# taz.de -- Debatte Diesel-Gipfel: Kunden ohne Lobby | |
> Die Autobranche ist schwach wie nie, der Druck auf die Politik groß. Vom | |
> Dieselgipfel ist trotzdem keine echte Veränderung zu erwarten. | |
Bild: Die Krise böte die Chance auf eine echte Verkehrswende, doch der Politik… | |
Die Dramaturgie des Dieselskandals hätte kein Bestseller-Autor besser | |
hinbekommen. Beinahe täglich sickern neue [1][schlechte Nachrichten aus der | |
Branche durch]. Von den großen deutschen Herstellern steht nur noch BMW | |
halbwegs sauber da. Sollte sich der Vorwurf von verbotenen | |
Kartellabsprachen bestätigen, ist es auch damit vorbei. Das Herzstück der | |
deutschen Industrie ist trotz glänzender Geschäftszahlen mit Matsch | |
besudelt. | |
Immer deutlicher zeigt sich, dass den Konzernen der Profit [2][wichtiger | |
ist als die Gesundheit von Mensch und Umwelt]. Noch immer wiegeln die | |
Manager mit unglaublicher Arroganz Forderungen nach einer anderen | |
Verkehrspolitik und sauberen Autos ab. | |
In dieser Woche wird sich abzeichnen, ob sie damit weiterhin durchkommen. | |
Es darf jetzt nicht mehr nur darum gehen, dem wichtigsten Industriezweig | |
mit über einer Million Jobs den Rücken freizuhalten. Vielmehr böte die | |
Krise die Chance auf eine echte Verkehrswende. Noch fehlt der Politik aber | |
der Mut dazu. | |
Wer eine Woche der Entscheidungen mit einem Spitzentreffen von Politik und | |
Industrie erwartet, wird danebenliegen. Auf dem Diesel-Gipfel am Mittwoch | |
geht es in erster Linie darum, den vielleicht wichtigsten Grundpfeiler der | |
Wirtschaft zu stabilisieren. Das oberste Ziel lautet, Fahrverbote zu | |
vermeiden. Sie kämen, in Wirtschaftsdeutsch gesprochen, einer | |
millionenfachen Entwertung privaten und gewerblichen Anlagevermögens | |
gleich. Denn wenigstens alle älteren Dieselfahrzeuge verlören kräftig an | |
Wert. | |
## Die Industrie ignoriert Gesundheitsschutz | |
Das bisherige Nachrüstungsangebot der Industrie wird nicht reichen. Das | |
Software-Update verbessert die Luftqualität in den Städten nach Ansicht des | |
Stuttgarter Verwaltungsgerichts und einiger Autoexperten nur geringfügig. | |
Das reicht nicht, um die europäischen Grenzwerte einzuhalten – über die man | |
gut streiten kann. Die Luft am Arbeitsplatz darf 20-mal so hohe | |
Stickoxidwerte aufweisen wie die auf der Straße. | |
Dabei ist erwiesen, dass mehr Menschen durch die Schadstoffe vorzeitig | |
sterben, als es Verkehrstote auf den Straßen gibt und nicht jeder | |
Arbeitsplatz schadstoffbelastet ist. Den Gesundheitsschutz hat die | |
Industrie bewusst ignoriert. Die Wortwahl so mancher ans Licht gekommener | |
interner Mail spricht Bände. Da wird „kritisch“ genannt, was schlicht | |
verboten ist. | |
Die Unternehmen müssen für eine echte technische Verbesserung der | |
Diesel-Flotten sorgen und die Kosten dafür komplett übernehmen. Der | |
Verkehrsminister und manche Länder würden sich schon mit der kleinen Lösung | |
des Softwareupdates zufrieden geben, wenn betroffene Autobesitzer oder | |
Steuerzahler nicht zur Kasse gebeten werden. Kurz vor der Bundestagswahl | |
wäre das auch nicht vermittelbar. Doch auf Zusagen der Unternehmen sollte | |
sich niemand mehr verlassen. Es muss eine klare Ansage geben, mit welchen | |
Maßnahmen welche Umweltentlastung erreicht wird. Und die Kosten dürfen | |
nicht sozialisiert werden. | |
## Die Bosse halten sich für unangreifbar | |
Kurz vor dem Gipfel ist diese Botschaft in den Chefetagen immer noch nicht | |
angekommen. Allein das Wissen um die Bedeutung ihrer Branche hat deren | |
Bossen offenkundig das Gefühl gegeben, unangreifbar zu sein. Das sind sie | |
nicht, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen. Andere Länder verbieten den | |
Verbrennungsmotor in einer absehbaren Zeit. | |
Die Unternehmen verlieren an der Börse an Wert. Und es stehen weitere | |
Strafandrohungen im Raum. Dass die Amerikaner nicht zimperlich sind, wenn | |
es um die Bestrafung auch hochrangiger Manager sind, ist bekannt. | |
Kartellabsprachen könnten auch Topleute auf die Fahndungsliste bringen. | |
Etwas Demut der Verantwortlichen für das Desaster wäre angezeigt. | |
Fraglos trägt die Politik durch zu langes Wegschauen Mitschuld an der | |
Entwicklung. Doch die Autohersteller haben gleich auf mehreren Ebenen | |
versagt. Sie haben den Zukunftstrend E-Mobilität ignoriert, weil sie mit | |
den herkömmlichen Antriebstechnologien viel Geld verdienen. Der Mut, mit | |
