| # taz.de -- Kommentar Familie und Gesellschaft: Schluss mit dem Eltern-Bashing | |
| > Paare, die Kinder kriegen, verdienen keine Häme. Unterstützung in | |
| > finanzieller wie auch in menschlicher Hinsicht ist dringend angesagt. | |
| Bild: Kinderkriegen als Privatsache – sowas von Fifties. Zwillingskinderwagen… | |
| Gerade erst letzte Woche war es wieder so weit. Ich befand mich in einem | |
| Berlin-Mitte-Laden für Kinderbekleidung, als eine Mutter samt | |
| Zwillingskinderwagen hereinrollte. Sie sagte nicht „Tach“ oder so was. | |
| Vielmehr machte sie sich daran, mit ihrem für einen Doppeldecker | |
| ausgesprochen schnittigen, gleichwohl raumgreifenden Gefährt weiter in die | |
| Tiefe des Raums vorzustoßen. Es entstanden umgehend Kollateralschäden. | |
| Pastellfarbene Leibchen segelten von der Kleiderstange zu Boden, | |
| handgewirkte Giraffen und Elefanten fielen vom Regal wie von Gewehrsalven | |
| niedergemäht. | |
| Doch das waren Kleinigkeiten. Das größte Hindernis stellte ich dar: eine | |
| Frau Anfang fünfzig, in ihren Händen ein sauteures Ringelshirt haltend und | |
| still darüber sinnierend, ob dreißig Euro für eine Obertrikotage fürs | |
| Enkelkind nicht doch ein arg stattlicher Preis sein mochten. Diese Frau, | |
| mich, galt es umgehend beiseitezuräumen. | |
| Als die Zwillingsmutter nun also gesenkten Blicks nahte, tat die Frau, also | |
| ich, nicht das, was in Zeiten des alltäglichen Mütterbashings | |
| gesellschaftlich opportun scheint. Ich tat nicht so, als sähe ich die Fuhre | |
| gar nicht. Ich drehte mich nicht extra weg. Ich grummelte nicht | |
| Unverständliches vor mich hin. Stattdessen sprach ich: „Möchten Sie vorbei? | |
| Warten Sie, so, bitte schön.“ | |
| Ich will ehrlich sein: Vor ein paar Jahren hätte ich das anders gehandhabt. | |
| Da wäre ich stehen geblieben und hätte aus den Augenwinkeln beobachtet, wie | |
| die Dame das jetzt schafft: mit ihrem großen Kinderwagen diesen sehr | |
| kleinen Laden zu durchpflügen. Mich hätte sie allenfalls mit einem deutlich | |
| hörbaren „Bitte“ überzeugt, den Weg freizugeben. | |
| ## Der familieninterne Muttertagsboykott | |
| Aber auf so was, auf derlei Spielchen und Kraftproben, habe ich inzwischen | |
| keine Lust mehr. Wie es mir überhaupt an der Zeit scheint, das | |
| Mütter-Bashing einzustellen. Keine Sorge, nicht dass es für diese | |
| Erkenntnis diesen komplett überflüssigen Muttertag bräuchte. Den ignoriere | |
| ich seit Jahrzehnten, jedenfalls so gut es eben geht. Als letztes Jahr | |
| meine erwachsene Tochter prüfend nachfragte, ob es denn weiterhin bei | |
| unserem familieninternen Muttertagsboykott bliebe, musste ich nichts sagen. | |
| Nur finster gucken. | |
| Ich vermute, die Frage war nichts anderes als der in ihrer eigenen | |
| Kleinfamilie entstandene Druck, den sie nahtlos an mich weiterzugeben | |
| versucht hatte. Ihre Tochter, also meine Enkelin, ist eine | |
| Kindergartenbesucherin – und dort wird ab Ende April muttertagsbedingt | |
| gebastelt, dass es eine Art ist. Meine Tochter schien sich also ertappt | |
| gefühlt zu haben, als am zweiten Maiwochenende letzten Jahres von kleinen | |
| Händen eine Muttertagsgabe aus dem Kinderzimmer herbeigetragen ward. | |
| „Juhu!“, sagte sie. Ach du liebes bisschen!, dachte sie. Muttertag, dieses | |
| Hochamt des Floristengewerbes, hatte sie längst verdrängt. Und nun das. | |
| Eine Herzkarte. Quasi als Belohnung fürs Kinderkriegen. | |
| Unter anderem das – die so offensichtlich klaffende Lücke zwischen einer | |
| gesellschaftlich akzeptierten Lobhudelei und der allenthalben hingenommenen | |
| realpolitischen Kühle – hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass es jetzt | |
| wirklich mal gut ist mit dem Eltern-Bashing. Paare, die Kinder kriegen, | |
| verdienen keine Häme, sondern ein bisschen Sympathie und Solidarität. | |
| Vielleicht kriegen sie dann auch endlich etwas bessere Laune. | |
| ## Kleingehaltene und demütige Eltern | |
| Vorausgesetzt allerdings: sie verweigern, erstens, tapfer die ihnen | |
