# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Law-and-Order-Politik, bitte! | |
> Deutschland war immer für das Auto. Die Grünen waren gegen das Auto, sie | |
> wurden sogar gegen das Auto gegründet. Und jetzt? | |
Bild: Konzernzentrale der Daimler AG, Stuttgart-Untertürkheim | |
Deutschland war für das Auto. Was denn sonst? Die Grünen wurden gegen das | |
Auto gegründet. Für die Grünen-Wähler war es eine ästhetische Geste des | |
Nicht-Einverstandenseins mit den Zuständen. Selbstverständlich fuhren die | |
meisten aber auch mit dem Auto zum KV-Treffen. | |
Und nun? Es gibt starke Anzeichen, dass die Autoindustrie die | |
Bundesregierung so im Würgegriff hat wie die Schlange die Laokoon-Gruppe. | |
Und manche Staatskanzlei offenbar auch. Der Vorwurf der Woche lautet: | |
„politindustrielles Kartell“ (Zeit).Verknappt: Regierungspolitiker haben | |
regulierende, auf die Zukunft gerichtete Politik vermieden, um die | |
Gegenwart minimal zu verlängern, also Arbeitsplätze und Wohlstand durch | |
betrügerischen Verkauf von Autos mit zukunftsfeindlichen und | |
gesundheitsschädlichen Verbrennungsmotoren. Konzerne haben auch dadurch | |
Abermilliarden verdient, dass sie ihre Kunden getäuscht haben. | |
Große Empörung. Oder naja, bisher eher kleine Empörung. | |
Automobilkonzerne haben andere Mittel, Politik für sich machen zu lassen, | |
als Kinder, Afrikaner und lobby- oder gar gewerkschaftslose Lohnarbeiter | |
und prekäre Selbständige. Das ist im Exzess demokratiegefährdend. Aber | |
Städte, Regionen, Bundesländer, Schulen, Kultur, Sport hängen an den | |
Gewinnen dran. Alle sind irgendwie verstrickt. 99 Prozent der Autobesitzer | |
in Deutschland haben Autos mit Verbrennungsmotoren. Wer zwei winzige Kinder | |
hat, denkt schon, er brauche einen SUV. Und der flammende „Jetzt muss | |
Kretschmann aber mal…“-Leitartikler steigt abends auch in seinen neu | |
geleasten Turbodingsbums. | |
## So als Ideal-Geste | |
Bis heute hat sich deshalb die Idee gehalten, die Grünen müssten gegen das | |
Auto sein. So als Ideal-Geste. Während in der Realität alle immer größere | |
Autos fahren. | |
Das gleicht sich aber nicht aus und ist tragisch überholt. Wenn man sich | |
die Parteiprogramme ansieht, dann könnte man die Grünen heute als die | |
einzige Autopartei betrachten. Und als Realos der Mobilität. Zu diesem | |
Realismus gehören aus Gründen der Lebensqualität Städte mit mehr | |
Fahrradkultur. Aus Klimarealismus gehört dazu das geregelte Ende des fossil | |
betriebenen Autos und wegen der Wohlstands- und Arbeitsplatzbewahrung die | |
Konversion der Autokonzerne zu Mobilitätsdienstleistern. Das hat überhaupt | |
nichts mit Ökosozialismus zu tun, oder dass nun alle Ökos werden. Das ist | |
nichts weiter als das Projekt jener ökologischen Modernisierung, deren | |
Ziele beim Klimagipfel von Paris die ganze Welt unterschrieben hat: | |
Erneuerbare Energien statt Kohle, Rückzug aus der industriellen | |
Fleischproduktion, ein Ende des Flächen- und Naturverbrauchs. | |
Die Frage ist also: Wie kann man Autofahrer und Currywurstesser (also uns) | |
dafür gewinnen, das als tragenden Teil eines Regierungsauftrags zu fordern, | |
der dann von Politikern wirklich ausgeführt wird, indem sie einen | |
verlässlichen Rahmen mit Gesetzen und Zielen vorgeben, die sie | |
kontrollieren und gegebenenfalls sanktionieren. Es klingt seltsam, aber es | |
braucht hier seriöse Law-and-Order-Politik. Denn das ist das Gegenteil des | |
Status Quo. | |
Wird man dafür gewählt? Nur wenn klar ist, dass diese Regierung eben auch | |
ganz andere Dinge tut, die wiederum anderen Leuten wichtig sind. Die | |
erfolgreichen neuen Bewegungen sind keine Kollektive, sondern Formationen | |
von Nicht-Gleichen. Die Philosophin Isolde Charim hat so das Geheimnis des | |
Macronismus beschrieben. Die Mehrheit für die ökologische Modernisierung | |
ist nicht links und nicht konservativ und schon gar nicht urgrün. Sie ist | |
neu. Nur jemand, der das versteht, kann die Nicht-Gleichen jenseits der | |
Parteien und Ex-Lager dafür zusammenbringen. | |
30 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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