# taz.de -- Arbeitsschutz bei Onlineplattformen: Gegen Ausbeutung von Crowdwork… | |
> Lieferando & Co stehen schon lange in der Kritik. Bundesarbeitsminister | |
> Heil will nun gegen Billiglöhne auf Digitalplattformen vorgehen. | |
Bild: Plattformökonomie hört sich gut an, dafür wird schlecht bezahlt | |
BERLIN taz | Was sich hinter dem etwas sperrigen Begriff Plattformökonomie | |
verbirgt, betrifft schon lange den Alltag vieler Menschen in Deutschland. | |
Dahinter kann ein junger Mann stehen, der Pizza ausliefert für | |
Essenslieferdienste wie Lieferando, oder eine Haushaltshilfe, die über eine | |
Onlineplattform gebucht wird, um Fenster in einem Büro zu putzen. Es kann | |
aber auch die Übersetzerin sein, die online ihre Aufträge entgegennimmt. | |
Dass Arbeit über digitale Plattformen vermittelt wird, hat sich oft als | |
hilfreich und vorteilhaft erwiesen – nicht nur in der Coronazeit. Nur: Für | |
die Arbeiter:innen sind die Bedingungen manchmal ziemlich miserabel. | |
Billiglöhne, Scheinselbstständigkeit, keine soziale Absicherung sind | |
Begleiterscheinungen dieser digitalen Flexibilisierung. | |
Lieferando zahlt beispielsweise nur knapp über dem Mindestlohn und | |
versuchte in Köln die [1][Wahl eines Betriebsrats zu torpedieren]. Auch | |
Essenslieferdienste wie Foodora und Deliveroo stehen immer wieder in der | |
Kritik, [2][arbeitsrechtliche Mindeststandards zu unterwandern]. | |
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) möchte nun die Arbeitssituation | |
der Plattformarbeiter:innen verbessern. Am Freitag legte er ein | |
Eckpunktepapier mit dem Titel „Faire Arbeit in der Plattformökonomie“ vor. | |
„Ich werde nicht zulassen, dass Digitalisierung in der Plattformökonomie | |
mit Ausbeutung verwechselt wird“, sagte Heil. Allein auf die | |
Selbstregulierung der Unternehmen zu setzen, werde nicht reichen. | |
## Billiglöhne und fehlende soziale Absicherung | |
Für eine bessere soziale Absicherung will das Bundesarbeitsministerium | |
etwa, dass soloselbstständige Plattformtätige in die gesetzliche | |
Rentenversicherung mit einbezogen werden und die Plattformen sich an der | |
Beitragszahlung beteiligen. | |
Oder: Um besser gegen Scheinselbstständigkeit vorgehen zu können, soll bei | |
Zweifeln vor Gericht die Plattform in der Pflicht sein, das Gegenteil zu | |
beweisen. Zudem sollen je nach Dauer Mindestkündigungsfristen | |
festgeschrieben werden – denn in der Praxis können Arbeiter:innen oft sehr | |
kurzfristig gekündigt werden. | |
Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, begrüßte die | |
Initiative des Bundesarbeitsministers. „Es ist ein richtiger und | |
überfälliger Schritt, um dem Wildwuchs im digitalen Schattenarbeitsmarkt zu | |
begegnen“, sagte Piel der taz. Gut sei insbesondere, dass Soloselbständige | |
nun „verpflichtend in den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung und | |
Unfallversicherung aufgenommen werden sollen“ und sich die | |
Plattformbetreiber an den Kosten beteiligen müssten. | |
Dennoch sieht Piel noch Nachholbedarf, um die kollektiven Rechte der | |
Plattformbeschäftigten zu stärken. „Gewerkschaften brauchen unbedingt | |
Zugangsrechte zu den Plattformbeschäftigten, um dort bessere | |
Arbeitsbedingungen organisieren zu können“, sagte die Gewerkschafterin. | |
## „Digitaler Schattenarbeitsmarkt“ | |
Nach einer EU-Erhebung beziehen 2,7 Millionen Menschen in Deutschland | |
entweder mindestens die Hälfte ihres Einkommens aus Plattformarbeit oder | |
arbeiten mindestens zehn Stunden pro Woche auf diese Weise, wie das | |
Ministerium schreibt. Andere Studien kämen zu geringeren Zahlen. | |
Das Arbeitsfeld scheint jedenfalls sehr heterogen zu sein. In einer | |
[3][Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2019], für die rund 700 | |
Plattformarbeiter:innen befragt wurden, gaben 59 Prozent der Befragten an, | |
„sehr“ oder „eher“ zufrieden mit dieser Form der Arbeit zu sein. 31 Pro… | |
hatten ein monatliches Nettoeinkommen von über 3.000 Euro zur Verfügung. | |
Doch jeder vierte Befragte musste mit weniger als 1.500 Euro zurechtkommen. | |
Fast alle gaben an, nur nebenberuflich Plattformarbeit zu leisten, um die | |
Haupttätigkeit finanziell zu ergänzen. | |
Auch Hubertus Heil betonte: „Es gibt Plattformen, in denen ich keineswegs | |
den Eindruck habe, dass prekäre Arbeit vorherrscht“, und nannte etwa | |
Handwerksplattformen. Doch faire Bedingungen seien generell nötig: | |
„Plattformen dürfen nicht mit den niedrigsten Löhnen und dem schlechtesten | |
Schutz miteinander konkurrieren.“ Das Thema soll nun auch auf dem | |
Digitalgipfel der Regierung am Montag und Dienstag diskutiert werden. | |
27 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Lieferando-torpediert-Betriebsratswahl/!5676689 | |
[2] /Arbeitsbedingungen-bei-Foodora-und-Co/!5428832 | |
[3] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/Graue… | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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