# taz.de -- Schulgeschädigte Familien: „Unsere Kinder fallen raus“ | |
> Eine Eltern-Initiative schulgeschädigter Familien beklagt Mobbing und zu | |
> große Lerngruppen. Schule müsse flexibler werden, fordert der Vorsitzende | |
> Dirk Bleese | |
Bild: Erst der Druck, dann die Ausgrenzung: Manche SchülerInnen brauchen klein… | |
taz: Herr Bleese, Sie haben erst die Initiative schulgeschädigter Familien | |
und nun den Verein „Schüler gerecht lernen!“ gegründet. Was ist eigentlich | |
eine schulgeschädigte Familie? | |
Dirk Bleese: Vielerlei. Ein Elternteil muss aufhören zu arbeiten, weil das | |
Kind nicht mehr regelmäßig zur Schule geht, die Geschwister leiden, die | |
Beziehung wird belastet… | |
Wieso geht es nicht zur Schule? | |
Bei uns sind etwa 40 Eltern mit ganz unterschiedlichen Schicksalen. Für die | |
Behörde sind wir die „schwierigen Einzelfälle“. Was uns eint: unsere Kind… | |
funktionieren in Regelklassen nicht, werden verhaltensauffällig. Dann fängt | |
eine Spirale an. Ob Kinder mit Asperger-Autismus, Hochbegabte, Hochsensible | |
oder Kinder mit Traumafolgen – für sie sind große Klassen mit 23 Kindern | |
nicht geeignet. | |
Wie häufig kommt das vor? | |
Das ist sehr verbreitet. Wir denken, jedes fünfte Kind hat das Problem. | |
Aber es gibt viele, die gerade noch so gehalten werden, wo Eltern sehr, | |
sehr gefordert sind. Und es gibt „Einzelfälle“ wie uns. Deren Kinder gehen | |
oft gar nicht zur Schule. | |
Was läuft falsch? | |
Schulen müssten flexibler sein und kleine Lerngruppen anbieten. Es gibt | |
Kinder, die gut in großen Gruppen lernen. Aber manche brauchen eben Gruppen | |
von drei bis sechs. Nur, das will die Behörde auf keinen Fall. | |
Wie entsteht die Ausgrenzung? | |
Es beginnt meist in der 2. oder 3. Klasse mit Mobbing des Kindes. Der | |
Klassenlehrer kennt meist das Kind und weiß, dass es anders funktioniert. | |
Dann kommt ein Fachlehrer in die Klasse und kommt mit dem Kind nicht klar. | |
Der macht Druck, und das kriegen die Kinder und die anderen Eltern mit. Das | |
schlimmste ist der Druck durch andere Eltern. | |
Das Kind soll aufs Gymnasium. | |
Eben. Die sagen, sorry, mein Kind muss lernen können. Wenn dein Kind stört, | |
muss es weg. Dann steigt der Druck. Es wird der Schulleiter eingeschaltet, | |
das Regionale Beratungszentrum, das Jugendamt. | |
Die helfen nicht? | |
Alle wollen helfen. Aber keiner kann an der Grundsituation etwas ändern, | |
dass das Kind kein Recht auf Teilhabe hat, sondern eine Teilnahmepflicht. | |
Das Kind muss in die große Klasse rein. Eltern gehen mit ihren Kindern in | |
die Psychiatrie. Dort bekommen sie Medikamente, nur damit sie im | |
Regelbetrieb klarkommen. | |
Heißt auffallen auch Gewalt? | |
Alle unsere Kinder haben auch ‚Gewaltmeldungen‘ selber provoziert. Kinder | |
haben nur wenig Möglichkeit zu agieren, wenn sie nicht klarkommen. Da wird | |
schon gehauen und gedroht, sie werden laut. Sie sind mit sieben, acht | |
Jahren nicht gefährlich, aber weil sie gefährlich erscheinen, werden sie | |
suspendiert. | |
Das ist in Grundschulen verboten. | |
Es wird trotzdem suspendiert, wenn man nicht klarkommt. | |
Wir haben Inklusion. Wünschen Sie sich die Sonderschulen zurück? | |
Ich bin für Inklusion, ein paar von uns sind auch aktiv bei der | |
Volksinitiative „Gute Inklusion“ für mehr Ressourcen. Wir sind in der | |
Mitte. Wir sagen, macht lieber kleinere Schulen mit kleinen Gruppen. Es | |
muss nicht überall sein, sondern an Schwerpunktschulen. Wir brauchen dort | |
auch das richtige Fachpersonal. Die FDP hatte dazu gerade einen guten | |
Vorschlag. Oder man muss den Privatschulen mehr Räume geben. | |
Wenn alle unangepassten Kinder raus genommen werden in Kleingruppen, ist | |
das schade. | |
Schön, dass Sie das sagen. Sie wissen nicht, was für einen Anpassungsdruck | |
andere Eltern ausüben. Ein Kind kippelt, darunter leidet der Nachbar. Aber | |
es gibt Kinder, die können nicht still sitzen und pro Tag einen Buchstaben | |
lernen. Die sagen, wenn, dann gleich das ganze Alphabet auf. Die Schule ist | |
aber nur dazu da, gleichzuschalten. | |
Hört sich an wie die alte Grüne Forderung nach individualisiertem Lernen. | |
Das gibt es an einzelnen Insel-Schulen, ist aber nicht strukturell | |
vorgegeben. Nicht nur die Grünen, auch CDU, Linke und FDP teilen unsere | |
Forderung. Nur die SPD nicht. | |
Steigt der Konformitätsdruck in Schulen? | |
Eltern sind unter Druck, haben Angst vor dem Abstieg. Wir Erwachsenen sind | |
in der Lebensführung heute individueller, auch die Kinder sind | |
verschiedener. | |
Was eint Sie als Eltern? | |
Dass wir aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Wir sind keine Eltern, die | |
ihre Kinder vernachlässigen oder sich nicht kümmern könnten. Das wird uns | |
oft unterstellt. | |
Was wird Ihr Verein tun? | |
Wir werden uns erst mal bekannt machen und als Initiative Selbsthilfe | |
anbieten. Dann werden wir unsere Forderungen, an denen wir noch arbeiten, | |
Stück für Stück an die Öffentlichkeit bringen. Wir sind sicher, dass wir | |
die Bildung auf den Kopf stellen müssen. | |
27 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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