# taz.de -- Die Selektion der Kinder: Die Qual mit der Schul-Wahl | |
> Ende Januar beginnt wieder die Anmelderunde für die 5. Klassen. Die | |
> Schulform ist frei wählbar, die Schule nur dann, wenn Platz ist. | |
Bild: Eltern müssen jetzt entscheiden, in welche 5. Klasse ihr Kind gehen soll | |
HAMBURG taz | Es ist wieder Entscheidungszeit für Eltern der Viertklässler. | |
Seit November gibt es Informationsabende, auf denen Leiter von | |
Stadtteilschulen und Gymnasien sich vorstellen. Am 31. Januar beginnt die | |
Anmeldewoche. Während viele Eltern verunsichert sind, wie sie sich | |
entscheiden sollen oder wie sie an ihre Wunschschule kommen, befürchten | |
Politiker, dass die Anmeldequote an den Gymnasien zu Lasten der | |
Stadtteilschulen noch mehr steigt. „Ich wette, wir sind bald bei 60 | |
Prozent“, sagt die parteilose Abgeordnete Dora Heyenn. | |
Allgemein gilt: In Hamburg gibt es das Elternwahlrecht. Eltern können bei | |
der Anmeldung drei Schulen angeben, den Erstwunsch, Zweitwunsch und | |
Drittwunsch. Kinder erhalten mit dem Halbjahreszeugnis eine | |
Schulformempfehlung. Bei einem Teil der Kinder steht dort | |
„Stadtteilschule“, bei den anderen „Stadtteilschule/Gymnasien“. Doch au… | |
ohne Empfehlung kann ein Kind ans Gymnasium. Nur werden jährlich rund 1.700 | |
von dort wieder abgeschult. | |
Eltern haben in Hamburg das Recht, die Schulform zu wählen, aber nicht die | |
Schule selbst. Da viele zwischen guten und schlechten Schulen | |
unterscheiden, bibbern sie, dass sie bei der richtigen landen. Das | |
Elternwahlrecht verschärft Probleme. Denn Eltern fürchten auch mal ein | |
raues Klima für ihr Kind. Und je weniger leistungsstarke Kinder an einer | |
Schule sind, desto weniger trauen sie der zu, ihr Kind adäquat zu fördern. | |
## Meist geht der Erstwunsch in Erfüllung | |
Doch in etwa 95 Prozent aller Fälle geht meist der Erstwunsch in Erfüllung. | |
Bei den übrigen nicht, doch sie können Widerspruch einlegen. | |
„Wer als Erstwunsch, Zweitwunsch und Drittwunsch eine beliebte Schule | |
wählt, hat schnell verloren“, sagt Schulbehördensprecher Peter Albrecht. | |
Denn dann sei die Wahrscheinlichkeit, dass kein Wunsch in Erfüllung gehe, | |
recht hoch. Es sei denn, man wohnt in der Nähe so einer Schule. | |
Albrecht rät Eltern, als Zweitwunsch eine Schule anzugeben, die nicht so | |
hoch angewählt ist. Sollte keiner der drei Wünsche in Erfüllung gehen, | |
weist die Behörde einen Platz zu. | |
Zu einer Schulform gezwungen würden Eltern nicht. Wenn unter Eltern bei | |
Erst-, Zweit- und Drittwunsch zwei Stadtteilschulen und ein Gymnasium | |
gewählt wurden, und sich keiner dieser Wünsche realisieren lässt, werde in | |
der Regel eine Stadtteilschule zugewiesen. Ist das Zahlenverhältnis | |
umgekehrt, wird ein Platz am Gymnasium zugewiesen. Albrecht: „Die Eltern | |
können dann aber – wie stets – Widerspruch gegen die Zuweisung einlegen und | |
eine andere Schulform wünschen.“ | |
## Soziale Ausgrenzung | |
Während Eltern das Wohl ihres Sprösslings im Blick haben, gibt es in | |
Lehrerkreisen die Sorge, dass das Schulsystem immer weiter | |
auseinanderdriftet. Im Vorjahr entschieden sich nur noch 42 Prozent für die | |
Stadtteilschule, obwohl dort auch Abitur gemacht werden kann. Setzt sich | |
dieser Trend fort, würden 2020 schon 70 Prozent das Gymnasium besuchen, | |
warnten im Sommer die Schulleiter der Stadtteilschulen in einem Brandbrief. | |
So könnten weder Gymnasien noch Stadtteilschule ihren Bildungsauftrag | |
erfüllen. Diese soziale Ausgrenzung müsse ein Ende haben und die Politik | |
dafür sorgen, dass sozial Schwache und Zuwanderer „in die Mitte unserer | |
Gesellschaft gerückt werden“. | |
Seit dem Brief beraten Schulleiter mit der Behörde in AGs darüber, wie man | |
den Übergang von Klasse 4 auf 5 besser gestalten kann. Doch das von den | |
Grünen favorisierte Modell etwa eines „gesteuerten Anmeldeverfahrens“, bei | |
dem sich Schulen je nach Profil auch einen Teil der Kinder | |
wohnortunabhängig aussuchen können, ist nicht konsensfähig. | |
Dora Heyenn will einen anderen Anlauf wagen. Ihr ist besagte | |
„Gymnasialempfehlung“ und die in ihr enthaltene Etikettierung ein Dorn im | |
Auge. Denn eigentlich steht diese Schulformempfehlung sei 2009 nicht mehr | |
im Schulgesetz. Sie will im Februar eine Kampagne starten | |
„Grundschulempfehlung – nein danke!“. Denn so dächten viele Eltern, deren | |
Kind auch an der Stadtteilschule Abitur machen kann, sie müssten es zum | |
Gymnasium schicken. | |
„Bei der Grundschulempfehlung spielt die soziale Herkunft eine maßgebliche | |
Rolle“, sagt auch der Schulforscher Ulrich Vieluf. Denn bei gleicher | |
Leistung, das sei empirisch belegt, bekommen Kinder, die zu Hause von ihren | |
Eltern unterstützt werden, eher diese Empfehlung. Auf diese Weise beginnt | |
die soziale Entmischung der Schülerschaft. | |
Nachbar Schleswig-Holstein hat die Grundschulempfehlung übrigens | |
abgeschafft. | |
13 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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