# taz.de -- Wiedervereinigung und die Wahl: Merkels vergessene Schwestern | |
> Die sächsische SPD-Politikerin Petra Köpping hört den Verlierern der | |
> Wende zu. Die erzählen von der Arroganz des Westens und ganz realer | |
> Benachteiligung. | |
Bild: Ein verwitterter DDR-Grenzpfosten an der Landesgrenze zwischen Niedersach… | |
Junge Männer halten pfeifend rote Karten hoch. Gesetzte Herren im hellen | |
Kurzarmhemd brüllen: „Hau ab!“ Und 13 Männer und Frauen, so viele wie | |
„MERKELMUSSWEG“ Buchstaben hat, recken ihre selbst gemalten Pappschilder in | |
die Bitterfelder Sommerluft. Angela Merkel macht Wahlkampf in | |
Sachsen-Anhalt, stoisch hält sie vorn auf der Bühne ihre Rede, manche | |
Wörter muss sie wiederholen, um im wütenden Lärm, der von den Rändern | |
heranschwappt, überhaupt verstanden zu werden. Denn von dort, von hinten, | |
schreien Merkels eigene Leute hasserfüllt gegen sie an: Sie, die | |
„Volksverräterin“, möge, verdammt noch mal, verschwinden aus ihrer Stadt. | |
Was ist hier eigentlich los? Warum sind die Ostdeutschen so wütend in | |
diesem Wahljahr? Und wieso wissen sie die Freiheit des Westens nicht zu | |
schätzen, sondern tun sich vor allem leid? Woher rührt dieses Gefühl der | |
Unverbundenheit mit diesem Land und dessen politischer Klasse? Einem Land, | |
das sie wiederum bereit sind, misstrauisch und notfalls mit Gewalt gegen | |
alles Neue, Fremde zu verteidigen? | |
In Dresden sitzt zwei Tage nach Merkels Wahlkampftrip nach Sachsen-Anhalt | |
Petra Köpping auf der Dachterrasse des Landtagsrestaurants. Vorn fließt die | |
Elbe, links prangt die herzzerreißend schöne Silhouette der Dresdner | |
Altstadt, über der Kuppel der wiederaufgebauten Frauenkirche spannt sich | |
ein himmlisches Blau. Die sächsische Staatsministerin für Integration muss | |
gleich wieder zurück ins Plenum, sie hat eine Dreiviertelstunde Zeit für | |
einen Eiskaffee und Antworten auf Fragen nach ihren „Ossis“. | |
Über die spricht die SPD-Politikerin in letzter Zeit viel und öffentlich. | |
Im Kabinett ist sie seit drei Jahren zuständig für Gleichstellung, | |
Integration von Zuwanderern und Demokratieförderung. Als 2014 immer montags | |
Pegida in Dresden aufmarschierte, ist sie vom Landtag rüber zu den | |
Demonstranten gegangen, hat sich an den Rand gestellt und sie angesprochen: | |
„Kommt doch mal her, redet doch mal mit mir.“ Sie habe da gemerkt, erinnert | |
sie sich, dass „die Reden, die da gehalten wurden, und die persönlichen | |
Probleme weit auseinandergingen“. Vieles, wenn nicht das meiste habe mit | |
Ängsten zu tun. Das Unbekannte, die Flüchtlinge, bedeuten für Ostdeutsche | |
auch: Es ändert sich etwas. Schon wieder. | |
## Ein Stachel der Demütigung | |
Dem Osten, sagt Köpping, sei ja nach der Wende eine ganze Generation | |
abhanden gekommen, die gut Ausgebildeten, allen voran die Frauen, seien | |
weggegangen. „Da schreien auch Männer, die gern eine Familie hätten und den | |
kleinen Frieden zu Hause. Das sind oft Leute, die bis heute nicht in der | |
neuen Zeit angekommen sind.“ | |
Im letzten Herbst hat Petra Köpping am Reformationstag eine | |
aufsehenerregende Rede gehalten. Sie hat darin zu ergründen versucht, warum | |
die Rechtspopulisten im Osten stärker sind als im Westen. Ihr Fazit: | |
Solange das gesamte Deutschland sich nicht respektvoll mit den Umbrüchen | |
der Nachwendezeit auseinandersetzt, wird es keinen gesellschaftlichen | |
