| # taz.de -- Wiedervereinigung und die Wahl: Merkels vergessene Schwestern | |
| > Die sächsische SPD-Politikerin Petra Köpping hört den Verlierern der | |
| > Wende zu. Die erzählen von der Arroganz des Westens und ganz realer | |
| > Benachteiligung. | |
| Bild: Ein verwitterter DDR-Grenzpfosten an der Landesgrenze zwischen Niedersach… | |
| Junge Männer halten pfeifend rote Karten hoch. Gesetzte Herren im hellen | |
| Kurzarmhemd brüllen: „Hau ab!“ Und 13 Männer und Frauen, so viele wie | |
| „MERKELMUSSWEG“ Buchstaben hat, recken ihre selbst gemalten Pappschilder in | |
| die Bitterfelder Sommerluft. Angela Merkel macht Wahlkampf in | |
| Sachsen-Anhalt, stoisch hält sie vorn auf der Bühne ihre Rede, manche | |
| Wörter muss sie wiederholen, um im wütenden Lärm, der von den Rändern | |
| heranschwappt, überhaupt verstanden zu werden. Denn von dort, von hinten, | |
| schreien Merkels eigene Leute hasserfüllt gegen sie an: Sie, die | |
| „Volksverräterin“, möge, verdammt noch mal, verschwinden aus ihrer Stadt. | |
| Was ist hier eigentlich los? Warum sind die Ostdeutschen so wütend in | |
| diesem Wahljahr? Und wieso wissen sie die Freiheit des Westens nicht zu | |
| schätzen, sondern tun sich vor allem leid? Woher rührt dieses Gefühl der | |
| Unverbundenheit mit diesem Land und dessen politischer Klasse? Einem Land, | |
| das sie wiederum bereit sind, misstrauisch und notfalls mit Gewalt gegen | |
| alles Neue, Fremde zu verteidigen? | |
| In Dresden sitzt zwei Tage nach Merkels Wahlkampftrip nach Sachsen-Anhalt | |
| Petra Köpping auf der Dachterrasse des Landtagsrestaurants. Vorn fließt die | |
| Elbe, links prangt die herzzerreißend schöne Silhouette der Dresdner | |
| Altstadt, über der Kuppel der wiederaufgebauten Frauenkirche spannt sich | |
| ein himmlisches Blau. Die sächsische Staatsministerin für Integration muss | |
| gleich wieder zurück ins Plenum, sie hat eine Dreiviertelstunde Zeit für | |
| einen Eiskaffee und Antworten auf Fragen nach ihren „Ossis“. | |
| Über die spricht die SPD-Politikerin in letzter Zeit viel und öffentlich. | |
| Im Kabinett ist sie seit drei Jahren zuständig für Gleichstellung, | |
| Integration von Zuwanderern und Demokratieförderung. Als 2014 immer montags | |
| Pegida in Dresden aufmarschierte, ist sie vom Landtag rüber zu den | |
| Demonstranten gegangen, hat sich an den Rand gestellt und sie angesprochen: | |
| „Kommt doch mal her, redet doch mal mit mir.“ Sie habe da gemerkt, erinnert | |
| sie sich, dass „die Reden, die da gehalten wurden, und die persönlichen | |
| Probleme weit auseinandergingen“. Vieles, wenn nicht das meiste habe mit | |
| Ängsten zu tun. Das Unbekannte, die Flüchtlinge, bedeuten für Ostdeutsche | |
| auch: Es ändert sich etwas. Schon wieder. | |
| ## Ein Stachel der Demütigung | |
| Dem Osten, sagt Köpping, sei ja nach der Wende eine ganze Generation | |
| abhanden gekommen, die gut Ausgebildeten, allen voran die Frauen, seien | |
| weggegangen. „Da schreien auch Männer, die gern eine Familie hätten und den | |
| kleinen Frieden zu Hause. Das sind oft Leute, die bis heute nicht in der | |
| neuen Zeit angekommen sind.“ | |
| Im letzten Herbst hat Petra Köpping am Reformationstag eine | |
| aufsehenerregende Rede gehalten. Sie hat darin zu ergründen versucht, warum | |
| die Rechtspopulisten im Osten stärker sind als im Westen. Ihr Fazit: | |
