# taz.de -- Bremer Kinder in Armut: Stigma für die Kinder | |
> Alleinerziehende in Bremen leben in immer unzumutbareren Verhältnissen. | |
> Das geht aus einer umfassenden Befragung der Arbeitnehmerkammer hervor | |
Bild: Jedes dritte Kind in Bremen wächst bei Alleinerziehenden auf | |
BREMEN taz | „Seit 25 Jahren bin ich alleinerziehend; ich habe drei Kinder | |
großgezogen, das jüngste ist jetzt 13. Ich bin 51 Jahre alt und immer am | |
Rande des Burn-out, ich war immer berufstätig und heute fragt man mich zum | |
ersten Mal, wie es mir geht. Danke.“ | |
Dieses Zitat stammt von einer alleinerziehenden Mutter, die wie viele der | |
1.300 von der Arbeitnehmerkammer befragten Alleinerziehenden die Rückseiten | |
des Fragebogens nutzten, wenn die Zeilenlänge für die vorgesehene Antworten | |
nicht mehr ausreichte, um ihre Problemlage zu beschreiben. | |
Genau das war das Ziel der Arbeitnehmerkammer, welche die Befragung mit dem | |
Senator für Arbeit und den Jobcentern Bremerhaven und Bremen durchgeführt | |
hat. Nur 61 Prozent der rund 18.000 Alleinerziehenden im Land Bremen sind | |
erwerbstätig, bundesweit der schlechteste Wert. 54 Prozent der | |
Alleinstehenden mit Kind sind auf Grundsicherung angewiesen. Wenn sie zwei | |
oder mehr Kinder betreuen, sind es sogar 80 Prozent – ebenfalls | |
Negativrekord. Besonders erschreckend: 69 von 100 arbeitslosen | |
Alleinerziehenden haben in Bremen keinen Berufsabschluss. | |
Um herauszufinden, wie sich diese Problemlagen in der Lebenswirklichkeit | |
abbilden, hat die Arbeitnehmerkammer 1.300 Alleinerziehende im | |
Leistungsbezug befragt – 1.239 Frauen und 61 Männer. „Hinter jeder Zahl | |
steckt ein Mensch, eine Familie, persönliche Lebenslagen“, sagt Esther | |
Schröder, Volkswirtin und Referentin für Gleichstellungspolitik bei der | |
Arbeitnehmerkammer, die die Befragung durchführte und auswertete. | |
In Folge wünschten sich die Befragten existenzsichernde Arbeitsplätze, mehr | |
Chancen bei Einstellungsverfahren sowie Vereinbarkeit von Beruf und | |
Familie. Viele fühlten sich aufgrund ihrer Lage sowohl „bei | |
Bewerbungsverfahren als auch generell im Berufsleben diskriminiert“. Laut | |
Schröder ist „unsere Arbeitswelt noch völlig unzureichend auf den Spagat | |
zwischen Beruf und Familie ausgerichtet“. Immer wieder lese sie auf den | |
Fragebögen Formulierungen wie „am Limit“, „Grenze erreicht wegen | |
Mehrfachbelastung“, „Stress zehrt an der Substanz“. „Frei“ und „una… | |
fühlten sich rund sieben Prozent. | |
Die drängendsten Probleme in Bremen sind die für das Selbstwertgefühl nicht | |
ganz unwichtigen Bereiche Arbeit und Wohnen. Gerade bei fehlender | |
beruflicher Qualifikation und infolge dessen schlechter Chancen auf | |
existenzsichernde Arbeit, droht bei gleichzeitig knapper werdendem Wohnraum | |
Armut. „Privaträume werden zu Konflikträumen“, sagt Schröder. „Eine Mu… | |
berichtete, dass sie seit Jahren auf der Couch schlafe, damit die Kinder | |
eigene Zimmer haben.“ | |
Alleinerziehende fühlen sich verdrängt, gettoisiert und empfinden das auch | |
als Stigma für ihre Kinder. „Die Adresse in bestimmten Vierteln ist ein | |
Nachteil bei der Ausbildungssuche der Kinder“, so Schröder, „die | |
Existenzkämpfe binden Kräfte.“ | |
„Siebenmal taucht das Wort ‚Alleinerziehende‘ im Koalitionsvertrag auf“, | |
sagt Schröder, der politische Wille zur Veränderung der dramatischen | |
Gesamtlage sei da. Die Erhebung sei als Grundlage für konkrete Handlungen | |
zu verstehen, die im besten Falle quer durch die Ressorts vom Senat | |
koordiniert werden müssten. Ingo Schierenbeck, Geschäftsführer der | |
Arbeitnehmerkammer führte näher aus: „Wir fordern Bremen auf, ein | |
Experten-Netzwerk zu installieren, das Problemlösungen erarbeitet.“ | |
Alleinerziehende seien deutschlandweit und in Bremen eine „Familienform mit | |
Zuwachs und keine Randgruppe“, so Schierenbeck. Jedes dritte Kind in Bremen | |
wachse heute bei Alleinerziehenden auf, bundesweit jedes fünfte – „diese | |
Familien brauchen eine bessere Lebens- und Arbeitsperspektive“. | |
7 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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