Frieden geben. Und Auseinandersetzung – das hieße nicht nur zuhören, | |
sondern auch, Fehler wiedergutzumachen, Unrecht zu heilen. Durch die | |
Wiedervereinigung, vor allem durch den eilig zusammengeschriebenen | |
Einigungsvertrag, sei vieles falsch gelaufen und nie korrigiert oder | |
zumindest eingeräumt worden. | |
„Es gibt unzählige Beispiele, wie damals Menschen über den Tisch gezogen | |
wurden, weil sie – oftmals zutiefst blauäugig – die neuen Regeln nicht | |
überblicken konnten“, hat Köpping in ihrer Rede zum Reformationstag | |
ausgeführt. Da sei ein „Stachel der Demütigung“. Viele Leute hätten sich | |
damals gefragt: Und das soll Demokratie sein? | |
## Konservative Hardliner frohlockten | |
Schuld am Frust sei eigentlich nicht die Demokratie als staatliches Prinzip | |
gewesen. Vielmehr sei die Wiedervereinigung in eine historische Phase | |
gefallen, in der westdeutsche Eliten im Osten ihren lang gehegten | |
neoliberalen Traum verwirklicht hätten. Vor allem Sachsen mit dem | |
CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf an der Spitze sei zum | |
„Versuchsfeld“ gemacht worden. | |
„Die Ostdeutschen waren auf diesen Kapitalismus null vorbereitet. So sei er | |
halt, ,der Westen', dachten viele. Konservative Hardliner aus Bayern und | |
Baden-Württemberg frohlockten hingegen, endlich ohne Gewerkschaften, | |
gesellschaftliche Beteiligung und ,Sozial-Klimbim‘ ihre nationalliberale | |
Agenda durchzusetzen“ sagte Köpping in der Rede. Diese Politik habe dann | |
auch noch lange Jahre satte demokratische Mehrheiten bekommen. | |
Petra Köpping reist durchs Land. Sie trifft sich mit Wendeverlierern, | |
erzählt von Brüchen, die sie, Jahrgang 1958, selbst erfahren hat. Als | |
Bürgermeisterin einer kleinen Gemeinde in Sachsen musste sie dort zum | |
Beispiel nach der Wende der „feierlichen Sprengung“ der Bergbaugeräte | |
beiwohnen. „Ich sah die Bergleute neben mir“, schildert sie diesen Tag, | |
„denen standen die Tränen in den Augen.“ Es seien Tränen der Trauer und d… | |
Perspektivlosigkeit gewesen. Viele hätten das nie verarbeitet; „es wurde | |
keine Trauerarbeit geleistet“. | |
Stattdessen ziehe sich bis heute die Erzählung von Sinnlosigkeit, Chaos und | |
Demütigung durch die Familien, die viele Ostdeutsche mit der | |
Wiedervereinigung verbinden. „Junge Leute hören heute von ihren Eltern: Das | |
wäre mir zu DDR-Zeiten nicht passiert“, sagt Petra Köpping. „Wenn wir das | |
nicht aufarbeiten, wird vergessen, dass die DDR eine Diktatur war.“ | |
Sie macht nun geduldig aufmerksam auf rechtliche Benachteiligungen, die | |
durch den Einigungsvertrag entstanden sind. Und sucht Verbündete in der | |
Politik, um sie wiedergutzumachen. Insgesamt 18 Berufsgruppen kämpfen bis | |
heute für Renten, die durch Fehler im Einigungsvertrag zu gering ausfallen. | |
Lehrer, Bergleute, Tänzer – alles Wählerinnen und Wähler, samt ihren | |
Familien, die meinen, diesem Land weniger als gar nichts zu schulden. Ihr | |
weitererzählter Frust, das Jahrzehnte andauernde Nichtgehörtwerden, gilt | |
als einer der Gründe, warum Pegida oder die AfD im Osten so stark werden | |
konnten. | |
## Warum dieser Merkel-Hass, Frau Köpping? | |
Jeder könnte das wissen, wenn es denn interessieren würde. Aber | |
Jammerossis, quengelige Leute mit seltsamen Dialekten – die werden im | |
Zweifel lieber ausgelacht. Und der Ossi-Versteherin Petra Köpping werden | |
