# taz.de -- Deutscher Buchpreis für „Die Hauptstadt“: Die richtige Wahl | |
> Robert Menasse erhält den Deutschen Buchpreis für seinen literarisch wie | |
> politisch versierten Roman „Die Hauptstadt“. Ein mutiges „Geschichtsbuc… | |
> zur EU. | |
Bild: Der östereichische Autor Robert Menasse wird für den besten deutschspra… | |
Er war der Favorit. Nicht weil es Robert Menasse der Jury mit seinem Roman | |
„Die Hauptstadt“ besonders leichtgemacht hätte. Nicht weil die anderen fü… | |
Bücher auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises von minderer Qualität | |
wären. Menasse hat mit seinem Roman „Die Hauptstadt“ allerdings ein Buch | |
geschrieben, das auf erstaunliche Weise den unterschiedlichsten Ansprüchen | |
gerecht wird: Es ist ein Roman, der mit seinem Abtauchen in die Brüsseler | |
EU-Bürokratie eine reflektierte Zeitgenossenschaft pflegt und dabei | |
trotzdem zeitlos wirkt. | |
Menasse weiß sowohl satirisch als auch sinnlich (!) von Beamten zu | |
erzählen, und er schafft es, mittels einer ausgefuchsten Schweinesymbolik | |
die Suche der Protagonisten nach Liebe und Anerkennung mit hoher Politik zu | |
verbinden, ohne dabei selbst hartgesottene Karriere-Bürokraten zu | |
denunzieren. | |
Es gelingt ihm auch – und dabei handelt es sich um das größte Wagnis des | |
Textes – in seinem großen Mosaik der Erzählsplitter auch noch ein | |
geschichtsphilosophisches Zentrum einzubauen, das von der Neugründung | |
Europas handelt. All dies ist in der Gesamtanlage so mutig und preiswürdig | |
wie selten in der Geschichte dieses Literaturpreises. | |
Tatsächlich ist es nicht leicht, die Handlung des komplexen Romans auf | |
wenige Kernlinien zu reduzieren. Denn auch gegen diese Konvention sperrt | |
sich der kluge Text. Ein wichtiger Erzählstrang dreht sich um die | |
ehrgeizige Griechin Fenia Xenopoulou, zuständig für die Generaldirektion | |
Kultur in der Kommission, die ihren österreichischen Referenten Martin | |
Susman beauftragt, eine Kampagne zur Imageverbesserung der EU zu | |
entwickeln. | |
Der eifrige Referent Susman, der froh ist, dem elterlichen Bauernhof | |
entkommen zu sein und der es kaum aushält, mit seinem Bruder über | |
Schweinezucht, grassierenden Vegetarismus und den EU-Handel mit | |
Schweineohren zu streiten, begreift die EU nicht nur als Wirtschaftsraum, | |
sondern als moralische Instanz. So liegt es für ihn auf der Hand, dass er | |
mit seiner Imagekampagne an die schlimmsten Auswüchse des Nationalismus | |
erinnern will und an den Schwur, Auschwitz dürfe nie wieder stattfinden. | |
## Macht und Eitelkeit | |
Nein, denkt sich der Mann aus Österreich, diese EU ist kein Schweinesystem, | |
sondern ein Glücksfall der Geschichte. Wie dieses Projekt in den Instanzen | |
schließlich aber doch zerrieben wird, ist durchaus als Kritik zu verstehen | |
am europäischen System der nationalen Macht und Eitelkeit, dennoch bleibt | |
die Hoffnung, dass im Zentrum der Bürokratie Menschen arbeiten, die den | |
Glauben an die europäische Idee nicht verloren haben. | |
Robert Menasse dankte in seiner improvisierten Dankesrede in Frankfurt auch | |
jener Generaldirektion Kultur, weil sie sich bislang erfolgreich dafür | |
eingesetzt hat, die Buchpreisbindung zu erhalten, und zwar gegen die Macht | |
der Monopole im Handel. | |
Neben dem Autor und seinem Verlag dürfen sich sehr viele Leute über diesen | |
Preis freuen: Zunächst einmal die Leser, die begeistert sein werden, dass | |
Menasse einen „spannenden“ und „unterhaltsamen“ Roman über die Europä… | |
Union geschrieben hat, ohne dabei eindimensional auf die klassischen | |
Elemente der Spannungs- und Unterhaltungsliteratur zu setzen. | |
Dann dürfen auch die vielen engagierten Mitarbeiter der EU feiern, die | |
wiederum überall in Europa seit Jahrzehnten beschimpft werden – selbst wenn | |
