| # taz.de -- Onlineplattformbetreiber über Textarbeit: „Der Markt ist kaputt�… | |
| > Viele Texter verdienen im Netz nicht mehr als Hartz IV. Ein Gespräch mit | |
| > Unternehmer Arne-Christian Sigge über neue Geschäftsmodelle. | |
| Bild: Geld fürs Tippen? Re:publica-Besucher mit individuell gestaltetem Laptop | |
| taz: Herr Sigge, auf der Plattform Ihres Unternehmens sind 6.500 | |
| selbstständige Heimarbeiter aktiv. Denen vermitteln Sie Jobs und Aufträge | |
| im Internet. Ist so etwas die Zukunft der Arbeit im digitalen Zeitalter? | |
| Arne-Christian Sigge: Geschäftsmodelle wie unseres finden sich immer | |
| häufiger, denn die Wirtschaft bietet ganz neue Tätigkeiten an, die es | |
| früher nicht gab. Dadurch sind viele Menschen, die sonst keine Chance mehr | |
| hätten, in der Lage, weiterhin am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Leute, die | |
| nicht 40 Stunden in einer Werkhalle oder in einem Büro anwesend sein | |
| können, weil sie Angehörige pflegen, an einer Krankheit leiden oder noch | |
| andere Beschäftigungen ausüben. | |
| content.de ist eine Plattform. Beispielsweise Firmen, die Texte für ihre | |
| Internetseite brauchen, veröffentlichen die Aufträge dafür bei Ihnen. Die | |
| selbstständigen Texter können dann von zu Hause aus zugreifen. Werden | |
| später Millionen Menschen so arbeiten? | |
| Das ist vorstellbar. Heute sind es in Deutschland vielleicht gut 100.000. | |
| Fabriken und Büros wird es weiterhin geben, weil bestimmte Arbeiten die | |
| direkte Kooperation erfordern. Daneben wachsen aber neue Branchen, die die | |
| digitale Ökonomie hervorbringt. Durch das Wachstum des Internets ist die | |
| Nachfrage nach der Erstellung von Texten, Grafiken und Fotos sowie nach | |
| Datenpflegearbeiten enorm gestiegen. Solche Tätigkeiten lassen sich gut | |
| über Plattformen wie unsere verteilen. | |
| Internetfirmen wie Facebook sagen gerne, sie seien „disruptiv“. Sie | |
| erheben den Anspruch, die uns bekannte Wirtschaftswelt zu zerstören und | |
| durch etwas Neues zu ersetzen. Ist das auch Ihre Herangehensweise? | |
| Früher beauftragte ein Unternehmen eine Werbeagentur, die dann alles | |
| erledigte, was mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun hatte – und damit häufig | |
| überfordert war. Das ist ein Geschäftsmodell, das wir aufbrechen und | |
| ergänzen. Auftraggeber können bei uns auf 6.500 potenzielle Mitarbeiter | |
| zugreifen. Hier finden sie Spezialisten für jedes Thema. Die Dienstleistung | |
| wird deshalb wesentlich effizienter und schneller erbracht. Wenn ein | |
| Internethändler bei uns 2.000 kleine Texte mit Produktbeschreibungen von | |
| Sommerschuhen für seinen Onlineshop bestellt, sind die in drei Wochen | |
| fertig. Früher hätte das ein halbes Jahr gedauert oder wäre gar nicht | |
| realisierbar gewesen. | |
| Auf Ihrer Webseite gibt es ein Rechenverfahren, mit dem man seine Bezahlung | |
| ermitteln kann. Wer acht Stunden lang jeweils 500 Wörter schreibt, kommt | |
| auf etwa 2.000 Euro brutto pro Monat. 500 Wörter sind ziemlich viel Text, | |
| etwa eine Din-A4-Seite. Diese Schlagzahl durchzuhalten, ist kaum möglich. | |
| Hohe Leistung, schlechter Lohn. | |
| Das ist die Standardbezahlung auf unserem offenen Marktplatz, an dem alle | |
| registrierten Texter teilnehmen können. Viele Autoren erzielen aber höhere | |
| Preise, indem sie direkt mit den Auftraggebern verhandeln. Wer Vollzeit | |
| arbeitet, erhält Honorare, von denen sich ganz gut leben lässt. Wenn man | |
| sich die effizienten Aufträge heraussucht, kommt man locker über 2.000 Euro | |
| pro Monat. | |
| Viele Ihrer nicht so leistungsstarken Vollzeit-Autoren dürften eher bei | |
| 1.300 Euro brutto landen. Davon bezahlen sie Steuern und | |
| Sozialversicherung, worauf ihr Verdienst im Hartz-IV-Bereich liegt. | |
| Sie machen einen Denkfehler. Die meisten Leute leisten bei uns eine | |
| Nebentätigkeit. Sie wollen keine Vollzeitstelle. Ihnen geht es darum, | |
| zusätzliche Einkommen von ein paar hundert Euro monatlich zu | |
| erwirtschaften. Das hat eine Umfrage unter unseren Autoren ergeben. Und | |
| dann gibt es noch diejenigen, die für verschiedene Auftraggeber arbeiten, | |
| freie Texter, die anderswo ihren Haupterwerb finden. | |
| Die niedrigen Verdienste liegen doch nicht nur daran, dass die Leute | |
| freiwillig so wenig verdienen wollen. | |
| Nein, grundsätzlich bin auch ich der Meinung, dass die Vergütungen, die die | |
| Unternehmen zahlen, höher sein müssten. Mein Vater war | |
| Wirtschaftsjournalist, wir konnten von seinem Gehalt gut leben. Aber heute | |
| ist der Markt kaputt. Manche Unternehmen bieten einen Cent pro Wort als | |
| Honorar – und finden Texter, die den Job erledigen. Das ist erschreckend. | |
| Für Arbeitnehmer gibt es mittlerweile den gesetzlichen Mindestlohn. Wäre | |
| das auch eine gute Idee für die Selbstständigen, die bei Ihnen arbeiten? | |
| Wie wollen Sie bei Heimarbeit den Zeitaufwand messen? Man kann die Leute | |
| nicht hundertprozentig überwachen – und das wollen wir auch nicht. Die Idee | |
| klingt gut, ist aber nicht umsetzbar. | |
| Werden die Honorare zukünftig steigen? | |
| Ja, denn die Anforderungen nehmen zu. Wir verzeichnen steigende Umsätze pro | |
| Text. Der Grund: Es werden anspruchsvollere Artikel in Auftrag gegeben. Die | |
| Kunden möchten erreichen, dass die Leser länger auf ihren Internetseiten | |
| verweilen. Diese Tendenz ist in unserem Sinne. Wir wollen, dass die Leute | |
| mehr verdienen. | |
| Im Vergleich zu vielen anderen Crowdworking-Plattformen geht es den | |
| Beschäftigten bei Ihnen noch ganz gut. Sie zahlen in die | |
| Künstlersozialkasse ein. Warum machen Sie das? | |
| Weil es das Gesetz verlangt. Für im weiteren Sinne journalistische | |
| Tätigkeiten müssen die Unternehmen Sozialbeiträge abführen. Andere | |
| Plattformen unterliegen dieser Verpflichtung nicht, weil sie andere Arten | |
| von Jobs vermitteln. | |
| 11 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
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