# taz.de -- Hamburger Gymnasien sortieren aus: Abschulen ist Trumpf | |
> Immer mehr SchülerInnen müssen Gymnasien frühzeitig verlassen und landen | |
> an Stadtteilschulen. Die sind mit der Integration überfordert. | |
Bild: Endstation: Wer im Gymnasium nicht mitkommt, wird abgeschult | |
Hamburg taz | Die Zahl der Kinder, die aufgrund mangelnder Leistungen nach | |
Klasse sechs vom Gymnasium in die Stadtteilschule wechseln müssen, nimmt | |
zu. Laut der Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linken mussten im | |
Sommer 2016 zwölf Prozent der GymnasiastInnen nach der Orientierungsstufe | |
ihre Schule verlassen. 920 SchülerInnen wurden nicht in die siebte Klasse | |
versetzt. 2015 waren es noch rund 200 Kinder weniger. | |
Für Fredrik Dehnerdt, den Vizevorsitzenden der Lehrergewerkschaft GEW, | |
zeigt diese Tendenz, „dass das Zwei-Säulen-Modell mit Gymnasien und | |
Stadtteilschulen Bildungsverlierer produziert“. Die GEW ist dafür, die | |
Abschulung zu verbieten. „Wer zurückbleibt, wird abgeschult, das ist keine | |
Lösung“, sagt Dehnerdt. Die Gymnasien müssten alle Kinder so fördern, dass | |
sie einen Schulabschluss erreichen – ein Anspruch, der in der | |
Stadtteilschule eine Selbstverständlichkeit sei. | |
Die Stadtteilschulen müssten laut Dehnerdt nicht nur fast die gesamte | |
Inklusion lernbehinderter Kinder und die Integration schulpflichtiger | |
Geflüchteter leisten, sondern nun auch eine wachsende Gruppe SchülerInnen | |
wieder aufrichten, die abgeschult und so gedemütigt wurden. Es gäbe | |
inzwischen so viele abgeschulte Gymnasiasten, dass manche Stadtteilschule | |
in Stufe sieben „neue Klassen einrichten muss, nur für abgeschulte | |
GymnasiastInnen“, sagte Dehnerdt. | |
Für die Fraktionschefin der Linken, Sabine Böddinghaus, ist die hohe | |
Abschulungsquote „ein Grund, das Zwei-Säulen-Modell zu hinterfragen“. Dass | |
immer mehr Eltern ihre Kinder auf das Gymnasium und nicht auf die | |
Stadtteilschule schicken, zeige, „dass der Senat keine Antwort auf die | |
Frage gefunden hat, wie er die Stadtteilschulen attraktiv machen kann“. | |
Die Schulbehörde hingegen sieht einen Grund für das Abschulungsproblem bei | |
allzu ehrgeizigen Eltern. „Die allermeisten abgeschulten SchülerInnen | |
hatten vorher keine Empfehlung für eine Schullaufbahn auf dem Gymnasium,“ | |
sagt der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht. Zwar respektiere die | |
Behörde „das Elternwahlrecht der Schulform“, gleichzeitig gehe es aber | |
darum, „wie wir die Elternberatungen so verbessern können, dass die Kinder | |
gleich an der geeigneten Schule angemeldet werden“, sagt Albrecht. | |
Eine Antwort auf die Frage, wie die Attraktivität einiger Stadtteilschulen | |
erhöht werden kann, versuchte der Senat am Dienstag zu geben – er | |
beschloss, das Förderprogramm „23+ starke Schulen“, das vor allem den | |
Grund- und Stadtteilschulen in sozial benachteiligten Stadtteilen zugute | |
kommt, zu verlängern und auszuweiten. Statt bislang 23 werden ab dem Sommer | |
stadtweit mehr als 30 Schulen unterstützt, sagte Schulsenator Ties Rabe | |
(SPD). | |
Dafür stehen insgesamt 42 zusätzliche LehrerInnenstellen zur Verfügung. Ein | |
Programmschwerpunkt liegt darauf, den SchülerInnen pro Woche vier Stunden | |
Deutsch und Mathe anzubieten, um dort die Kenntnisse zu vertiefen. | |
Das Programm ist nicht unumstritten. Für Karin Priem von der CDU ist die | |
Ausweitung aufgrund „des Flüchtlingszuzugs und des insgesamt steigenden | |
Förderbedarfs“ nur „blanke Symbolpolitik“. Boeddinghaus kritisiert, Rabe | |
verschweige, „dass die knappen Ressourcen für dieses Projekt aus anderen | |
Schulbudgets umgeschichtet und so die Schulen gegeneinander ausgespielt | |
werden“. | |
Was „nun an Mitteln diesen Schulen zu Gute kommt, wird an anderer Stelle | |
fehlen“, klagt auch die Hamburger GEW-Vorsitzende Anja Bensinger-Stolze. | |
16 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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