# taz.de -- Sonderpädagoge über Lehrerbildung: „Ein Lehramt für alle“ | |
> Der Verband für Integration kritisiert die rot-grüne Reform der | |
> Lehrerbildung nach Vorbild des Gymnasiallehrers. Nächste Woche berät der | |
> Schulausschuss über das Thema. | |
Bild: Was sollen sie lernen? Zwei Lehramtsstudentinnen bei einer Vorlesung | |
taz: Herr Brunner, Rot-Grün in Hamburg plant künftig einen Lehramtstypen | |
für Stadtteilschule und Gymnasium. Warum lehnt Ihr Verband das ab? | |
Berthold Brunner: Gegen ein einheitliches Lehramt spricht nichts. Aber hier | |
soll das bisherige Gymnasiallehramt Vorbild sein. Diese Ausbildung soll nur | |
„marginal“ geändert werden, wie der Schulsenator ganz ausdrücklich | |
schreibt. Das ist ein Signal an die Gymnasial-Lobby: Schüler mit | |
sonderpädagogischen Förderbedarfen halten wir euch auch künftig vom Leib. | |
Aber die künftigen Lehrer sollen im Studium extra für die Inklusion | |
geschult werden, das hat der Senator beteuert. | |
Das wird im Studium aber gar nicht eingeplant. Das sehen Sie an den Zahlen | |
in der Drucksache zur Reform der Lehrerbildung. Ein Studium umfasst 300 | |
Leistungspunkte. Im alten Studium für Grund- und Stadtteilschulen, beim | |
„GHR- Lehrer“, entfielen davon 80 Punkte auf Erziehungswissenschaft und | |
Grundschulpädagogik. Künftig werden noch 36 Punkte für | |
Erziehungswissenschaft übrig bleiben. Das ist ein Anteil von zehn bis 15 | |
Prozent des Studiums, der wesentlich ist – selbst im Vergleich zum | |
bisherigen Gymnasiallehrer-Studium wurde an der Erziehungswissenschaft | |
gekürzt. | |
Wozu brauchen die Lehrer an Stadtteilschulen und Gymnasien | |
Grundschulpädagogik? | |
Heute ist es nicht mehr so, dass die Schüler alles gleichzeitig lernen. Wir | |
wissen genau: Es gibt sehr viele Kinder, die haben Ende Klasse 4 noch nicht | |
das Basiswissen der Grundschule. Die brauchen in der 5. Klasse Lehrer, die | |
darauf vorbereitet sind. Dazu braucht es den Schwerpunkt, sich im | |
sprachlichen und mathematischen Anfangsunterricht auszukennen. Alle Lehrer | |
im bisherigen Studium für Grund- und Stadtteilschulen lernen das unter dem | |
Label „Grundschulpädagogik“. | |
Und das kann man nicht im künftig geplanten Studium? | |
Nein. Die Zeitkontingente dafür sind gestrichen. Es gibt allenfalls neun | |
Leistungspunkte als „freien Studienanteil“, aber das ist kein Ersatz. Hinzu | |
kommt: Auch bei den Sonderpädagogen wird ein Extra-Lehramt für die | |
Sekundarstufe geschaffen – und auch hier wird die Grundschulpädagogik | |
weggestrichen. Den Anfangsunterricht zu beherrschen ist aber wesentlich für | |
Inklusion. Wer Kinder mit besonderen Entwicklungswegen fördern will, muss | |
das können. Diese Sek-I-Sonderschullehrer sollen in Zukunft nur noch | |
lernen, Lernstörungen als Defizite der einzelnen Kinder zu sehen und zu | |
beheben. Nein, das funktioniert nicht – da werden die Kinder mit | |
spezifischen Behinderungen auf Dauer an ihren speziellen Sonderschulen | |
bleiben. | |
Sie klingen sehr pessimistisch. Schulsenator Ties Rabe führt an, dass die | |
Stadtteilschulen schon heute zur Hälfte Gymnasiallehrer einstellen. Diese | |
Lehrer würden auch Stadtteilschülern gut tun. | |
Gymnasiallehrer, die an Stadtteilschulen wollen, sind oft sehr engagierte | |
Kollegen. Aber die wissen selber, wie sehr ihnen die Qualifikation für den | |
Anfangsunterricht fehlt. Spätestens dann, wenn sie im sozialen Brennpunkt | |
in einer 5. oder 6. Klasse stehen. Es stimmt, die Stadtteilschulen haben | |
mehr Gymnasiallehrer eingestellt. Das liegt am Ausbau der Oberstufen. Aber | |
es liegt auch daran, dass eine Steigerung auf 50 Prozent eine fixe Vorgabe | |
im Koalitionsvertrag war und politisch gewollt. Zu sagen, sie hätten sich | |
als inklusive Lehrer so gut bewährt, ist ein Taschenspielertrick. | |
Soll die Lehrerbildung bleiben wie sie ist? | |
Nein. Unser Verband fordert ein gemeinsames Lehramt für alle: Alle bekommen | |
wesentliche Grundlagen und können sich im Studium von da aus | |
spezialisieren. Es ist ganz wesentlich, dass alle vom Erwerb der | |
Basisfähigkeiten Ahnung haben. Viele Schüler an den Stadtteilschulen holen | |
ihren Rückstand auf und lernen dort erfolgreich. Das liegt auch daran, dass | |
wir heute dort Lehrer mit dieser Qualifikation haben. | |
Ihr Verband für Integration lehnt auch die Testdiagnostik an Schulen ab. | |
Was ist daran falsch? | |
Was uns stört ist der Diagnostikzirkus, der zur Zeit beim Übergang von | |
Klasse 4 zu 5 veranstaltet wird. Die Bildungs- und Beratungszentren | |
überprüfen und dokumentieren in einem aufwendigen Verfahren sämtliche | |
sonderpädagogischen Förderbedarfe. Das bedeutet viel Bürokratie und | |
hunderte Intelligenztests. Den Kindern bringt das gar nichts. | |
Schadet es denn? | |
Ja, es führt zu immer früheren Tests, ob Kinder Förderbedarf im Bereich | |
Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung (LSE) haben. Dabei | |
muss man sich vorstellen, nur in Deutschland und Österreich gibt es | |
überhaupt den Begriff der „Lernbehinderung“ mit eigenen Schulen dafür. In | |
anderen Ländern gibt es diese Tradition so nicht. Jetzt, wo die | |
Volksinitiative Gute Inklusion mehr Ressourcen ausgehandelt hat, wäre es | |
ein guter Zeitpunkt, diese Feststellungsdiagnostik abzuschaffen. Die | |
Professoren Karl Dieter Schuck und Wulf Rauer hatten ja auch etwas ganz | |
anderes empfohlen: Es muss darum gehen, eng an den Lernprozessen der Kinder | |
intensiv zu arbeiten. Die Schulen brauchen Beratung, wie das im Unterricht | |
funktionieren kann. Aber dafür bleibt den Beratungszentren überhaupt keine | |
Zeit. | |
25 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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