| gesellschaftlich zugewiesene Opferzuschreibung, sie respektieren, zweitens, | |
| ihre keineswegs nur aus anderen Eltern bestehende Umwelt. Und drittens, | |
| dies vor allem, sie erhalten sich ein Mindestmaß an Selbstironie. | |
| Die braucht es nämlich, betrachtet man sich die politischen Gegebenheiten. | |
| Hiesige Mütter gebären zwar ihre 1,5 Kinder in einem der reichsten Länder | |
| der Welt. Das bedeutet aber nicht, dass das politische System ebendieses | |
| Landes für ihr soziales Wohlbefinden, für Sicherheit oder gar Zufriedenheit | |
| sorgt. | |
| Statt Bildung von Anfang an kostenlos zu machen, statt Eltern steuerlich zu | |
| entlasten und ein der realen Jobwelt entsprechendes Arbeitsrecht | |
| durchzusetzen, werden Eltern lieber klein gehalten. Und demütig. | |
| Alleinerziehende auf Hartz IV, steigende Mieten, knappe Kitaplätze – wer | |
| das zu befürchten hat, wird ängstlich. Und Angst, wir sehen es aktuell bei | |
| Pegida und Co, macht aus Menschen übel gelaunte Typen. Zeitgenossen voller | |
| Misstrauen, die ihrer Umgebung gegenüber eher missmutig als nachsichtig | |
| auftreten. | |
| Schon klar, hier geht keiner vor die Hunde. Aber wäre es nicht Zeit, Eltern | |
| das Beste zu geben, was dieses Land anzubieten hat? Geld! In zwei Jahren | |
| wird die Bundesrepublik siebzig Jahre alt. Das ist weiß Gott genug Zeit, um | |
| endlich mal zu kapieren, dass Familien nicht von Luft und Liebe leben. | |
| Sondern dass es in einer begrenzten Lebensphase einfach mal richtig viel | |
| Geld kostet, Kinder zu bekommen. Dieses Geld steht Familien – und ich meine | |
| jede Art von Familie – zu. Kinder zu kriegen und zu haben als | |
| Privatveranstaltung zu sehen, mit der der alternde Rest der Gesellschaft | |
| nicht behelligt werden möchte, ist so was von Fifties. | |
| ## Richtig fette Steuerentlastungen für Familien? | |
| Aus so was, aus den kleckerweise, im Legislaturrhythmus erfolgenden | |
| Kindergeld-Erhöhungen, aus dem Zittern um den Job, aus dem Run auf die eine | |
| angesagte Schule werden im Alltag Leute, die meinen, ihnen werde schon | |
| genug abverlangt. Die Bettelei, die Konkurrenz, der üble Schlafmangel. Da | |
| müssten sie nicht auch noch nett sein. Zum Beispiel zu Frauen, die in | |
| Kinderboutiquen im Weg stehen. Diese Leute, also Eltern, sollten wir | |
| anderen vielleicht mal mit ein wenig Geduld und Freundlichkeit überraschen. | |
| Möglicherweise würde dies zu gegenseitiger Wertschätzung führen. | |
| Die Kassen sind voll. Warum reicht es nicht für tipptopp | |
| Betreungsschlüssel, für faire Bezahlung von PädagogInnen und für Schulen | |
| und Kitas, die die sauteuren privaten Einrichtungen locker über- statt | |
| unterbieten? Für richtig fette Steuerentlastungen für Familien? | |
| Ich meine, worum geht es denn? Um Kinder. Diese süßen Sorgen auf zwei | |
| Beinen, die die Tage heller machen und die Nächte leider allzu kurz. Die | |
| meisten haben welche, alle waren mal welche. Und es geht um Eltern, die | |
| alles störungsfrei zusammenkriegen sollen. Im Job bis abends zur Verfügung | |
| stehen. Auf dem Nachhauseweg in der Bahn mit den Kindern nicht die alternde | |
| Mehrheitsgesellschaft behelligen. Zu Hause vollwertig kochen und wertig | |
| spielen. Privat gesund und sexuell attraktiv bleiben. Nebenher aber auch | |
| Yoga machen, gute Filme gucken und über was anderes reden können als immer | |
| nur die Kinder, Kinder, Kinder. | |
| Diese Leute zu bestärken, ihnen auch mal zuzulächeln oder Platz zu machen, | |
| wenn sie schon unbedingt ihre Kinderwagen in jedes noch so kleine Lädchen | |
| mitnehmen zu müssen meinen – also diese Leute mit Freundlichkeit zu | |
| überwältigen würde nichts kosten. Ihnen alles bereitzustellen, was sie | |
| entlasten könnte, kostet die Gesellschaft etwas. Aber keine Sorge, wäre | |
| nicht für immer. Das Leben ist ein Hauch. Schon bald stehen sie im Weg. | |
| 13 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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