| # taz.de -- Debatte Dieselskandal: Wegsehen stinkt | |
| > Union und SPD unterstützen nach Kräften eine altersstarre Industrie, die | |
| > Menschen krankmacht. Damit muss endlich Schluss sein. | |
| Bild: Wrrrrrrrmmmmm | |
| Das geheime Kartell der Autokonzerne konnte nur gedeihen, weil ein | |
| politisches Kartell es düngte. Alle Parteien, die Grünen ausgenommen, | |
| erklärten den Schutz der deutschen Autoindustrie in den vergangenen | |
| Jahrzehnten zur Staatsräson. Sie alle, die Kanzlerin, die Bundesminister | |
| und die Ministerpräsidenten von CDU, CSU und SPD, parierten, wenn die | |
| Konzernchefs forsch ihre Wünsche vortrugen. | |
| Die Argumente der Konzernbosse klangen immer ähnlich, und die ganz große | |
| Koalition lauschte andächtig: Strengere Abgasregelungen seien leider nicht | |
| zu machen, sie gefährdeten 800.000 Arbeitsplätze, die an der | |
| Schlüsselindustrie hingen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland und seine | |
| Exportkraft seien nun einmal abhängig von der Produktion schwerer | |
| Limousinen mit durchzugsstarken Dieseln. Schließlich begeisterten jene die | |
| Autoliebhaber in aller Welt. | |
| Und was tat Merkel? Im Juni 2013 griff sie zum Telefon, um einen Kompromiss | |
| für strengere Kohlendioxidvorgaben zu stoppen, den alle EU-Mitgliedstaaten | |
| bereits unterschrieben hatten. Der Vorsitzende des Umweltausschusses im | |
| EU-Parlament sagte danach fassungslos: „Das ist das Dreisteste, was ich in | |
| acht Jahren Brüssel erlebt habe.“ Merkel lässt sich neuerdings als | |
| Klimakanzlerin feiern. Aber das Klima ist ihr egal, wenn es um das Auto, | |
| den Fetisch der Deutschen, geht. | |
| Und sie kämpfte nicht allein für das Recht, dicke Profite mit dicken | |
| Luftverpestern zu machen. Der deutsche Staat subventioniert | |
| Dieselkraftstoff bis heute mit über 8 Milliarden Euro pro Jahr – und das | |
| ist für den in die schwarze Null verliebten Schäuble völlig okay. Martin | |
| Schulz focht als EU-Parlamentspräsident vehement für das VW-Gesetz, das das | |
| Land Niedersachsen über die Geschicke der Firma mitbestimmen lässt. Und | |
| selbstverständlich hielt Verkehrsminister Dobrindt Bußgelder für VW im | |
| Abgasskandal für verzichtbar. Wunderte das noch irgendjemanden? | |
| ## Dieseldreck für arme Leute | |
| Besonders traurig ist, dass es bei all dem nicht nur um Jobs, Geld und | |
| Industriepolitik geht, sondern auch um die Gesundheit Tausender Menschen. | |
| Merkel und ihr BMW-höriger Verkehrsminister sollten sich mal mit der Mutter | |
| eines asthmakranken Kindes unterhalten, die an einer viel befahrenen Straße | |
| in München lebt. Das Leben im Dunst macht keinen Spaß, Dieselabgase können | |
| töten – und es sind vor allem arme Leute, die an den Ausfallstraßen wohnen. | |
| Rund 11.400 EU-Bürger sind laut einer US-Studie allein 2015 wegen nicht | |
| eingehaltener Diesel-Abgasgrenzwerte vorzeitig gestorben. Solche Zahlen | |
| sind ungenau, aber sie umreißen die Größe des Skandals. Wenn Politiker den | |
| Abgasbetrug der Industrie decken, brechen sie ihren Amtseid, Schaden von | |
| der Bevölkerung abzuwenden. | |
| Der CSU-Generalsekretär erklärt nun allen Ernstes die Grünen zur „Gefahr | |
| für den Automobilstandort Deutschland.“ Über diese Diffamierung aus dem | |
| vergangenen Jahrhundert müsste man lachen, wäre die Sache nicht so ernst. | |
| Denn natürlich ist das Gegenteil richtig: Die Autoindustrie klammert sich | |
| an ein todkrankes Geschäftsmodell, weil sie auf kurzfristige Rendite | |
| schielt. Sie wird untergehen, wenn sie nicht auf grüne Mobilität setzt und | |
| den Vorsprung von Toyota oder Tesla aufholt. | |
| Nähme Merkel ihr Amt ernst, müsste sie jetzt handeln und das politische | |
| Kartell zerschlagen, dessen Vorstandsvorsitzende sie bisher ist. Sie müsste | |
| Dobrindt feuern, einen unbestechlichen Nachfolger installieren und die | |
| Konzerne mit harter Ordnungspolitik und penibler Kontrolle zu ihrem | |
| Glück, nämlich zu einer verkehrspolitischen Wende zwingen. | |
| Wird Merkel das tun? Man kann das hoffen, glauben sollte man es nicht. Die | |
| Mechanismen des Wegsehens sitzen tief, und Merkels klimapolitische | |
| Ambitionen sind überschaubar. Diese Affäre liefert deshalb ein echtes | |
| Argument, die Grünen in die Regierung zu wählen. Denn sie haben als einzige | |
| Partei durchdacht und aufgeschrieben, was passieren müsste, um die nötige | |
| Wende zu schaffen. | |
| 28 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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