# taz.de -- Schüler mit Asperger-Syndrom: Streit um Förderplan | |
> Die Schulbehörde soll 6.000 Euro Zwangsgeld zahlen, weil sie einem | |
> autistischem Jungen adäquate schulische Förderung versagte. | |
Bild: Berufswunsch vor Augen: Sebastian will einen vernünftigen Schulabschluss | |
HAMBURG taz | „Ich möchte Ranger werden“, sagt Sebastian R. Er könne sich | |
gut vorstellen, mit Tieren in freier Wildbahn zu arbeiten. Erst im Frühjahr | |
hatte er ein Praktikum beim Tierschutzverein Geesthacht gemacht. Im | |
November bestand der 18-Jährige den Führerschein. Doch sonst verläuft sein | |
Leben nicht so normal. Sebastian ist Asperger-Autist und kämpft mit seinen | |
Eltern seit vier Jahren um eine adäquate schulische Förderung. | |
Vorläufiger Höhepunkt des gerichtlichen Streits: Am 7. Februar bestätigte | |
das Oberverwaltungsgericht, dass die Schulbehörde Zwangsgeld von insgesamt | |
6.000 Euro zu zahlen hat. | |
Der Grund: Sie hat im Oktober einen gerichtlichen „Vergleich“ gekündigt, | |
den sie den Eltern erst im Juni 2015 angeboten hatte. Der besagte, dass der | |
damals 15-jährige Junge in eine Lerngruppe am Bramfelder Brahms-Gymnasium | |
darf, die für Schüler mit Störungen im Autismus-Spektrum eingerichtet | |
wurde. Als Kompromiss sollte er Stadtteilschüler bleiben. | |
Diese Klasse in Bramfeld kannte Sebastian. Er hatte dort, nachdem er an der | |
Regelschule krank wurde, von Februar bis April 2014 lernen dürfen und sich | |
dort wohl gefühlt. Es gab fünf Pädagogen und Heiltherapeuten für sieben | |
Schüler. „Die Klasse war für Sebastian wie Therapie. Er hat dort in zwei | |
Monaten mehr gelernt als vorher in einem Jahr“, erzählte Mutter Melanie R. | |
2014, als die taz erstmals berichtete. | |
Doch die Schulbehörde wollte damals die Kosten für die Schulbeförderung – | |
der Junge wohnt in Bergedorf und war der Stadtteilschule Lohbrügge | |
zugeteilt – nicht zahlen. Er durfte nicht in der „A-Klasse“ bleiben, mit | |
dem Argument, dass er von der Leistung her nicht ans Gymnasium passe. Doch | |
es fand sich für ihn kein funktionierendes Arrangement an einer | |
Stadtteilschule. Er blieb lange zu Hause, wurde schließlich amtsärztlich | |
„zwangsbegutachtet“ , wie Vater R. berichtet. Doch das so gewonnene | |
Gutachten habe die Schulschwierigkeiten nur bestätigt. Deshalb bot die | |
Behörde den Eltern besagten Vergleich. | |
## Viele Spiele und wenig Unterricht | |
Zurück in der Lerngruppe aber läuft es nicht gut. „Sebastian erhielt nur | |
rudimentär Unterricht. Die meiste Zeit war nur ein Schulbegleiter dabei“, | |
sagt der Vater. Er habe viel Spiele gespielt, erinnert sich Sebastian. | |
Die Eltern fürchten, dass ihr Sohn ohne Abschluss bleibt, gehen erneut vor | |
Gericht. Sie setzen durch, dass ihr nun 17-jähriger Sohn zwei Jahre zurück | |
versetzt wird in Klasse 8. In einem weiteren Beschluss verpflichtet das | |
Gericht die Behörde, ein „sonderpädagogisches Gutachten“ und einen | |
„Förderplan“ zu erstellen. Die Familie sagt, sie kämpfen auch für andere. | |
Im Juli 2017 legt die Behörde zwar einen Förderplan vor. Doch der, so | |
bestätigt das Gericht, weise gravierende „Mängel“ auf. So steht dort, dass | |
der Junge sich in allen Fächern auf dem Stand der 5. und 6. Klasse befinde, | |
ohne dies konkret zu beschreiben. Dürftig sei auch die Formulierung der | |
Lernziele. Für das ganze Schuljahr 2017/18 sei nur die Erstellung einer | |
Praktikumsmappe und Berechnung von Futtermengen und Futtermischungen | |
aufgeführt, was in wenigen Wochen erledigt wäre. | |
## Das Gericht gab der Familien Recht | |
„Laut geltender Verordnung müssen diese Kinder aber ‚zielgleich‘ so wie | |
andere Stadtteilschüler unterrichtet werden“, sagt Sven R. Das Gericht gab | |
