# taz.de -- Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern: Ratlos an der Wüstenfront | |
> Beim Migrationsgipfel in Paris wird über die europäisch-afrikanische | |
> Zusammenarbeit beraten. In der Sahara sind weite Gebiete außer Kontrolle | |
> geraten. | |
Bild: Unüberwindbar? Grenzkontrolle zwischen Libyen und Algerien | |
TUNIS taz | Die unsichtbaren Grenzen in der Saharawüste erleben ein | |
ungeahntes Revival. Der informelle Handel zwischen Libyen, Tschad, Niger | |
oder Sudan ist für die Wüstenvölker zwar zur größten und oft einzigen | |
Einkommensquelle geworden. Aber für die Regierungen sind die offenen | |
Grenzen eine Gefahr. | |
Denn an den Wüstenstraßen von Sudans Hauptstadt Khartum bis in das libysche | |
Kufra, oder von Agadez in Niger in die libysche Hauptstadt Tripolis, sind | |
Märkte für Autos, Waffen, Drogen und Menschen entstanden. | |
Auf dem Pariser Flüchtlingsgipfel am Montag soll das thematisiert werden, | |
und zuvor beriet sich Libyens Interimspremier Fayez Serraj, der die | |
international anerkannte Regierung Libyens führt, in Sudans Hauptstadt | |
Khartum am Sonntag mit Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir. | |
Der warnte, dass „Terroristen“ und „Menschenhändler“ beiderseits der | |
Grenzen riesige Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht hätten. | |
## Wie Sudan in Libyen mitmischt | |
Sudans Präsident ist einer der einflussreichsten ausländischen Mitspieler | |
in Libyens Vielfrontenkrieg. Er setzt auf die Regierung Serraj in Libyens | |
Hauptstadt Tripolis. Dessen Gegenspieler, dem abtrünnigen Armeechef Khalifa | |
Hafter in Ostlibyen, werfen Sudans Geheimdienste vor, Rebellen in | |
Westsudans Krisenregion Darfur zu unterstützen. Die Darfur-Rebellen helfen | |
demnach ihrerseits Hafters Armee in Bengasi. | |
Dutzende prominente sudanesische Radikale sind bei Kämpfen in Bengasi | |
zwischen Hafters Truppen und Islamisten ums Leben gekommen. Die | |
Hafter-treuen Behörden schlossen im Juli das Konsulat Sudans in der | |
südostlibyschen Oasenstadt Kufra, Drehscheibe für Waffen- und | |
Menschenschmuggel. | |
Hafters Offiziere brachten die 12 sudanesischen Diplomaten aus Kufra an die | |
Grenze, vorbei an den Konvois von Toyota-Pick-ups voller Migranten aus | |
Eritrea und Äthiopien, die aus der Gegenrichtung nach Libyen kommen. | |
## Frankreich gegen die „Krokodile“ | |
Die Sorge vor Destabilisierung geht auf den Sturz des libyschen Machthabers | |
Muammar Gaddafi vor sechs Jahren zurück. Damals plünderten Rebellen und | |
Schmuggler die meist in der offenen Wüste liegenden libyschen Waffenlager | |
und verkauften den Inhalt meistbietend. In Mali und der | |
Zentralafrikanischen Republik wurden ab 2012 mit libyschen Waffen Kriege | |
angeheizt. | |
Erst Frankreichs Militäreinsatz in Mali 2013 stoppte die Expansion der | |
„Krokodile“, wie die Radikalen in der Sahara genannt werden, und | |
verwandelte ihren Kampf in einen multinationalen Guerillakrieg mit mehreren | |
Fronten. | |
Der Schmuggel von Benzin, Autos, Waffen und Elektronik aus dem steuerfreien | |
Libyen nach Süden und von Menschen aus Subsahara-Afrika nach Norden ist | |
dabei zur Haupteinnahmequelle geworden. | |
Rund 1.000 französische Soldaten versuchen seit rund zwei Jahren von ihrem | |
Militärstützpunkt Madama in Niger, die Spreu vom Weizen zu trennen. | |
Die täglich aus Agadez kommenden Toyotas mit je 35 Migranten auf der | |
Ladefläche winken sie nach Libyen durch, zusammen mit nigrischen Soldaten. | |
Wer hingegen im Verdacht steht, zu einer radikalen Gruppe zu gehören, | |
verschwindet in einem Gefängnis oder gerät unter Beschuss der französischen | |
Kampfhubschrauber. | |
Die lokalen südlibyschen Kräfte werden dabei nicht einbezogen – stattdessen | |
setzt Frankreich auf die Regierung Serraj in der 1.200 Kilometer entfernten | |
Hauptstadt und will diese mit Hafter in Ostlibyen zusammenbringen. | |
## „Diktatur aus dem Norden“ | |
„Dass man die Schmuggler passieren lässt und mit uns nicht kommuniziert, | |
ist mir ein Rätsel“, sagt der Bürgermeister des südwestlibyschen Gatrun, | |
Ibrahim Shamel. „Wir haben 42 Jahre unter der Machtkonzentration in | |
Tripolis gelitten, wir werden unter keinen Umständen diese Diktatur aus dem | |
Norden akzeptieren. Dessen sind sich die Politiker bei der EU wohl nicht | |
bewusst.“ | |
Die nichtarabischen Minderheiten Libyens – Tuareg und Toubou – wollen sich | |
nicht länger unterordnen. Dies zeigt die Machtübernahme von Toubou in der | |
libyschen Saharametropole Sebha. | |
Die Regierung Serraj hat demgegenüber in Libyens Süden keine | |
Ansprechpartner. Sie will mit dem Geld, das die EU ihr für Grenzsicherung | |
verspricht, in Tripolis Milizen trainieren. | |
Junge Toubou aus Tschad und Libyen verdienen derweil Geld in den | |
Goldschürferstätten bei Gatrun. Damit finanzieren sie Pick-ups, die | |
Migranten nach Sebha bringen. | |
Bürgermeister Shamel ist pessimistisch. „In der Sahara haben neben den | |
Toubou und Tuareg auch Islamisten, Rebellen aus Tschad und aus Sudan sowie | |
kriminelle Banden Zuflucht gefunden. Die Regierungen in Niamey, Tripolis | |
und N’Djamena haben schon lange die Kontrolle über ein Gebiet von der Größe | |
Südeuropas verloren. Ihre Soldaten verdienen sogar am Gold- oder | |
Menschenschmuggel mit.“ | |
Er warnt: „Grenzen und Staaten wurden nach dem Zusammenbruch Libyens durch | |
Schmuggler und lokale Machthaber ersetzt. Die Zeiten zentralistischer | |
Lösungen sind vorbei.“ | |
28 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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