sie eine gute Arbeit leisten. Menasse hat ihnen ein literarisches Denkmal | |
gesetzt und dabei bewiesen, dass selbst Berufsgruppen mit dem | |
langweiligsten Image überhaupt literaturfähig sind, wenn sich denn ein | |
Könner mit ihnen beschäftigt. | |
Auch die Buchhändler werden aufatmen, denn das Buch wird wegen des Themas, | |
aber auch wegen des keineswegs überambitionierten Stils ein großer | |
Verkaufserfolg, was nicht bei allen Titeln, die mit dem Deutschen Buchpreis | |
ausgezeichnet werden, der Fall war. | |
## Ein Manifest gegen Nationalismus | |
Auch die Jury darf sich freuen, denn sie hat eine gute und richtige Wahl | |
getroffen, was wiederum daran liegt, dass es eine leider gar nicht so | |
kleine Gruppe gibt, die dieses Buch hassen wird. Denn „Die Hauptstadt“ ist | |
auch ein Manifest gegen Nationalismus und Rechtspopulismus jeder Spielart. | |
Da der Menasse aber immer schlau zu Werke geht, indem er Klischees aufnimmt | |
und entkräftet, indem er als gewissenhafter Dialektiker selbstverständlich | |
auch die Auswüchse des bürokratischen Systems aufspießt, ohne dabei die | |
europäische Idee zu verraten, werden es seine ideologischen Kritiker aber | |
sehr schwer haben. | |
Im Grunde hat Menasse einen Roman geschrieben, der europaweit in Schulen | |
eingesetzt werden kann. Es ist ein literarisches Geschichtsbuch, weil es an | |
den großen Zivilisationsbruch erinnert und zudem zeigt, wie sehr man ums | |
Erinnern auch kämpfen muss. Was die Neonazis für die Auschwitzkeule halten, | |
ist bei Menasse die Bedingung für das friedliche Miteinander in einer | |
europäischen Zukunft. | |
10 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Carsten Otte | |
## TAGS | |
Robert Menasse | |
Roman | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2023 | |
Deutscher Buchpreis | |
Buch | |
Deutscher Buchpreis | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Brexit | |
Brüssel | |
Deutscher Buchpreis | |
Zeitdruck | |
Schwerpunkt Brexit | |
Europa | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer EU-Roman von Robert Menasse: Jagd nach dem goldenen Helm | |
Robert Menasse bleibt sich thematisch treu. Mit „Die Erweiterung“ schreibt | |
er in cineastischer Prosa einen Roman über Politik der Europäischen Union. | |
Deutscher Buchpreis: Kein Darling des Betriebs | |
Inger-Maria Mahlke gewinnt mit ihrem Roman „Archipel“ den Deutschen | |
Buchpreis. Darin erzählt sie die Geschichte dreier Familien in Teneriffa. | |
Rezension „Mit Rechten reden“: Carl Schmitt und der HJ-Zwerg | |
„Mit Rechten reden“ ist ein als Sachbuch getarnter Mindfuck. Er dringt tief | |
in die Gehirnwindungen rechten Denkens ein. | |
Buchpreisträger Robert Menasse: „Die Briten kommen wieder“ | |
Mit einem Roman über die Europäische Union hat Robert Menasse den Deutschen | |
Buchpreis gewonnen. Ein Gespräch über Brüssel, den Brexit, Fußball und | |
Träumer. | |
„Die Hauptstadt“ von Robert Menasse: Mehr als Gurkenkrümmungsgrade | |
Der für den Buchpreis nominierte Roman „Die Hauptstadt“ erinnert an den | |
historischen Auftrag der EU. Das ist wider Erwarten spannend. | |
Deutscher Buchpreis: „Sehr hohes literarisches Niveau“ | |
Hervorragend geschrieben, kühn gedacht: Die Jury hat die sechs Titel der | |
Shortlist des Deutschen Buchpreises bekanntgegeben. | |
Hamburger Meisterschaft im Blitzlesen: Steter Blick auf die Uhr | |
Lässt sich das Literaturhaus für die eventigeren unter seinen Abenden von | |
Irohaarschnittträgern inspirieren? Man könnte es beinahe annehmen | |
Vor dem EU-Gipfel in Brüssel: Alle wollen Europa retten | |
Der Brexit als Chance: Gegen das Sparprogramm und eine wachsende Bürokratie | |
soll sich die EU neu erfinden. | |
Debatte Alternative zur EU: Europäische Republik gesucht | |
Viele wollen nach wie vor Europa, nur nicht diese EU. Wir brauchen eine | |
Europäische Republik, in der alle BürgerInnen politisch gleich sind. |