der Familie Recht und trug der Behörde auf, einen Förderplan zu erstellen, | |
der sich an den Bildungsplänen der Stadtteilschule orientiert. Die | |
Prüfungsordnung sieht für den Ersten Schulabschluss nicht nur Deutsch und | |
Mathe, sondern mehrere Fächer vor. | |
„Im diesem Moment hat die Behörde den Vergleich gekündigt“, schließt Sven | |
R. den Kreis. Was sie aber nicht hätte tun dürfen, deshalb drohe nun das | |
Zwangsgeld. „Wir wollen, dass die Behörde den Vergleich einhält“, sagt Sv… | |
R. | |
Die Schulbehörde argumentiert, die 2010 gebildete Lerngruppe am Gymnasium | |
habe sich aufgelöst, weil die Schüler in Klassen integriert wurden. | |
Lediglich einige erhielten noch „punktuell gesonderte Unterstützung“, sagt | |
Sprecher Peter Albrecht. Man habe für den Jungen mit großem personellen | |
Einsatz Angebote vorgehalten, die er „nicht annehmen wollte oder konnte“, | |
so Albrecht. | |
Aufzeichnungen über die Zahl der Lehrerstunden gebe es nicht. Doch einen | |
Stundenplan wie alle anderen Schüler könne Sebastian nicht verlangen, „weil | |
er gegenwärtig nicht im Klassenverband gefördert werden kann“. Die Mängel | |
am Förderplan sehe man bloß als formale Fehler. „Wir erwägen, die | |
Ausbildungsordnung zu präzisieren.“ Nach Überzeugung der Behörde wäre für | |
Sebastian eine schulische Förderung im Kontext einer beruflichen | |
Qualifizierung „der beste Weg“. | |
Doch R.s halten dagegen, dass auch andere Schüler weiter in der Lerngruppe | |
des Gymnasiums sind. „Wir bestehen gar nicht auf dem Ort, aber wir wollen, | |
dass unser Sohn zielgleich unterrichtet wird“, insistiert der Vater. Denn | |
nur mit einem regulären Ersten Schulabschluss stehe der weitere Bildungsweg | |
offen. „Wir gehen davon aus, dass das OVG unsere Sache jetzt abschließend | |
entscheidet“, sagt er. „Dann sind wir durch.“ | |
12 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Inklusion | |
Autismus | |
Schulbehörde Hamburg | |
Bundesverfassungsgericht | |
Autismus | |
Schule | |
Schulbehörde Hamburg | |
Gewalt in der Schule | |
Inklusion | |
Inklusion | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Keine Ausnahme für Autisten: Chat statt Verhandlung unzulässig | |
Das Bundesverfassungsgericht lehnt die Klage eines Autisten ab. Er fühlte | |
sich von mündlicher Kommunikation vor Gericht überfordert. | |
Petition der Woche: Scheinwerfer dimmen, Musik aus! | |
Lebensmittel einkaufen macht wenig Spaß. Für manche ist es der pure Stress | |
– zum Beispiel für Autisten. Dabei könnten Geschäfte Einiges dagegen tun. | |
Sonderpädagoge über Lehrerbildung: „Ein Lehramt für alle“ | |
Der Verband für Integration kritisiert die rot-grüne Reform der | |
Lehrerbildung nach Vorbild des Gymnasiallehrers. Nächste Woche berät der | |
Schulausschuss über das Thema. | |
Mehr Geld für Inklusion in Hamburg: Lehrer unterm Christbaum | |
Die Volksinitiative „Gute Inklusion“ einigt sich mit Rot-Grün auf einen | |
Kompromiss: 300 Lehrerstellen und 35 Millionen Euro für barrierefreie | |
Schulen. | |
Schulgeschädigte Familien: „Unsere Kinder fallen raus“ | |
Eine Eltern-Initiative schulgeschädigter Familien beklagt Mobbing und zu | |
große Lerngruppen. Schule müsse flexibler werden, fordert der Vorsitzende | |
Dirk Bleese | |
Odyssee durch das Schulsystem: Sebastians weiter Weg | |
Ein autistischer Junge in Hamburg soll einen Schulplatz am anderen Ende der | |
Stadt erhalten. In der Autistenklasse eines Gymnasiums darf er nicht | |
bleiben. | |
Inklusion in Hamburg: Sebastian hat keine richtige Schule | |
Hamburgs Schulbehörde möchte einen autistischen Jungen auf eine | |
Stadtteilschule schicken. Dagegen wehren sich die Eltern. Auch sein Arzt | |
warnt davor. |