| Solange das gesamte Deutschland sich nicht respektvoll mit den Umbrüchen | |
| der Nachwendezeit auseinandersetzt, wird es keinen gesellschaftlichen | |
| Frieden geben. Und Auseinandersetzung – das hieße nicht nur zuhören, | |
| sondern auch, Fehler wiedergutzumachen, Unrecht zu heilen. Durch die | |
| Wiedervereinigung, vor allem durch den eilig zusammengeschriebenen | |
| Einigungsvertrag, sei vieles falsch gelaufen und nie korrigiert oder | |
| zumindest eingeräumt worden. | |
| „Es gibt unzählige Beispiele, wie damals Menschen über den Tisch gezogen | |
| wurden, weil sie – oftmals zutiefst blauäugig – die neuen Regeln nicht | |
| überblicken konnten“, hat Köpping in ihrer Rede zum Reformationstag | |
| ausgeführt. Da sei ein „Stachel der Demütigung“. Viele Leute hätten sich | |
| damals gefragt: Und das soll Demokratie sein? | |
| ## Konservative Hardliner frohlockten | |
| Schuld am Frust sei eigentlich nicht die Demokratie als staatliches Prinzip | |
| gewesen. Vielmehr sei die Wiedervereinigung in eine historische Phase | |
| gefallen, in der westdeutsche Eliten im Osten ihren lang gehegten | |
| neoliberalen Traum verwirklicht hätten. Vor allem Sachsen mit dem | |
| CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf an der Spitze sei zum | |
| „Versuchsfeld“ gemacht worden. | |
| „Die Ostdeutschen waren auf diesen Kapitalismus null vorbereitet. So sei er | |
| halt, ,der Westen', dachten viele. Konservative Hardliner aus Bayern und | |
| Baden-Württemberg frohlockten hingegen, endlich ohne Gewerkschaften, | |
| gesellschaftliche Beteiligung und ,Sozial-Klimbim‘ ihre nationalliberale | |
| Agenda durchzusetzen“ sagte Köpping in der Rede. Diese Politik habe dann | |
| auch noch lange Jahre satte demokratische Mehrheiten bekommen. | |
| Petra Köpping reist durchs Land. Sie trifft sich mit Wendeverlierern, | |
| erzählt von Brüchen, die sie, Jahrgang 1958, selbst erfahren hat. Als | |
| Bürgermeisterin einer kleinen Gemeinde in Sachsen musste sie dort zum | |
| Beispiel nach der Wende der „feierlichen Sprengung“ der Bergbaugeräte | |
| beiwohnen. „Ich sah die Bergleute neben mir“, schildert sie diesen Tag, | |
| „denen standen die Tränen in den Augen.“ Es seien Tränen der Trauer und d… | |
| Perspektivlosigkeit gewesen. Viele hätten das nie verarbeitet; „es wurde | |
| keine Trauerarbeit geleistet“. | |
| Stattdessen ziehe sich bis heute die Erzählung von Sinnlosigkeit, Chaos und | |
| Demütigung durch die Familien, die viele Ostdeutsche mit der | |
| Wiedervereinigung verbinden. „Junge Leute hören heute von ihren Eltern: Das | |
| wäre mir zu DDR-Zeiten nicht passiert“, sagt Petra Köpping. „Wenn wir das | |
| nicht aufarbeiten, wird vergessen, dass die DDR eine Diktatur war.“ | |
| Sie macht nun geduldig aufmerksam auf rechtliche Benachteiligungen, die | |
| durch den Einigungsvertrag entstanden sind. Und sucht Verbündete in der | |
| Politik, um sie wiedergutzumachen. Insgesamt 18 Berufsgruppen kämpfen bis | |
| heute für Renten, die durch Fehler im Einigungsvertrag zu gering ausfallen. | |
| Lehrer, Bergleute, Tänzer – alles Wählerinnen und Wähler, samt ihren | |
| Familien, die meinen, diesem Land weniger als gar nichts zu schulden. Ihr | |
| weitererzählter Frust, das Jahrzehnte andauernde Nichtgehörtwerden, gilt | |
| als einer der Gründe, warum Pegida oder die AfD im Osten so stark werden | |
| konnten. | |