immer dieselben Fragen gestellt. Was nicht stimmt mit ihren Leuten. Warum | |
die nicht zufrieden sind mit den topsanierten Städten und den schicken | |
Straßen. Was die auszusetzen haben an der Demokratie – die hätten sie doch | |
schließlich gewollt 1989. | |
Es sind Fragen von Leuten, die die Wiedervereinigung – Petra Köpping sagt | |
lieber friedliche Revolution – bis heute als Tauschhandel sehen. Gesinnung | |
gegen Wohlstand. Als eine Art verspäteten, sauteuren Marshallplan für den | |
Osten. Unsere Steuergelder gegen eure Anpassung, so in etwa. Aber heute, im | |
Wahljahr 2017, sind diese Leute weder dankbar noch zufrieden, im Gegenteil. | |
Sie spucken auf den Boden, wenn ihnen auf der Straße Flüchtlinge begegnen. | |
Sie bilden Bürgerwehren, wählen AfD und marschieren bei Pegida-Demos mit. | |
Sie sind misstrauisch gegen alles Staatliche, gegen Medien und Politiker. | |
Gegen die ganz besonders. | |
In Dresden halten sie Galgen für Sigmar „Pack“ Gabriel und „Mutti“ Ang… | |
Merkel in den Himmel. Der ihnen so verhasste Rechtsstaat lässt sie | |
gewähren. Die Staatsanwaltschaft Dresden konnte in der selbst gebastelten | |
Tötungsfantasie keine „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung | |
von Gewalttaten“ erkennen. Wenn also Angela Merkel im Wahlkampf in ihre | |
Stadt kommt, gehen sie da hin und schreien ihr auf perfekt sanierten | |
Marktplätzen ihren Hass ins Gesicht. Freie Meinungsäußerung, eh klar. | |
Warum denn dieser Merkel-Hass, Frau Köpping? | |
„Angela Merkel verkörpert die blanke Enttäuschung“, sagt die | |
Staatsministerin. Ihre Hände liegen flach auf der weißen | |
Restauranttischdecke, das rote schulterlange Haar geht im Dresdner | |
Mittagswind. Als Merkel 2005 Kanzlerin geworden sei, hätten viele gedacht: | |
eine Frau, eine aus dem Osten, besser ging’s ja nicht. „Aber sie hat viele | |
enttäuscht.“ Merkel verweigert bis heute, Ossi-Fantasien und -Vorurteile | |
gleich welcher Art zu bedienen. Sie ist Weltpolitikerin, | |
Sicherheitspolitikerin, Flüchtlingsversteherin. Alles, aber keine | |
Ostdeutsche. Das Gebrüll in Bitterfeld, Finsterwalde, Dessau, analysiert | |
Petra Köpping – das sei „auch ein Schrei nach Respekt, nach Anerkennung“. | |
## Geschieden und arm | |
In Magdeburg, gut 200 Kilometer von Dresden die Elbe aufwärts, sitzen in | |
der Beratungsstelle der Caritas 20 Wutbürgerinnen an einem langen grauen | |
Tisch. Man sieht ihnen das Wütende nicht sofort an. Alle sind sie gut | |
gekleidet, schön zurechtgemacht, nichts von verbeigtem Ostrentner-Schick. | |
Die Frauen sagen Sätze wie diese: | |
„Es war ein Beitritt, keine Wiedervereinigung.“ | |
„Nach der Wende hatte ich noch Hoffnung, dass wenigstens das Gute aus der | |
DDR übernommen wird.“ | |
„Merkel? Die kümmert sich mehr um die Außenpolitik als um uns.“ | |
Auf dem Tisch stehen Kannen mit Filterkaffee und Kuchenteller, draußen | |
sanieren Bauarbeiter lautstark eine weitere ostdeutsche Straße. Die Frauen | |
sind sämtlich Rentnerinnen und – ja, sagen wir es doch ruhig – Opfer der | |
Wiedervereinigung. Weil sie sich noch zu DDR-Zeiten scheiden ließen, werden | |
sie, die einstigen Lehrerinnen, technischen Zeichnerinnen, Chemikerinnen, | |
bis heute um einen Teil ihrer Rente betrogen. 1999 haben sie deshalb den | |
„Verein der in der DDR geschiedenen Frauen e. V.“ gegründet. Sie fordern | |
die Anerkennung ihrer Lebensleistung und einen „Nachteilsausgleich“, also | |
