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# taz.de -- Minicomputer in der Schule: Ran an die Platinen
> Die Netzszene verspricht sich nicht weniger als eine Revolution im
> Klassenzimmer: Mit Calliope sollen Grundschüler programmieren lernen.
Bild: Das ist es, das kleine Wunderding
Erst einmal überall draufdrücken. Die kleine sternförmige Platine wandert
von Hand zu Hand. Die Viertklässler der Saarbrücker Wiedheck-Schule sind an
diesem Vormittag Ende März von den Drehstühlen ihres Computerraumes
aufgesprungen und stecken aufgeregt die Köpfe über den neuen Geräten
zusammen. „Das ist ein Steuergerät“, sagt Klassenlehrer Frank Spang, der im
grauen Kapuzenpullover die Schüler dirigiert. So wie Herz und Hirn im
menschlichen Körper, erarbeiten die Schüler. „Der kann schreiben und
Musik“, sagt Imen, ein Mädchen mit langen dunklen Haaren. Gerade rührt sich
auf dem Calliope aber noch nichts. „Die Batterien fehlen noch“, ruft Aaron.
Calliope Mini heißt der Kleincomputer, der schon Grundschülern beibringen
soll, wie ein Rechner funktioniert. Kompakt, aber funktionsmächtig und
preiswert. Das Stück kostet etwa 20 Euro. Entwickelt und promotet von einer
eigens dafür gegründeten gemeinnützigen Firma, die das Gerät derzeit mit
einer für das deutsche Bildungssystem verhältnismäßig atemberaubenden
Geschwindigkeit verbreitet: Erst im November präsentierten sie den Calliope
Mini auf dem Nationalen IT-Gipfel und jetzt schon wandert er in Schulen
diverser Bundesländer durch die Hände von Schülern.
Manche preisen das Gerät bereits euphorisch als Revolution im Schulsystem.
Aber ist es wirklich endlich der Durchbruch beim Versuch, deutsche Schulen
aus der Kreidezeit herauszuführen?
Das Saarland, oft als Provinz belächelt, ist das erste Bundesland, das auf
den Calliope Mini setzt. Schon im November 2011 sagte man zu, alle
Drittklässler ihres Bundeslandes mit Calliope Minis ausstatten zu wollen.
Die Wiedheck-Grundschule wurde eine von zwei saarländischen Modellschulen.
Andere Länder überlegen, nachzuziehen. In einigen Berliner Schulen sind die
Geräte seit Kurzem im Einsatz, Pilotschulen in Bremen und Niedersachsen
sollen nach den Sommerferien damit arbeiten und auch in NRW und Hamburg
wird experimentiert.
## Hilfe mit Mathe
„Dann wollen wir mal untersuchen, ob uns Calliope in unserem
Matheunterricht helfen kann“, sagt Klassenlehrer Spang an der
Wiedheck-Grundschule. „Cool“, piepst ein Junge, der im Knäul mit fünf
weiteren steht. Es ist die erste Unterrichtsstunde, in der Spang die
Calliopes einsetzt. Heute soll der Calliope eine Teilermaschine werden –
indem er über sein kleines LED-Display anzeigt, durch welche Zahlen man 12
dividieren kann. „So kann ich Teiler wiederholen, ohne dass die sich
erbrechen, weil es das 368ste Mal ist“, erklärt Spang später.
Dass in Punkto Digitalisierung der Schule im internationalen Vergleich
Aufholbedarf da ist, zeigen Studien immer wieder. Robotik,
Controllerbasteln, iPad-Klassen – all das findet natürlich an Schulen
hierzulande statt. Aber eben nur punktuell – wenn Schulleitung, einzelne
Lehrer oder Eltern sich zufällig interessieren. Viele traditionelle
Bildungsbürger stört das kaum – für sie bedeutet alles, was Kabel und
Internetschnittstelle hat, irgendwas zwischen Ablenkung und Gefahr für die
Schüler. Andere hingegen halten es für fahrlässig, Schüler so schlonzig auf
die digitale Welt vorzubereiten.