| ## Warum dieser Merkel-Hass, Frau Köpping? | |
| Jeder könnte das wissen, wenn es denn interessieren würde. Aber | |
| Jammerossis, quengelige Leute mit seltsamen Dialekten – die werden im | |
| Zweifel lieber ausgelacht. Und der Ossi-Versteherin Petra Köpping werden | |
| immer dieselben Fragen gestellt. Was nicht stimmt mit ihren Leuten. Warum | |
| die nicht zufrieden sind mit den topsanierten Städten und den schicken | |
| Straßen. Was die auszusetzen haben an der Demokratie – die hätten sie doch | |
| schließlich gewollt 1989. | |
| Es sind Fragen von Leuten, die die Wiedervereinigung – Petra Köpping sagt | |
| lieber friedliche Revolution – bis heute als Tauschhandel sehen. Gesinnung | |
| gegen Wohlstand. Als eine Art verspäteten, sauteuren Marshallplan für den | |
| Osten. Unsere Steuergelder gegen eure Anpassung, so in etwa. Aber heute, im | |
| Wahljahr 2017, sind diese Leute weder dankbar noch zufrieden, im Gegenteil. | |
| Sie spucken auf den Boden, wenn ihnen auf der Straße Flüchtlinge begegnen. | |
| Sie bilden Bürgerwehren, wählen AfD und marschieren bei Pegida-Demos mit. | |
| Sie sind misstrauisch gegen alles Staatliche, gegen Medien und Politiker. | |
| Gegen die ganz besonders. | |
| In Dresden halten sie Galgen für Sigmar „Pack“ Gabriel und „Mutti“ Ang… | |
| Merkel in den Himmel. Der ihnen so verhasste Rechtsstaat lässt sie | |
| gewähren. Die Staatsanwaltschaft Dresden konnte in der selbst gebastelten | |
| Tötungsfantasie keine „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung | |
| von Gewalttaten“ erkennen. Wenn also Angela Merkel im Wahlkampf in ihre | |
| Stadt kommt, gehen sie da hin und schreien ihr auf perfekt sanierten | |
| Marktplätzen ihren Hass ins Gesicht. Freie Meinungsäußerung, eh klar. | |
| Warum denn dieser Merkel-Hass, Frau Köpping? | |
| „Angela Merkel verkörpert die blanke Enttäuschung“, sagt die | |
| Staatsministerin. Ihre Hände liegen flach auf der weißen | |
| Restauranttischdecke, das rote schulterlange Haar geht im Dresdner | |
| Mittagswind. Als Merkel 2005 Kanzlerin geworden sei, hätten viele gedacht: | |
| eine Frau, eine aus dem Osten, besser ging’s ja nicht. „Aber sie hat viele | |
| enttäuscht.“ Merkel verweigert bis heute, Ossi-Fantasien und -Vorurteile | |
| gleich welcher Art zu bedienen. Sie ist Weltpolitikerin, | |
| Sicherheitspolitikerin, Flüchtlingsversteherin. Alles, aber keine | |
| Ostdeutsche. Das Gebrüll in Bitterfeld, Finsterwalde, Dessau, analysiert | |
| Petra Köpping – das sei „auch ein Schrei nach Respekt, nach Anerkennung“. | |
| ## Geschieden und arm | |
| In Magdeburg, gut 200 Kilometer von Dresden die Elbe aufwärts, sitzen in | |
| der Beratungsstelle der Caritas 20 Wutbürgerinnen an einem langen grauen | |
| Tisch. Man sieht ihnen das Wütende nicht sofort an. Alle sind sie gut | |
| gekleidet, schön zurechtgemacht, nichts von verbeigtem Ostrentner-Schick. | |
| Die Frauen sagen Sätze wie diese: | |
| „Es war ein Beitritt, keine Wiedervereinigung.“ | |
| „Nach der Wende hatte ich noch Hoffnung, dass wenigstens das Gute aus der | |
| DDR übernommen wird.“ | |
| „Merkel? Die kümmert sich mehr um die Außenpolitik als um uns.“ | |
| Auf dem Tisch stehen Kannen mit Filterkaffee und Kuchenteller, draußen | |
| sanieren Bauarbeiter lautstark eine weitere ostdeutsche Straße. Die Frauen | |
| sind sämtlich Rentnerinnen und – ja, sagen wir es doch ruhig – Opfer der | |
