| # taz.de -- Arbeitsbedingungen bei Foodora und Co: Die Revolte der neuen Dienst… | |
| > FahrerInnen unter Druck, Profite streichen andere ein. Es regt sich | |
| > Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten wie Foodora. | |
| Bild: Haben nicht nur an der Essenslast zu tragen: FahrerInnen von Lieferdienst… | |
| Umweltfreundlich, qualitätsbewusst, hip: So präsentieren sich die | |
| Essenslieferdienste Foodora und Deliveroo ihren Kunden. Eine Flotte von | |
| Fahrradkurieren liefert für sie europaweit Gerichte von den laut | |
| Eigenwerbung „besten Restaurants“ direkt nach Hause oder ins Büro: | |
| CO2-neutral, in maximal 30 Minuten. Ihren Fahrern versprechen Foodora und | |
| Co. Flexibilität, guten Lohn und die Aufnahme in ein junges, dynamisches | |
| „Start-up-Team“. | |
| Seit einiger Zeit aber bekommt dieses Bild Risse. Vor etwa einem Jahr | |
| gingen Fahrer in Großbritannien zum ersten Mal gegen Deliveroo auf die | |
| Straße. Seitdem formiert sich europaweit Widerstand gegen beide | |
| Unternehmen: Von Marseille über Wien bis Leeds kämpfen Kampagnen für | |
| grundlegende Arbeitsrechte und bessere Arbeitsbedingungen. In Berlin | |
| organisieren sich Fahrer beider Unternehmen gemeinsam in der Kampagne | |
| #deliverunion. | |
| Ihre Kritik: Im Namen der Flexibilität unterwandern Deliveroo und Foodora | |
| arbeitsrechtliche Mindeststandards. Hinter ihrem freundlichen Image | |
| verbirgt sich knallharte Kalkulation zulasten der Beschäftigten. Zusammen | |
| mit Uber, Amazon und Co. stehen die beiden Start-ups damit für eine | |
| Entwicklung, die unter Schlagworten wie „Gig-Economy“, „Arbeit auf Abruf�… | |
| und „Plattform-Kapitalismus“ zunehmend Eingang in die öffentliche Debatte | |
| findet. An die Stelle von festen Arbeitszeiten treten dabei einzelne | |
| Aufträge („gigs“) oder kurze Schichten, die nach Bedarf des Unternehmens | |
| kurzfristig vergeben werden. So werden prekäre Arbeitsbedingungen | |
| geschaffen und, in Verbindung mit der Digitalisierung, wird die | |
| gewerkschaftliche Organisierung erschwert. | |
| Die Arbeitsabläufe bei Foodora und Deliveroo sind beinahe vollständig | |
| digitalisiert. Der Schichtplan wird über eine Online-Plattform erstellt; | |
| über die Vergabe der einzelnen Schichten entscheidet ein Algorithmus. Wenn | |
| Fahrer nicht genügend Arbeitsstunden zugeteilt bekommen – was die Regel ist | |
| –, suchen sie über die Plattform oder in WhatsApp-Gruppen nach freien | |
| Schichten. Auch die Kommunikation mit dem Büro verläuft teilweise digital | |
| und oft anonym – was einen gemeinsamen Arbeitsraum größtenteils überflüss… | |
| macht. | |
| ## Psychischer und physischer Druck | |
| Um überhaupt für eines der beiden Unternehmen arbeiten zu können, benötigt | |
| man neben einem Fahrrad ein Smartphone der neueren Generationen, denn der | |
| Arbeitsalltag wird von einer App bestimmt. Diese übermittelt den jeweils | |
| aktuellen Standort der Fahrer. Jede Schicht beginnt mit dem Log-in in die | |
| App; einloggen kann sich nur, wer sich im vorgesehenen Startgebiet | |
| befindet. So wird das Smartphone zur digitalen Stechuhr. Während der | |
| Schichten ist es wiederum ein Algorithmus, der die online eingehenden | |
| Essensbestellungen den Fahrern zuteilt. | |
| Die App misst auch die Leistung der Kuriere. Auf dieser Grundlage erstellen | |
| Foodora und Deliveroo Statistiken etwa über Durchschnittsgeschwindigkeit | |
| beim Fahren oder Treppensteigen und die durchschnittliche Anzahl der | |
| ausgefahrenen Bestellungen. Der Lohn der Fahrer hängt teilweise von diesen | |
| Statistiken ab. Bei Foodora gibt es ein sogenanntes leistungsbasiertes | |
| Bonussystem: Wer im Monatsdurchschnitt mehr als 2,2 Lieferungen pro Stunde | |
| schafft und mindestens 20 Stunden pro Monat am Wochenende arbeitet, erhält | |
| rückwirkend einen Euro zusätzlich für jede gearbeitete Stunde. Für die | |
| „freien Mitarbeiter“ bei Deliveroo dagegen gibt es gar keinen festen | |
| Stundenlohn mehr, sondern nur noch etwa fünf Euro je ausgelieferter | |
| Bestellung. Für die Fahrer bedeuten diese Bedingungen eine hohe psychische | |
| und physische Belastung und große finanzielle Unsicherheit. | |
| ## Die Investoren erwarten Rendite | |
