| # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Wen kann ICH noch wählen? | |
| > Die einen tendieren zu „Frau Merkel“, die zweiten zu Lindner von der FDP | |
| > und die dritten zu sich selbst. Eine aktuelle Wähleranalyse. | |
| Bild: Der angenehm abgekämpft aussehende Linder wird von denen gewählt, die f… | |
| Mein absoluter Lieblingssatz dieser Tage lautet: „Also, ICH weiß gar nicht, | |
| wen ICH noch wählen kann!“ Okay, wir sind inmitten eines weiteren | |
| Bundestagswahlkampfes, in dem nicht über die zukunftsentscheidenden Dinge | |
| gesprochen wird. | |
| Das ist ein Problem. Aber hinter dieser im Empörungsmodus vorgetragenen | |
| Klage steht zu oft undemokratische Selbstverliebtheit. Das Gefühl, dass die | |
| zur Wahl stehenden demokratischen Parteien den eigenen Ansprüchen an | |
| Solidarität und Nonkonformismus, an universalistische Moral und | |
| Haltungsästhetik, nicht annähernd genügen. Auch oder gerade jene Partei | |
| nicht mehr, die man sonst immer wählte. | |
| Ich frage dann gern: Welche drei realistischen politischen Projekte sind | |
| denn für Sie zentral? Dann ist Schweigen im Walde. | |
| Die zweite emotionale Dynamik in den Milieus, die mir zugänglich sind, | |
| konzentriert sich in der Frage: Soll ich Frau Merkel wählen? (Man sagt ja | |
| jetzt „Frau Merkel“.) Das sind Leute, die Frau Merkels Politikmix aus | |
| Sozialdemokratie, identitätspolitischer Liberalität und sozialökologischer | |
| Apathie als verlässlichen Umgang mit einer Welt schätzen gelernt haben, in | |
| der es – laut Peter Sloterdijk – fast nur darum geht, unter verschiedenen | |
| Übeln das für den Moment kleinste zu finden. Dennoch sind diese Menschen | |
| hin- und her gerissen, weil sie mit der Union kulturell nichts zu tun haben | |
| wollen und Frau Merkel wählen nicht dem idealistischen Bild entspricht, das | |
| sie von sich selbst entworfen haben. Ihnen zittert jetzt schon die Hand | |
| beim Gedanken an die Wahlkabine. | |
| ## Bewegung weg von den Grünen | |
| Auch die dritte neue Bewegung führt von den Grünen weg. Hier lautet die | |
| Frage: Wen wähle ich, wenn ich mich jung, digital, nonkonformistisch und | |
| ,ähem, leistungsbereit fühle, ohne Festanstellung, und das vielleicht sogar | |
| absichtlich? Die wahrscheinlichste Antwort: Lindner. Es ist noch offen, wie | |
| es sich wirklich mit dem Politikangebot der FDP verhält für diese Jungen, | |
| die eben keine „Klasse“ sind, sondern Einzelkämpfer auf der Suche nach | |
| politischer Repräsentation. Aber es sieht aus, als seien nicht mehr die | |
| Grünen, sondern als sei im Moment der FDP-Spitzenkandidat die | |
| Identitätsprojektion. | |
| Das darf aber nicht sein? | |
| Tja. Dagegen hilft jedenfalls kein Skandalisierungsversuch von Lindners | |
| Ukraine-Position. Diese Individualisten wollen nicht Teil eines Kollektivs | |
| sein, das sich über permanente Gesinnungschecks und Empörungsrituale selbst | |
| die Pfoten abschleckt. Sie wollen auch nicht den „Mehr Gerechtigkeit für | |
| alle“-Chören von Gotthilf Schulz beitreten. Sie wollen akzeptiert sein und | |
| politisch unterstützt werden in dem, was sie sind und machen – nämlich ihr | |
| Ding. Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident Robert Habeck hat so im | |
| Spiegel den Erfolg von Emmanuel Macron entschlüsselt, der im | |
| halblinks-halbrechts-Denkstandard nicht zu begreifen ist. Für Habeck | |
| besteht der Sprung darin, eine politische Form und Sprache gefunden zu | |
| haben, die „das Subjektive, das Nicht-Gleiche aufgenommen und formuliert“ | |
| habe. So hat Macron – wie zuvor Winfried Kretschmann – eine neue Mehrheit | |
| der Nicht-Gleichen zusammengebracht. Dadurch ist man – theoretisch – an dem | |
| Punkt, an dem man endlich nicht mehr sagen muss, wer und wie man nicht ist. | |
| Sondern klären kann, was man zusammen erreichen will. | |
| Während SPD und Grüne ihre Spitzenkandidaten klein halten, hat Angela | |
| Merkel es geschafft, weit über die traditionelle Verortung einer Partei | |
| hinauszuweisen. Das ist, bei allen internen Problemen, das Erfolgsprinzip | |
| und die Zukunft. Wer das versteht und dann auch noch sprechen kann, der | |
| wird eine neue Mehrheit gewinnen. Womöglich sogar für sozialökologische | |
| Politik. Allerdings bis auf weiteres nicht innerhalb der Grünen Partei. | |
| 12 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
| ## TAGS | |
| Christian Lindner | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| Wahlen | |
| Bündnis 90/Die Grünen | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Deutschland | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Energiewende | |
| FDP | |
| Cem Özdemir | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Die eine Frage: Ein Auto ist kein Atomkraftwerk | |
| Es geht um schlechte Luft, um „Umwelt“, das sind grüne Kernthemen. Aber | |
| warum profitieren die Grünen nicht vom Dieselskandal? | |
| Kolumne Die eine Frage: Ist Deutschland super? | |
| Joschka Fischer sagt, Deutschland habe sich wunderbar entwickelt. Er sei | |
| „Deutscher. Durch und durch“. Das ist eine sehr gute Nachricht. | |
| Phoenix-Interview mit Angela Merkel: Dämpfer für die FDP | |
| Lieblingskoalition Schwarz-Gelb? Nö. Man führe keine Koalitionswahlkämpfe, | |
| sagt die Kanzlerin Merkel mit einem Seitenhieb. | |
| Beginn der heißen Wahlkampfphase: Ab jetzt wird fest versprochen | |
| CDU-Kandidatin Angela Merkel will Vollbeschäftigung. SPD-Kandidat Martin | |
| Schulz will mehr Polizisten, denn in Deutschland werde Gewalt zu oft | |
| verharmlost. | |
| Kolumne Die eine Frage: Law-and-Order-Politik, bitte! | |
| Deutschland war immer für das Auto. Die Grünen waren gegen das Auto, sie | |
| wurden sogar gegen das Auto gegründet. Und jetzt? | |
| Kolumne Die eine Frage: Links, linker, grün | |
| Würde, würde, Fünf-Prozent-Hürde. Sind die Grünen womöglich die | |
| solidarischste Gerechtigkeitspartei – und wissen es selbst nicht? | |
| Kolumne Die eine Frage: Zukunft wird aus Neuem gemacht | |
| Wie machen Grüne die Welt wirklich besser? Lukas Beckmann, ein Protagonist | |
| aus der Zeit der Parteigründung, hat die Antwort. |