| Wiedervereinigung. Weil sie sich noch zu DDR-Zeiten scheiden ließen, werden | |
| sie, die einstigen Lehrerinnen, technischen Zeichnerinnen, Chemikerinnen, | |
| bis heute um einen Teil ihrer Rente betrogen. 1999 haben sie deshalb den | |
| „Verein der in der DDR geschiedenen Frauen e. V.“ gegründet. Sie fordern | |
| die Anerkennung ihrer Lebensleistung und einen „Nachteilsausgleich“, also | |
| eine Zusatzrente aus Steuermitteln. In den 18 Jahren seit der | |
| Vereinsgründung hat die Politik keine Lösung für sie gefunden; mittlerweile | |
| leben von den einst 800.000 betroffenen Frauen nur noch 300.000. „Diese | |
| Regierung steuert auf eine biologische Lösung hin, das ist beschämend“, | |
| sagt eine der Damen. Und vermutlich hat sie recht. | |
| Es verhält sich folgendermaßen. DDR-Frauen, die wegen der Kindererziehung | |
| zeitweise weniger arbeiteten, konnten mit einem symbolischen Betrag von | |
| monatlich drei Mark ihre spätere volle Rente absichern. Der Betrag war | |
| deshalb so niedrig, weil für die Höhe der später auszuzahlenden Rente | |
| ohnehin nur die letzten 20 Arbeitsjahre berücksichtigt wurden. Jüngere | |
| Frauen sollten sich also keine Sorgen machen müssen, wie sie Familie, Beruf | |
| und Weiterbildung unter einen Hut kriegen – am Geld sollte es nicht | |
| scheitern. | |
| Einen Versorgungsausgleich, wie ihn das westdeutsche Scheidungsrecht | |
| vorsah, kannte die DDR nicht – man ließ sich scheiden und ging fortan als | |
| ökonomisch unabhängige, ihr Einkommen selbst erarbeitende Person durchs | |
| Leben. | |
| Mit der Wiedervereinigung änderte sich das. Nach einer Übergangszeit von | |
| sechs Jahren galt ab dem 1. 1. 1997 auch für Frauen aus dem Osten das | |
| Westrentenrecht. Nun wurden auch die frühen Kindererziehungsjahre als | |
| Verdienst gewertet – machte also bei zwölf mal drei Mark 36 Mark | |
| Rentenbeitrag pro Jahr. Ostdeutsche Männer hingegen passten exakt ins neue | |
| Anforderungsmuster; ihre Renten genießen bis heute Bestandsschutz. | |
| Klingt alles wahnsinnig abstrakt. Konkret aber bedeutet es, dass den Frauen | |
| Geld fehlt. Petra Köpping spricht von 300 bis 400 Euro pro Monat und Frau. | |
| Lauscht man den Geschichten der Magdeburgerinnen von Armut und Mangel, | |
| vergeht einem glatt die Lust auf die allfälligen Hinweise auf die ganze | |
| schöne Meinungsfreiheit und das demokratische Recht, endlich frei wählen zu | |
| dürfen. | |
| Eine von ihnen hat den ganzen Sommer über an Landstraßen Erdbeeren | |
| verkauft, sie braucht Geld für neue Zähne. Die andere erzählt von den | |
| Geldgeschenken der anderen Großeltern für die Enkel – und dem Buch, das sie | |
| gerade so bezahlen konnte. Und noch eine beschreibt, wie sie auf dem | |
| Sozialamt abgefertigt wurde, als sie um einen Minikredit für ihre neue | |
| Brille bat, abzustottern in 10-Euro-Raten. „Dafür sind Sie zu gut | |
| gekleidet“, hat die Bearbeiterin sie angeranzt. Die Frau schluckt schwer, | |
| als sie davon erzählt. | |
| ## Es bohrt und nagt | |
| Petra Köpping kennt solche Geschichten. Sie gleichen denen jener Bergleute, | |
| die sie politisch unterstützt. Und denen der Eisenbahner, die nach dem | |
| Mauerfall von Reichsbahnern zu Bundesbahnern wurden und deshalb bis zum | |
| Ende ihres Lebens weniger Rente bekommen als ihre Kollegen aus dem Westen. | |
