| # taz.de -- Schwarze Pädagogik in Hamburg: Schulen zeigen Kinder an | |
| > In Hamburg müssen Schulen Fälle von Gewalt der Polizei melden. Schon | |
| > Neunjährige werden dann bei der Kriminalpolizei zum Gespräch vorgeladen. | |
| Bild: Freundlich sein, sonst kommt die Polizei: Grundschüler in Hamburg (Symbo… | |
| HAMBURG taz | In Hamburg hilft die Polizei Schulen jetzt bei der Erziehung. | |
| Der neunjährige Leo* kann deshalb nicht mehr gut schlafen. Seit seine | |
| Mutter Heike Schmidt* vor einigen Wochen per Post eine Strafanzeige bekam, | |
| hat Leo Albträume. Seine Schule hatte ihn wegen gefährlicher | |
| Körperverletzung angezeigt. Leo ist zwar zu jung, um als schuldfähig zu | |
| gelten, dennoch müsse die Polizei den „Sachverhalt nachprüfen, eine | |
| begangene Straftat erforschen und die dafür Verantwortlichen ermitteln“, | |
| heißt es in dem Schreiben. Schmidt möge mit ihrem Kind auf der Wache | |
| erscheinen. | |
| Immer wieder hätte sie ihrem Sohn versichern müssen, dass er nicht ins | |
| Gefängnis kommen werde. Eigentlich hatte seine Schule nur einen Vorfall | |
| gemeldet, an dem Leo beteiligt war. | |
| Weil er dabei aber einen Gegenstand in der Hand hatte, verbuchte die | |
| Hamburger Schulbehörde den Vorgang als gefährliche Körperverletzung. Es | |
| reicht dafür schon aus, in einer Konfliktsituation einen Stift oder einen | |
| Schlüssel in der Hand zu haben. Heike Schmidt will den Vorfall zum Schutz | |
| ihres Kindes nicht konkreter beschreiben. Die Mutter stört am meisten, dass | |
| Leo – obwohl er laut Gesetz strafunfähig ist – zur Polizei soll. | |
| Auf Nachfrage erklärte ihr die Polizei, dass die Anzeige zwar eingestellt | |
| werde, ihr Kind aber im Polizeicomputer für mehrere Jahre aktenkundig | |
| bleibe. | |
| Dass Schulen strafunmündige Kinder unter 14 Jahren bei der Polizei | |
| anzeigen, kam in Hamburg bereits öfter vor, seit ihnen im Jahr 2009 ein | |
| umfangreiches Meldesystem auferlegt wurde. Die zugehörige Richtlinie wurde | |
| im September nochmals verschärft. | |
| Seither sind Schulleitungen bei Delikten wie Raub oder gefährlicher | |
| Körperverletzung, wenn etwa mehrere Schüler einen Mitschüler schlagen oder | |
| ein Gegenstand involviert ist, zur [1][Anzeige] aufgefordert. In einem | |
| [2][Schreiben] an die Schulleiter bemängelt die Behörde, dass im Schuljahr | |
| 2015/16 nicht jeder gemeldete Gewaltvorfall wie vorgeschrieben tatsächlich | |
| angezeigt worden sei: „Sie haben als Schulleitung dabei keinen | |
| Ermessensspielraum“, schreibt die Behörde. | |
| Schulbehördensprecher Peter Albrecht begründet diese Praxis damit, dass die | |
| Polizei besonders bei Kindern unter 14 Jahren helfen könne, um | |
| „Regelverstöße und Verletzungen als unzulässiges Verhalten zu | |
| thematisieren“. Außerdem könne die Polizei die Gefährdungslage prüfen –… | |
| gegebenenfalls „an das Jugendamt weiterleiten“. | |
| In bestimmten Fällen sei der Kontakt zur Polizei wichtig für die | |
| Wahrnehmung von Realität, sagt auch Michael Schulte-Markwort, Leiter der | |
| Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Eppendorf. „Wenn bei uns in der | |
| Klinik ein Kind etwas gestohlen hat, bestehen wir drauf, dass es eine | |
| Selbstanzeige macht.“ Die Polizei habe mittlerweile Jugendbeauftragte, die | |
| sehr gut geschult seien. | |
| Doch eine Kindertherapeutin, die mit mehreren angezeigten Schulkindern zu | |
| tun hatte, sieht das anders: „Es geht bei dieser Praxis darum, den Kindern | |
| und ihren Eltern Angst einzujagen“, kritisiert die Frau, die ihren Namen | |
| nicht in der Zeitung lesen will. | |
| Sie wertet die Hamburger Praxis als eine Form struktureller Gewalt und | |
| „übler Schwarzer Pädagogik“ gegen Kinder. Der Kriminologe Christian | |
| Pfeiffer bezeichnet das Vorgehen als „absurd“. „Es macht keinen Sinn, mit | |
| Strafanzeigen Druck zu erzeugen, es ist Sache der Behörde, kindgerecht zu | |
| reagieren.“ Denn die Schule sei, ähnlich wie die Familie, ein geschützter | |
| Raum, auf den ein Kind vertraue. | |
| Heike Schmidt hat den Termin bei der Polizei verstreichen lassen. Dazu rät | |
| auch der Strafrechtsanwalt Marc Wandt. Es gebe keinerlei Zwang, bei der | |
| Polizei auszusagen, sagt er. „Ich würde Eltern raten, anzurufen und zu | |
| sagen, dass man nicht kommt“. | |
| Die Pflicht zu erscheinen gebe es nur bei staatsanwaltschaftlichen oder | |
| richterlichen Vernehmungen. Hierzu komme es im Verfahren gegen | |
| strafunmündige Kinder jedoch fast nie. | |
| *Name geändert | |
| 11 Dec 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.hamburg.de/contentblob/4079416/694a5e8114434a6c892aaf47c81c8480/… | |
| [2] http://www.hamburg.de/gewaltpraevention/4084614/meldeformular-gewaltvorfael… | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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