eine Zusatzrente aus Steuermitteln. In den 18 Jahren seit der | |
Vereinsgründung hat die Politik keine Lösung für sie gefunden; mittlerweile | |
leben von den einst 800.000 betroffenen Frauen nur noch 300.000. „Diese | |
Regierung steuert auf eine biologische Lösung hin, das ist beschämend“, | |
sagt eine der Damen. Und vermutlich hat sie recht. | |
Es verhält sich folgendermaßen. DDR-Frauen, die wegen der Kindererziehung | |
zeitweise weniger arbeiteten, konnten mit einem symbolischen Betrag von | |
monatlich drei Mark ihre spätere volle Rente absichern. Der Betrag war | |
deshalb so niedrig, weil für die Höhe der später auszuzahlenden Rente | |
ohnehin nur die letzten 20 Arbeitsjahre berücksichtigt wurden. Jüngere | |
Frauen sollten sich also keine Sorgen machen müssen, wie sie Familie, Beruf | |
und Weiterbildung unter einen Hut kriegen – am Geld sollte es nicht | |
scheitern. | |
Einen Versorgungsausgleich, wie ihn das westdeutsche Scheidungsrecht | |
vorsah, kannte die DDR nicht – man ließ sich scheiden und ging fortan als | |
ökonomisch unabhängige, ihr Einkommen selbst erarbeitende Person durchs | |
Leben. | |
Mit der Wiedervereinigung änderte sich das. Nach einer Übergangszeit von | |
sechs Jahren galt ab dem 1. 1. 1997 auch für Frauen aus dem Osten das | |
Westrentenrecht. Nun wurden auch die frühen Kindererziehungsjahre als | |
Verdienst gewertet – machte also bei zwölf mal drei Mark 36 Mark | |
Rentenbeitrag pro Jahr. Ostdeutsche Männer hingegen passten exakt ins neue | |
Anforderungsmuster; ihre Renten genießen bis heute Bestandsschutz. | |
Klingt alles wahnsinnig abstrakt. Konkret aber bedeutet es, dass den Frauen | |
Geld fehlt. Petra Köpping spricht von 300 bis 400 Euro pro Monat und Frau. | |
Lauscht man den Geschichten der Magdeburgerinnen von Armut und Mangel, | |
vergeht einem glatt die Lust auf die allfälligen Hinweise auf die ganze | |
schöne Meinungsfreiheit und das demokratische Recht, endlich frei wählen zu | |
dürfen. | |
Eine von ihnen hat den ganzen Sommer über an Landstraßen Erdbeeren | |
verkauft, sie braucht Geld für neue Zähne. Die andere erzählt von den | |
Geldgeschenken der anderen Großeltern für die Enkel – und dem Buch, das sie | |
gerade so bezahlen konnte. Und noch eine beschreibt, wie sie auf dem | |
Sozialamt abgefertigt wurde, als sie um einen Minikredit für ihre neue | |
Brille bat, abzustottern in 10-Euro-Raten. „Dafür sind Sie zu gut | |
gekleidet“, hat die Bearbeiterin sie angeranzt. Die Frau schluckt schwer, | |
als sie davon erzählt. | |
## Es bohrt und nagt | |
Petra Köpping kennt solche Geschichten. Sie gleichen denen jener Bergleute, | |
die sie politisch unterstützt. Und denen der Eisenbahner, die nach dem | |
Mauerfall von Reichsbahnern zu Bundesbahnern wurden und deshalb bis zum | |
Ende ihres Lebens weniger Rente bekommen als ihre Kollegen aus dem Westen. | |
Als am Mittwoch in Berlin die Ostbeauftragte der Bundesregierung den | |
Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit vorstellt, reagiert sie | |
bedauernd auf die Frage nach den DDR-Rentnern. Sie habe sich mit den | |
Hunderttausenden Fällen „vertieft beschäftigt“, sagt Iris Gleicke. Bei den | |
Koalitionsverhandlungen 2013 habe ihre SPD einen Fonds für die Betroffenen | |
vorgeschlagen; man sei aber leider nicht damit durchgedrungen. Tja. | |
Es sind Ungerechtigkeiten wie die Renten oder die unterschiedlich hohen | |