| Als am Mittwoch in Berlin die Ostbeauftragte der Bundesregierung den | |
| Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit vorstellt, reagiert sie | |
| bedauernd auf die Frage nach den DDR-Rentnern. Sie habe sich mit den | |
| Hunderttausenden Fällen „vertieft beschäftigt“, sagt Iris Gleicke. Bei den | |
| Koalitionsverhandlungen 2013 habe ihre SPD einen Fonds für die Betroffenen | |
| vorgeschlagen; man sei aber leider nicht damit durchgedrungen. Tja. | |
| Es sind Ungerechtigkeiten wie die Renten oder die unterschiedlich hohen | |
| Mindestlöhne, die die Leute drücken wie ein Kiesel im Schuh. Da mögen | |
| Volkswirte noch so kompetent erklären, dass das Leben im Osten billiger ist | |
| – die Diskriminierung, das Gefühl der Ungleichwertigkeit bleibt. Es bohrt | |
| und nagt. Und am Ende verhalten sich Menschen, die zweitklassig behandelt | |
| und abschätzig belächelt werden, exakt entsprechend den an sie gestellten | |
| Erwartungen. Für die Bundestagswahlen jedenfalls erwartet Petra Köpping im | |
| Osten „krasse Ergebnisse für die AfD“. | |
| Eigentlich, findet jedenfalls Köpping, gehe es vor allem um Anerkennung. | |
| „Niemand hat die Lebensgeschichte gewürdigt. Niemand hat zugehört.“ Durch | |
| die Politik der Treuhand und den als arrogant empfundenen Abbau der | |
| desolaten DDR-Industrie sei ab 1990 eine „entwurzelte Arbeiterschaft“ | |
| entstanden, der keine Gelegenheit gegeben wurde, Trauerarbeit zu leisten. | |
| Fakt sei, dass Biografien entwertet wurden. Und dass Ostdeutsche bis heute | |
| als Vorlage für Witzchen und das Aufpolieren von auch nicht jederzeit | |
| glänzenden westdeutschen Biografien hergenommen werden. | |
| ## Es kommen andere Zeiten | |
| Die Herablassung ist es auch, die die Frauen in Magdeburg so richtig | |
| aufregt. Die wenigsten können sagen, wie viel Geld ihnen durch den Fehler | |
| im Einigungsvertrag tatsächlich zustünde. Schlimmer sind die erlittenen | |
| Kränkungen, die Ängste, die sie ab 1990 als Alleinerziehende durchzustehen | |
| hatten. | |
| „Nach der Wende“, erzählt eine von ihnen, „wurde mir gesagt, sie hätten | |
| jetzt einen Familienvater, der bräuchte meine Stelle dringender als ich.“ | |
| Eine andere, Betriebskrankenschwester, erzählt, wie ihr Chefarzt alle | |
| Kolleginnen zusammengerufen und gesagt habe: „Guckt euch alle noch mal im | |
| Spiegel an, es kommen andere Zeiten.“ Genauso war es, | |
| Betriebskrankenschwestern gab es im Westen gar nicht. | |
| Vor allem bei den Jobs fegte die deutsche Wiedervereinigung die | |
| ostdeutschen Frauen vom Markt. Hatten sie bis 1989 40 Prozent des | |
| Familieneinkommens erarbeitet, waren 1991 40 Prozent aller neuen | |
| Stellenangebote ausdrücklich für Männer ausgeschrieben, nur elf für | |
| Frauen. Die Zumutungen des Westens waren „Teilzeitjobs“ für Frauen, | |
| „Beratungspflicht“ vor Schwangerschaftsabbrüchen und | |
| „Elterninitiativ-Kitas“, wo Kinder in lichtlosen Ergeschosswohnungen mehr | |
| gehalten als betreut wurden. „In fast allen Führungspositionen sind nach | |
| der Wende Männer eingesetzt worden“, sagt Petra Köpping. „Frauen wurden | |
| nach Hause geschickt, die neuen Chefs hatten eine völlig neue Einstellung | |
| zur arbeitenden Frau. Das ging so weit, dass Frauen in ihre Bewerbung | |
| geschrieben haben: Ich habe mich sterilisieren lassen und kriege keine | |
| Kinder mehr.“ | |