So sieht das auch Stephan Noller, der Kopf hinter dem Calliope-Projekt.
Darum wollen der Internetunternehmer und seine Mitstreiter_innen endlich
mal anfangen. Mit dabei ist die Designprofessorin Gesche Joost,
Internetbotschafterin der Bundesregierung und einstige Netzexpertin im
Schattenkabinett von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Leute mit einem
guten Ruf und Kontakten. Die nicht nur das Gerät entwickelt und
Unterstützung von Internetgiganten eingetütet, sondern auch in der Politik
lobbyiert und bei Universitäten und einem Schulbuchverlag Lehrmaterialien
für den Calliope angeleiert haben. Leute mit Lobby- und Parteikontakten,
meckern einige.
Noller will, dass bald jeder Drittklässler mit einem Calliope Programmieren
lernt. Vor allem Mädchen sollen sich dafür begeistern, noch bevor sich
etablierte Rollenbilder zu sehr festgesetzt haben.
## Erstmal eine Lehrerfortbildung
Erst ein paar Trockenübungen auf Zettel und Smartboard, dann setzen sich
die Schüler in Zweiergrüppchen an die Computer und beginnen, im Calliope
Editor ein Programm zu schreiben, das sie später auf das Gerät laden. 35
Minuten nach Beginn der Unterrichtsstunde ziehen die Schüler ganz
selbstverständlich per Drag-and-Drop bunte Puzzleteile mit der Maus über
den Bildschirm, lassen sie ineinanderklicken. Klassenlehrer Spang lehnt
sich an einen der kleinen Tische. Der 42-Jährige wirkt zufrieden. „Der
Abstraktionsgrad ist schon relativ hoch. Aber die gehen da ganz unbefangen
ran, ich mache mir da vorher immer mehr Gedanken.“ Am Nachmittag wird er am
Landesinstitut für Pädagogik anderen Grundschullehrern eine erste
Calliope-Fortbildung geben.
Einen Klassensatz Calliope Minis gibt’s nur für Lehrer, die eine
Fortbildung absolviert haben. Deshalb steht an diesem Nachmittag, an dem
die Wiedheck-Viertklässler erstmals am Calliope werkeln,
SPD-Bildungsminister Ulrich Commercon im Auditorium des Saarländischen
Landesinstituts für Pädagogik und Medien. Er spricht das Grußwort zum
feierlichen Auftakt der ersten Lehrerfortbildung. Die Calliopes für alle
dritten Klassen, das ist sein Ding. Gut, schränkt er ein – die Geräte
werden nur an Schulen verteilt, die freiwillig an dem Projekt teilnehmen.
Bislang hätten sich gut 70 saarländische Lehrer von etwas über 30
Grundschulen für eine Fortbildung angemeldet, sagt Commercon. Das ist
selbst im kleinen Saarland nur jede fünfte Grundschule. Commercon sagt, er
freue sich über dieses „großartige Zeichen“. Und: „Wir wollen da nicht
etwas von oben vorgeben.“ Später, auf Nachfrage, wird er noch erklären:
„Ich denke, in drei Jahren werden wir Flächendeckung erreicht haben.“ Falls
nicht, bleibt es bei der digitalen Bildung als Flickenteppich. Doch eine
fertige Didaktik gibt es für den Calliope nicht. Die Macher des Computers
haben schon einiges erreicht, aber die Erarbeitung von Materialien und
Handreichungen ist noch im Prozess.
Ein Lehrer mit Ziegenbart und Ringelpulli schnaubt. Er sitzt bei der
Festveranstaltung im Landesinstitut in der letzten Reihe. „Dass man bei
diesen Missständen in den Schulen so etwas einführt, ist eine Frechheit“,
sagt er zu seiner Sitznachbarin gewandt, kaum dass Bildungsminister
Commercon seine Rede beendet hat. Er nehme nicht an der Fortbildung teil.