dem Bau von Batteriefabriken das Kernstück der Wertschöpfung von | |
Elektroautos ins Land zu holen, fehlte lange. Die Unternehmen haben sich | |
erst spät auf die Suche nach neuen Ertragsquellen wie dem Carsharing | |
gemacht, die durch notwendige Vernetzung der Verkehrsträger entstehen. | |
## Feigenblatt Mobilitätsfonds | |
Geschlafen haben die Konzerne gleichwohl nicht. Mehr als ein Drittel aller | |
weltweiten Patentanmeldungen in Zusammenhang mit E-Mobilen stammt aus | |
Deutschland. Man muss allerdings aus Patenten auch Produkte machen. Ohne | |
den von Tesla ausgeübten Druck hätte sich die Branche wohl nie bewegt. | |
Jetzt muss sie von sich aus eine Verkehrswende einleiten, wenn sie im | |
internationalen Wettbewerb mithalten will. Sonst machen andere das | |
glänzende Geschäft mit der Mobilität. Wie das geht, zeigt neben Tesla die | |
Post, die ihre elektrischen Lieferwagen [3][mittlerweile selbst | |
produziert]. | |
Die Politik hätte nun die Chance, mit einem zukunftsfähigen Verkehrskonzept | |
auf die wachsende Mobilität bei dringendem Umweltschutz zu reagieren. Sie | |
sollte die momentane Schwäche der sonst übermächtigen Autolobby dafür | |
nutzen. Ein industriefinanzierter Mobilitätsfonds für saubere Luft ist | |
wieder nur ein Feigenblatt. Auf Dauer notwendig sind Konzepte für mehr | |
Mobilität bei geringerem Verkehrsaufkommen und sinkendem | |
Ressourcenverbrauch. Doch darüber diskutieren am Mittwoch fast nur | |
Politiker aus Autoländern. Zur Verkehrsrevolution ruft diese Runde gewiss | |
nicht auf. | |
Schließlich muss die Bundesregierung endlich dafür sorgen, dass betrogene | |
Kunden ihre Rechte gegenüber Konzernen auch durchsetzen können. Ein guter | |
Gesetzentwurf für eine Musterfeststellungsklage liegt vor. Ein Bekenntnis | |
zur Umsetzung nach der Wahl wäre ein gutes Zeichen. | |
Die Teilnehmerliste des Gipfels lässt darauf nicht hoffen. | |
Verbrauchervertreter und Umweltschützer müssen draußen bleiben. Nicht | |
einmal der zuständige Justiz- und Verbraucherminister wurde eingeladen. Die | |
hinters Licht geführten Kunden haben keine Lobby in Bund und Ländern. Sie | |
bleiben mit der Furcht vor dem Wertverlust ihrer Autos und drohenden | |
Fahrverboten allein. | |
1 Aug 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Deutschen-und-das-Auto/!5429985 | |
[2] /Debatte-Dieselskandal/!5430023 | |
[3] /Post-baut-Elektroautos/!5024771 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Mulke | |
## TAGS | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Automobilbranche | |
Dieselskandal | |
Automobilindustrie | |
Diesel | |
Diesel | |
Dieselskandal | |
Diesel | |
Dieselskandal | |
Automobilbranche | |
Diesel | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Automobilbranche | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Diesel-Gipfel musste verlegt werden: Konzerne in die Flucht geschlagen | |
Das Treffen von Politik und Autoindustrie hat begonnen – aber im Innen- | |
statt im Verkehrsministerium. Das wurde von Demonstranten belagert. | |
Kommentar Dieselgipfel: Das Staatsversagen geht weiter | |
Der Dieselgipfel wird keine wirksame Lösung bringen, solange die Politik | |
sich weiter den Willen der Autoindustrie aufzwingen lässt. | |
Positionen beim Diesel-Gipfel: Vorfahrt für Konzerne | |
Die Industrie möchte den Dieselskandal mit einer preiswerten Lösung hinter | |
sich lassen. Die Politik wird sie wohl damit durchkommen lassen. | |
Einladung zum „Dieselgipfel“: Ökos müssen leider draußen bleiben | |
Verbraucher- und Umweltverbände wurden zum Dieselgipfel nicht eingeladen. | |
Die Aktivisten wollen vor Gericht Fahrverbote erreichen. | |
Dieselskandal in der Autoindustrie: Maas will Musterklage ermöglichen | |
Der Justizminister spricht sich für eine Musterklage gegen die Autokonzerne | |
aus. Bei einer solchen Klageform schließen sich betroffene Verbraucher | |
zusammen. | |
Forderungen vor dem Diesel-Gipfel: Umweltministerium gegen Kaufhilfe | |
Die Ministerpräsidenten von Bayern und Niedersachsen wollen | |
Steuererleichterungen für neue Diesel-Autos. Unklar ist indes, wie die | |
Umrüstung passieren soll – und wer zahlt. | |
Die Deutschen und das Auto: Die Sehnsucht nach dem Knall | |
Erst Dieselskandal, jetzt Kartellverdacht: Das deutsche Auto ist unter | |
Beschuss wie nie. Warum kommen wir dennoch nicht los? | |
Debatte Dieselskandal: Wegsehen stinkt | |
Union und SPD unterstützen nach Kräften eine altersstarre Industrie, die | |
Menschen krankmacht. Damit muss endlich Schluss sein. |