| Für die geschiedenen Frauen, die in der Magdeburger Caritas-Beratungsstelle | |
| beisammensitzen, tickt die Uhr. Seit 18 Jahren kämpfen sie, seit sechs | |
| Jahren befasst sich sogar der Antidiskriminierungsausschuss der Vereinten | |
| Nationen mit ihrem Anliegen. Sie sind alt darüber geworden, einige von | |
| ihnen sind schwer krank, viele gestorben. „Es geht um Würde, in Geld | |
| ausgedrückt“, sagt eine von ihnen und dreht ihre Kaffeetasse in den Händen. | |
| Sie habe vor 28 Jahren gedacht, dass sich das mal gebe mit der Abwertung | |
| der Ostdeutschen. „Aber nein, es hört nicht auf.“ | |
| 7 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Sachsen-Anhalt | |
| Sachsen | |
| Deutsche Einheit | |
| Wiedervereinigung | |
| Frauen | |
| Alleinerziehende | |
| Lesestück Interview | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Rhetorik | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Kolumne Immer bereit | |
| Demokratieforschung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Schutz vor häuslicher Gewalt: Geld für anonyme Spurensicherung | |
| Die Frauenministerinnenkonferenz will Frauen besser vor Gewalt in der | |
| Beziehung schützen. Ost-Rentnerinnen sollen finanziell unterstützt werden. | |
| Bremer Kinder in Armut: Stigma für die Kinder | |
| Alleinerziehende in Bremen leben in immer unzumutbareren Verhältnissen. Das | |
| geht aus einer umfassenden Befragung der Arbeitnehmerkammer hervor | |
| Ex-Bürgermeister von Tröglitz über AfD: „Sie wissen, wen sie da wählen“ | |
| Der Erfolg der AfD im Osten sei nicht mit Demütigungen nach der Wende zu | |
| entschuldigen, sagt Markus Nierth. Viele seien nie in der Demokratie | |
| angekommen. | |
| Debatte Merkels Rolle für die Frauen: Zwischen den Alphatieren | |
| Man muss Merkel nicht wählen, aber bewundern. Die Kanzlerin ist einer der | |
| größten Triumphe unserer Zeit. Seit 2005 ist Macht nicht mehr männlich. | |
| Serie: Wie weiter, Germans? (2): Die Zukunft bleibt unsichtbar | |
| Schulz moralisiert, Merkel verzieht keine Miene. Welche Geschichte unserer | |
| Zeit erzählen die Volksparteien – und was bleibt außen vor? | |
| Kommentar „Gleichstellungskanzlerin“: Merkel allein ist kein Feminismus | |
| Wir sollten nicht glauben, dass eine Frau an der Spitze auch gerechte | |
| Teilhabe weiter unten sichere. Aber wir können anderes von Merkel lernen. | |
| Jugend im Gespräch: Generation Merkel | |
| 2005 gingen sie in die Schule. Nun sind sie erwachsen. Vier Erstwähler über | |
| die Kanzlerin und Freundschaft mit Andersdenkenden. | |
| Illner-Talk über Rentenkonzepte: Orientierungslos | |
| Bei „Illner intensiv“ talken sich SPD, CDU und AfD durch ihr Rentenkonzept. | |
| AfD-Reservist Poggenburg hat noch weniger zu sagen als die KollegInnen. | |
| Bundestagswahlkampf in der Diaspora: Kandidat Stader, kein Besserwessi | |
| Ein rheinländischer Katholik im Osten: SPD-Mann Stefan Maria Stader möchte | |
| das Vertrauen der Wähler in Dessau–Wittenberg zurückgewinnen. | |
| Kolumne Immer bereit: Und wieso bin ich kein Neonazi? | |
| Dass es Rechtsextremismus in Ostdeutschland gibt, ist allein die Schuld der | |
| dummen Ossis – zu diesem Schluss kommt eine wissenschaftliche Studie. | |
| Geht's noch?! | |
| Studie zu Rechtstendenzen im Osten: Diagnose: Sachsenstolz | |
| Immer wieder macht Ostdeutschland mit rechter Gewalt Schlagzeilen. Warum | |
| nur? Eine Studie suchte nach Antworten. |