„Ich bin nur gekommen, um die Inkompetenz dieses Mannes anzusehen.“ Dann
stampft er wütend davon. Kein Einzelfall. Inklusion, immer größere Klassen,
Willkommensschüler, marode Schulgebäude – die Liste der Baustellen und
ungelösten Probleme von Schulen ist fast allerorten lang. Weswegen viele in
digitaler Bildung nicht die drängendste Frage sehen, um die Schulen sich
kümmern müssen.
Umstritten ist auch die Finanzierung des Calliope-Projekts –
beziehungsweise die Frage, wie viel Industrie darin steckt.
## Von Microsoft gesponsort
„Microsoft“, hat Viertklässler Daniel wie aus der Pistole geschossen
gesagt, als Klassenlehrer Spang am Vormittag die Internetseite der
Programmierplattform für den Calliope geöffnet hat. Tatsächlich: Links oben
auf der Seite prangt ein Microsoft-Logo – entwickelten sie doch einen der
Calliope-Editoren. Dieses Firmenlogo im Editor ist der einzige
offensichtliche Sponsorenhinweis, mit dem Schüler im Calliope-Ökosystem
direkt konfrontiert sind. Aber einer, den die Schüler offenbar doch
wahrnehmen.
Anschubförderung gab es vom Bundesministerium für Wirtschaft – ansonsten
finanziert sich die Calliope gGmbH vor allem über Sponsoren. Die sind auf
der Webseite von Calliope aufgelistet: Google, Microsoft, Siemens, Bosch,
die Telekom-Stiftung. Einige von ihnen sollen [1][bis zu einer halben
Million Euro gegeben] haben.
Davon profitieren auch die Schulen. Beispiel Saarland: Obwohl die Calliope
Minis nicht teuer sind, fehlt dem kleinen Bundesland das Budget, um seine
Drittklässler mit den Geräten auszustatten. 1.000 Boards hat die
gemeinnützige Calliope gGmbH bereits an das Saarland geliefert –
kostenfrei, finanziert noch über der Förderung des
Bundeswirtschaftsministeriums.
Doch dieses Geld ist nun aufgebraucht. Und doch werde sich die gGmbH auch
um die Finanzierung von bis zu 7.000 weiteren Geräten kümmern, sagt Noller.
So ist es auch in anderen Bundesländern: In Berlin werden mit freundlicher
Unterstützung von Google 2.500 Calliope Minis an Drittklässler verteilt, in
Bremen übernimmt die Telekom-Stiftung die Kosten für die Ausstattung.
Der Konflikt dahinter ist ein Klassiker: Ist es okay, wenn eine private
Initiative, gesponsort von der Industrie Bildungsmittel finanzieren? Markus
Beckedahl von netzpolitik.org kritisierte das gegenüber der Presse, auch
andere halten das für Aufgabe des Staates.
Auch Noller räumt ein, dass es ihnen lieber gewesen sei, wenn sie keine
Sponsoren gebraucht hätten. „Aber es ist natürlich trotzdem Realität, dass
solche Dinge mit Hilfe von Sponsoren angeschoben werden.“ Pragmatismus im
Dienste der Sache, damit es endlich einmal vorangeht.
Am Ende der Doppelstunde in der Wiedheck-Grundschule funktioniert die
Calliope-Teilermaschine bei neun von zehn Arbeitsgruppen. „Dickes Lob an
alle“, sagt Klassenlehrer Spang. Auch der Calliope von Lennert zeigt drei
Häkchen und ein Kreuz. Er schaut auf das Display, dann bricht dieser Satz
aus ihm raus, der wie bestellt wirkt, obwohl er es nicht ist: „So macht
rechnen Spaß.“
8 May 2017
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## AUTOREN
Meike Laaff
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Schule
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