| Für Foodora und Deliveroo ist die Digitalisierung dagegen Geschäftsmodell. | |
| App, Webseite und Algorithmen sind im Wesentlichen das, was sie zur | |
| Wertschöpfungskette beisteuern. Sie bieten damit eine Plattform, über die | |
| Bestellungen zwischen Restaurants, Fahrern und Kunden vermittelt werden. | |
| Etwa 30 Prozent des Umsatzes erhalten sie von den Restaurants als | |
| Provision, eine Liefergebühr in Höhe von 2,50 Euro von den Kunden. Ihre | |
| digitalen Dienstboten bezahlen sie zwar selbst, doch ein Großteil der | |
| Kosten für deren Arbeitsmittel – Fahrrad und Smartphone – wird an die | |
| Fahrer ausgelagert. | |
| Seit der Gründung von Foodora in München 2014 und von Deliveroo in London | |
| 2013 schreiben die weltweit agierenden Unternehmen noch rote Zahlen. | |
| Ähnlich wie im Fall des Fernbusunternehmens Flixbus besteht ihr | |
| unternehmerisches Konzept darin, den jeweiligen Konkurrenten in einem | |
| erbitterten Preisunterbietungswettbewerb vom Markt zu verdrängen und sich | |
| so in Monopolstellung zu bringen. Diese Strategie ist nur durch | |
| langfristige, risikoreiche Investitionen möglich. Investoren aber erwarten | |
| Rendite. | |
| Beide Unternehmen sind also einem doppelten Preisdruck ausgesetzt: | |
| Einerseits müssen sie ihre Preise niedrig halten, um im Konkurrenzkampf | |
| bestehen zu können; andererseits brauchen sie (perspektivisch) große | |
| Gewinnmargen, um ihre Investoren nicht zu verärgern. | |
| ## Auf Lohn verzichten fürs „Team“? | |
| Dieser Druck wird an die Fahrer weitergegeben. Das passt zur Rhetorik der | |
| Unternehmen: Sie gerieren sich als kleine „Start-up-Teams“, die ums | |
| Überleben kämpfen, und suggerieren, die Fahrer seien Teil dieser „Teams“. | |
| Stets freundlich teilen sie ihren Beschäftigten in regelmäßigen Abständen | |
| weitere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen mit. In dieser | |
| „Team“-Rhetorik sind Lohnkürzungen oder die Abschaffung von Zuschlägen | |
| lediglich kurzfristige Nachteile, die die Fahrer zum Wohle des | |
| Unternehmenswachstums doch sicher in Kauf nähmen. Schließlich machten sie | |
| ihren Job ja gerne – und wollten ihn nicht verlieren. | |
| Mit dieser Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche setzen Foodora und Co. | |
| ihre Fahrer unter Druck und verschleiern die fundamental entgegengesetzte | |
| Interessenlage der Arbeiter auf der einen und der Investoren und Manager | |
| auf der anderen Seite. Denn während erstere das Unternehmensrisiko | |
| (mit-)tragen, indem sie auf gerechten Lohn „verzichten“ und ihre | |
| Arbeitsmittel selbst stellen, werden Profite ausschließlich an die | |
| Investoren fließen. | |
| ## Flexibilität als Trugbild | |
| Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Marke „Start-up“ ist die | |
| Flexibilität. Wer für die digitalen Lieferdienste arbeite, genieße | |
| größtmögliche Freiheit in der Einteilung der Arbeitszeit und könne sich | |
| „schnell mal ein paar Euro dazu verdienen“. | |
| De facto ist die Kuriertätigkeit allerdings Haupt- oder sogar einzige | |
| Einnahmequelle vieler Fahrer. Auch bei der Flexibilität stehen die | |
| Interessen der Arbeiter denjenigen des Unternehmens diametral entgegen. | |
| Gibt es mehr Schichten als Fahrer, können sich diese ihre Arbeitszeit | |
| flexibel einteilen. Ist das Verhältnis dagegen umgekehrt, entsteht ein | |
| Konkurrenzkampf um Schichten, der dem Unternehmen in die Hände spielt. Um | |
| eine ausreichende Anzahl an Stunden arbeiten zu können – und damit ein | |
| existenzsicherndes Einkommen zu haben –, müssen die Fahrer ständig auf | |
| Abruf sein und jede Schicht annehmen, die sie kriegen können. | |
| So werden sie aus Unternehmenssicht zu einer flexibel einsetzbaren Masse an | |
| Arbeitskraft; die Optimierung der Arbeitsabläufe ist damit garantiert. Auch | |
| hier ist also wieder eine Verlagerung des Unternehmensrisikos auf die | |
| Arbeiter zu beobachten, die hinter dem Trugbild der Flexibilität | |
| verschwimmt. | |
| ## Organisierbar nur mit langem Atem | |
| Sowohl die Unzufriedenheit als auch die Solidarität der Fahrer | |
| untereinander sind groß. Fahrer beider Unternehmen sind über WhatsApp | |