Mindestlöhne, die die Leute drücken wie ein Kiesel im Schuh. Da mögen | |
Volkswirte noch so kompetent erklären, dass das Leben im Osten billiger ist | |
– die Diskriminierung, das Gefühl der Ungleichwertigkeit bleibt. Es bohrt | |
und nagt. Und am Ende verhalten sich Menschen, die zweitklassig behandelt | |
und abschätzig belächelt werden, exakt entsprechend den an sie gestellten | |
Erwartungen. Für die Bundestagswahlen jedenfalls erwartet Petra Köpping im | |
Osten „krasse Ergebnisse für die AfD“. | |
Eigentlich, findet jedenfalls Köpping, gehe es vor allem um Anerkennung. | |
„Niemand hat die Lebensgeschichte gewürdigt. Niemand hat zugehört.“ Durch | |
die Politik der Treuhand und den als arrogant empfundenen Abbau der | |
desolaten DDR-Industrie sei ab 1990 eine „entwurzelte Arbeiterschaft“ | |
entstanden, der keine Gelegenheit gegeben wurde, Trauerarbeit zu leisten. | |
Fakt sei, dass Biografien entwertet wurden. Und dass Ostdeutsche bis heute | |
als Vorlage für Witzchen und das Aufpolieren von auch nicht jederzeit | |
glänzenden westdeutschen Biografien hergenommen werden. | |
## Es kommen andere Zeiten | |
Die Herablassung ist es auch, die die Frauen in Magdeburg so richtig | |
aufregt. Die wenigsten können sagen, wie viel Geld ihnen durch den Fehler | |
im Einigungsvertrag tatsächlich zustünde. Schlimmer sind die erlittenen | |
Kränkungen, die Ängste, die sie ab 1990 als Alleinerziehende durchzustehen | |
hatten. | |
„Nach der Wende“, erzählt eine von ihnen, „wurde mir gesagt, sie hätten | |
jetzt einen Familienvater, der bräuchte meine Stelle dringender als ich.“ | |
Eine andere, Betriebskrankenschwester, erzählt, wie ihr Chefarzt alle | |
Kolleginnen zusammengerufen und gesagt habe: „Guckt euch alle noch mal im | |
Spiegel an, es kommen andere Zeiten.“ Genauso war es, | |
Betriebskrankenschwestern gab es im Westen gar nicht. | |
Vor allem bei den Jobs fegte die deutsche Wiedervereinigung die | |
ostdeutschen Frauen vom Markt. Hatten sie bis 1989 40 Prozent des | |
Familieneinkommens erarbeitet, waren 1991 40 Prozent aller neuen | |
Stellenangebote ausdrücklich für Männer ausgeschrieben, nur elf für | |
Frauen. Die Zumutungen des Westens waren „Teilzeitjobs“ für Frauen, | |
„Beratungspflicht“ vor Schwangerschaftsabbrüchen und | |
„Elterninitiativ-Kitas“, wo Kinder in lichtlosen Ergeschosswohnungen mehr | |
gehalten als betreut wurden. „In fast allen Führungspositionen sind nach | |
der Wende Männer eingesetzt worden“, sagt Petra Köpping. „Frauen wurden | |
nach Hause geschickt, die neuen Chefs hatten eine völlig neue Einstellung | |
zur arbeitenden Frau. Das ging so weit, dass Frauen in ihre Bewerbung | |
geschrieben haben: Ich habe mich sterilisieren lassen und kriege keine | |
Kinder mehr.“ | |
Für die geschiedenen Frauen, die in der Magdeburger Caritas-Beratungsstelle | |
beisammensitzen, tickt die Uhr. Seit 18 Jahren kämpfen sie, seit sechs | |
Jahren befasst sich sogar der Antidiskriminierungsausschuss der Vereinten | |
Nationen mit ihrem Anliegen. Sie sind alt darüber geworden, einige von | |
ihnen sind schwer krank, viele gestorben. „Es geht um Würde, in Geld | |
ausgedrückt“, sagt eine von ihnen und dreht ihre Kaffeetasse in den Händen. | |
Sie habe vor 28 Jahren gedacht, dass sich das mal gebe mit der Abwertung | |
der Ostdeutschen. „Aber nein, es hört nicht auf.“ | |
7 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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