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# taz.de -- Gewalt gegen Lehrer: „Hurensohn ist sehr beliebt“
> Was geht ab an Berlins Schulen? Eine Lehrerin aus Neukölln über Schüler,
> die Grenzen verletzen, und mangelnde Solidarität im Lehrerzimmer.
Bild: Tür auf. Guten Morgen! – „Sie schon wieder, verpissen Sie sich doch …
„Ich bin Lehrerin an einer Sekundarschule in Neukölln. Mein Job ist es,
Schülern Englisch beizubringen. Tatsächlich geht es aber oft vor allem
darum, überhaupt die Bedingungen für Unterricht zu schaffen: ‚den primären
Handlungsvektor Unterricht aufrechterhalten‘, so heißt das in den Seminaren
im Referendariat.
Gewalt spielt eine Rolle in meinem Beruf. Verbale Beleidigungen gehören zum
Alltag: du Fotze, du Opfer, du dumme Kuh, du Schwuchtel. Hurensohn ist auch
sehr beliebt. Die Hemmschwelle ist da nicht sehr hoch.
Man muss abwägen: Wo kämpft man, und was schluckt man runter? Wenn man mit
‚Och nö, Sie schon wieder! Verpissen Sie sich doch mal‘, begrüßt wird, s…
ich oft einfach ‚Na, xy, haben wir mal wieder einen schlechten Tag
erwischt?‘ Aber diese humorvolle Haltung kann ich mir leisten, weil ich sie
mir erarbeitet habe. Die Schüler wissen, die Becker ist streng und
organisiert, aber fair.
Ich sage immer, das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche funktioniert. Positive
Reizverstärkung nennt man das in der Pädagogik. Bei einigen Dingen bin ich
absolut konsequent. Wenn jemand sein Handy im Unterricht benutzt und dann
explodiert, weil ich das Handy einkassiere, suspendiere ich den Schüler und
lade die Eltern vor.
## Obszöne Zeichen mit der Zunge
Einmal hat mich ein älterer Schüler in der Cafeteria wirklich eklig
behandelt. Ich hatte alleine Aufsicht, das hat der Schüler gesehen und
gedacht, er könne die Situation ausnutzen. Also hat er versucht, sich in
der Hot-Dog-Schlange vorzudrängeln. Als ich ihn zum zweiten Mal deswegen
ermahnt hatte, trat er hinter mich und fing an, obszöne Bewegungen mit der
Zunge zu machen.
Wenn man sich das als junge Lehrerin gefallen lässt, spricht sich das rum.
Also habe ich ihm gesagt: Du hast bei mir eine Grenze überschritten, du
hast nicht bloß Arschloch gesagt, das hier geht tiefer. Ich rufe jetzt
deine Mutter an, und das gibt eine Anzeige bei der Polizei. Da ist er
ausgetickt, Sie Fotze, Hure, und so weiter.
Inzwischen hält mir der Schüler die Tür auf und ist überhaupt sehr höflich,
und er hat sein Verhalten sogar von sich aus in der Klasse thematisiert.
Ich glaube übrigens nicht, dass er das gemacht hat, weil er Angst vor mir
hat, sondern weil er mein Verhalten respektiert. Er hat begriffen, dass ich
ihn nicht fertig machen wollte, sondern dass es mir um etwas
Grundsätzliches geht: dass sein Verhalten frauenfeindlich und
diskriminierend war. Man kann hart sein, aber man muss gerecht sein. Es
geht ja nicht ums Kleinmachen: Der Wille muss da sein, tatsächlich eine
Beziehung zu den Schülern aufbauen zu wollen, sich für sie zu
interessieren. Das spüren die auch schnell, und dann wird man auch nicht
mehr Fotze genannt.
## Man ist ja Opfer, man schämt sich
Ein Problem ist, dass es im Kollegium oft keine einheitlichen Absprachen
gibt, wie man mit gewalttätigen Schülern umgeht. Es braucht Solidarität im
Lehrerzimmer und die Zeit und den Mut, solche Vorfälle zu thematisieren.
Die Schulleitung fand die Anzeige gegen den Schüler zum Beispiel
übertrieben.
Gewalt durch Schüler ist auch schnell ein Tabuthema: Man ist ja Opfer, man
schämt sich. Kein Lehrer steht gerne im Verdacht, mit seinen Schülern nicht
klar zu kommen.
Ob Gewalt gegen Lehrer zugenommen hat? Ich weiß es nicht, gefühlt würde ich
sagen: Die Qualität ist mitunter eine andere, vor allem auch durch die
Neuen Medien. Ich bin in Marzahn zur Schule gegangen, natürlich haben wir
damals auch Scherzanrufe bei den Lehrern zu Hause gemacht. Aber wenn mir
eine Kollegin erzählt, dass sie ein Video über ihre Unterrichtsstunde nebst
Hasskommentaren im Netz findet, ist das etwas anderes.
Meine Schule leistet sich zusätzliche Sozialarbeiterstellen über das
Bonusprogramm [ein Senatsprogramm für Schulen in schwieriger Lage, d.
Red.]. Aber im Prinzip bräuchten wir noch viel mehr Sozialpädagogen,
eigentlich einen pro Klasse. Wir bräuchten als Schule außerdem dringend ein
pädagogisches Grundkonzept, ein festes Regelwerk, wie wir mit welchen
Verstößen ganz konkret umgehen: Der hat mich Hure genannt, was kann ich
tun? Kann ich den Schüler deswegen suspendieren? Oder kann ich ihm helfen,
es wieder gutzumachen? So eine detaillierte Handlungsanweisung würde auch
gerade jungen Kollegen helfen.
## Eh keine Perspektive?
Man muss aber auch sehen: Es hat nicht nur etwas mit der Ausstattung der
Schulen zu tun. Wenn wir Schulen haben, wo ein Großteil der Schüler ohne
Abschluss abgeht, dann kann das nicht sein. Natürlich fragen sich die
Schüler: Wenn ich eh keine Perspektive habe, warum soll ich mich dann
benehmen, warum soll ich mich anstrengen? Oft ist die Ursache von Gewalt
Armut in den Familien und ein Mangel an Perspektiven. Da nützen dann auch
zehn Sozialpädagogen mehr nichts. Wir brauchen ein gerechteres Schulsystem.
Ich bin eine Anhängerin der Gemeinschaftsschule. Die Idee einer Schule für
alle gefällt mir. Ich glaube, dieses Separieren bringt nichts: Hier die
Schulen, an denen es läuft, da der Rest. Das zementiert nur
Perspektivlosigkeit.“
Helena Becker heißt eigentlich anders. Becker hat Englisch und Biologie auf
Lehramt studiert und unterrichtet seit vier Jahren an einer Neuköllner
Sekundarschule. Sie liebt ihren Job.
28 Feb 2017
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Lehrer
Gewalt
Schule
Jugendgewalt
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Hasskriminalität
Gewalt gegen Kinder
Gewalt in der Schule
Gewalt
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