| organisiert. Auf jedem Organisationstreffen der #deliverunion stoßen neue | |
| Beschäftigte dazu. Die europaweite Vernetzung der Kurierfahrer und das | |
| wachsende Interesse der medialen Öffentlichkeit an den Arbeitsbedingungen | |
| in der „Gig-Economy“ geben der Kampagne zusätzlichen Schwung. In Berlin | |
| geraten beide Unternehmen zusehends unter Druck. Nach einer Fahrraddemo im | |
| Mai bekam Foodora E-Mails von Kunden, die erklärten, sie würden aufgrund | |
| der schlechten Bedingungen kein Essen mehr bestellen. | |
| Trotz erheblicher Schwierigkeiten ist das neue digitale Prekariat also | |
| keineswegs unorganisierbar. Um den neuen Formen der Ausbeutung etwas | |
| entgegenzusetzen, sind aber neue Strategien nötig. Wenn das Smartphone die | |
| moderne Stechuhr ist, dann müssen Online-Plattformen und Nachrichten-Apps | |
| zum digitalen Treffpunkt der Arbeiter werden. Wenn die Imagekampagnen der | |
| Unternehmen zunehmend über soziale Netzwerke laufen, wird man ihnen mit | |
| Flugblättern allein nicht viel entgegensetzen können. | |
| Fest steht allerdings schon jetzt: Für ihren Arbeitskampf werden die | |
| Fahrradkuriere einen langen Atem brauchen. | |
| 22 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Georgia Palmer | |
| ## TAGS | |
| Foodora | |
| Deliveroo | |
| Arbeitskampf | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Hubertus Heil | |
| Lieferservice | |
| Liebeserklärung | |
| Lieferdienste | |
| Foodora | |
| Foodora | |
| Foodora | |
| Foodora | |
| Gleichberechtigung | |
| Arbeit | |
| FAU | |
| Share Economy | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Arbeitsschutz bei Onlineplattformen: Gegen Ausbeutung von Crowdworkern | |
| Lieferando & Co stehen schon lange in der Kritik. Bundesarbeitsminister | |
| Heil will nun gegen Billiglöhne auf Digitalplattformen vorgehen. | |
| Prekäre Arbeit beim Lieferservice: Sigrid kämpft für die Kollegen | |
| Die 70-jährige Ex-Auslieferin Sigrid Melanchthon will schlechte | |
| Arbeitsbedingungen nicht hinnehmen. Durch Corona haben sie sich weiter | |
| verschärft. | |
| Geschäftsmodell Online-Lieferdienste: Start-up abgezogen | |
| Ein Gastronom entdeckt, dass ein Lieferservice sein Essen illegal online | |
| verkauft. Die Geschäftspraktik nutzt er, um selbst Profit zu | |
| erwirtschaften. | |
| Lieferdienstmarkt in Europa: Fusion zweier Schwergewichte geplant | |
| Das niederländische Unternehmen Takeaway will die drei Lieferdienste des | |
| Berliner Unternehmens Delivery Hero aufkaufen. Die Plattformen sollen | |
| vereint werden. | |
| Kritik an Fahrradkurierdiensten: „Die Leute wollen ja fahren“ | |
| Wegen mieser Arbeitsbedingungen stehen Rad-Essenslieferdienste im Fokus. | |
| Darf man noch bestellen? Ein Treffen mit Ridern. | |
| Kurier-Gewerkschaft in Großbritannien: Gig-antische Vertretung | |
| In der Gig-Economy herrscht Individualisierung. Wenige Beschäftigte sind | |
| organisiert. In Großbritannien vertritt nun eine Gewerkschaft die | |
| Arbeitenden. | |
| Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten: Protest mit Schrott | |
| Mitarbeiter der Lieferdienste Foodora und Deliveroo protestieren, weil sie | |
| die Reparaturkosten für ihr Fahrrad selbst tragen müssen. | |
| Arbeitskampf bei Foodora: Pink ist die Hoffnung | |
| Fahrradkuriere der Deliverunion erklären die Verhandlungen mit Foodora für | |
| gescheitert. Für Freitag rufen sie zu einer Kundgebung auf. | |
| Studie über flexible Arbeitsmodelle: Flexi-Arbeit hat Tücken – für Männer | |
| Frauen im Homeoffice können besser abschalten – mit Haus- und Sorgearbeit | |
| seien sie „typischerweise geübtere Grenzgängerinnen“. | |
| Entlohnung von Essenskurieren: Arbeit auf Abruf | |
| Das Risiko werde vom Unternehmen auf die Fahrer verlagert, sagen Kritiker. | |
| Nun fordern Essenskuriere in Deutschland faire Löhne. | |
| Fahrradkurier-Gewerkschaft in Berlin: Am Ende der Nahrungskette | |
| Fahrrad-Essenslieferanten sind die Super-Start-ups. Gar nicht super sind | |
| aber ihre Arbeitsbedingungen. In Berlin organisieren sich nun Fahrer*innen. | |
| Betriebswirtin über Share Economy: „Junge Pflanze nicht zertreten“ | |
| Die neuen Arbeitsformen von Uber, Airbnb, Foodora oder Deliveroo sind nicht | |
| nur schlecht, sagt Betriebswirtin Nora Stampfl. |