
| der Medien mit dem Begräbnis ironisch bearbeitet. Das war ein | |
| Riesenskandal. Es gab irrsinnig viele Morddrohungen. Und komische | |
| Stellungnahmen aus der Kärntner Politik. Als Antwort darauf ist bei mir die | |
| Idee zu meinem Buch entstanden, um dem etwas entgegenzusetzen. Wir standen | |
| ziemlich allein da. Es gab keinerlei Solidarität, auch aus der Linken | |
| nicht. Mein Roman richtet sich gegen die wahnwitzige Heldenverehrung eines | |
| Rechtsradikalen. | |
| Nennen Sie Haider im Fernsehen einen Rechtsradikalen? | |
| Ich hab kein Problem damit, den Haider als Rechtsextremisten zu bezeichnen. | |
| Dafür würde ich mich auch verklagen lassen, da ich überzeugt davon bin, | |
| dass er einer ist. Jetzt wurde mit Steuergeldern ein Haidermuseum in einem | |
| Klagenfurter Nazistollen eröffnet, das ist doch alles bizarr. Ein | |
| Haidermuseum mit Geldern aus dem Kärntner Kulturfonds in einem früheren | |
| Nazibunker zum ersten Todestag. Das Wort "untragbar" existiert in der | |
| österreichischen Sprache schon lange nicht mehr. Wir haben einen dritten | |
| Nationalratspräsidenten. Der ist in einer rechtsextremen | |
| Studentenverbindung und kokettiert offen mit dem historischen | |
| Nationalsozialismus. Dieser Martin Graf wird auch von den Sozialdemokraten | |
| mitgewählt, die tragen ihn. Es herrschen Zustände in Österreich, die man | |
| nur unerträglich nennen kann. | |
| Ist das nicht eher ein Operettenrechtsextremismus? | |
| Nein. Das geht komplett durch die ganze Gesellschaft und hat die letzten | |
| zwanzig Jahre entscheidend geprägt. Die Rechten sind heute salonfähig und | |
| sitzen in hohen Ämtern, von denen heraus sie ihre Politik betreiben, die | |
| sich auch gegen Verfassung und Gerichte wendet. | |
| 27 Nov 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
| Andreas Fanizadeh | |
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