# taz.de -- Hessen will Werbung an Schulen stoppen: Die Wirtschaft im Klassenzi… | |
> Logo-Jagd im Unterricht, Programmieren mit Google: Hessen will Werbung in | |
> Schulen verbieten. Kritik gibt es auch in anderen Bundesländern. | |
Bild: Werbung und Bildung: Mit dem Kleincomputer Calliope kommen Grundschüler … | |
BERLIN taz | Flink wuseln die Drittklässler an den orangefarbenen | |
Warnhütchen vorbei zur Zielgeraden, feuern sich an, klatschen begeistert. | |
Normaler Sportunterricht? Nein, eine ausgeklügelte Werbeaktion der Speed4 | |
System Germany GmbH: Nach jedem Sprint erhalten die Kinder Zettelchen mit | |
der gemessenen Zeit – und Werbelogos. Wer zwei gleiche hat oder ertauscht, | |
bekommt ein Geschenk. „Edeka!“, „Volkswagen!“, „Hagebaumarkt!“, tö… | |
durch die Halle. | |
Bereits vor drei Jahren hatte etwa der NDR über die Laufwettbewerbe | |
berichtet. Noch immer aber sprinten Grundschüler*innen bundesweit bei den | |
gesponserten Events um die Wette. Inzwischen räumte der hessische | |
Kultusminister Alexander Lorz (CDU) ein, dass „ein bestimmtes kommerzielles | |
Interesse seitens der Sponsoren nicht zu leugnen“ sei. Verboten wurde die | |
Aktion aber nicht. Die Verantwortung liege bei den einzelnen Schulen, so | |
Lorz. | |
Nicht nur dieser Fall zeigt: Werbung an Schulen ist eigentlich nicht | |
erlaubt, dennoch kann die Privatwirtschaft oft massiv Einfluss nehmen. Das | |
reicht von Sponsoring bis hin zu kostenlosen Unterrichtsmaterialien. | |
In Hessen will die schwarz-grüne Landesregierung nun Werbung an Schulen | |
gesetzlich verbieten – und nicht wie bisher nur per Erlass. Sponsoring soll | |
gezielt geprüft werden. Die Änderung wird voraussichtlich im Mai | |
verabschiedet. | |
LobbyControl hofft, dass andere Länder dem Beispiel folgen. Die aktuelle | |
Lage führe oft zur „Instrumentalisierung der Schulen für | |
Geschäftsinteressen der Unternehmen“, kritisiert Mitarbeiter Felix Kamella. | |
Knappe Kassen könnten dazu führen, dass „Schulleiter betteln gehen müssen�… | |
„Wenn die Gesetzesnovelle ernst gemeint ist, dann müsste Speed4 untersagt | |
werden.“ | |
Kamella fürchtet jedoch, die CDU könnte das Gesetz auf Druck der Wirtschaft | |
abschwächen. Tatsächlich plant das Ministerium noch Anpassungen. | |
LobbyControl fordert deshalb eine unabhängige Monitoringstelle für | |
Unterrichtsmaterialien und -projekte. Genau das hatte die hessische | |
SPD-Fraktion beantragt, war jedoch außer bei der Linkspartei auf Ablehnung | |
gestoßen. | |
Die FDP sträubt sich gar gänzlich gegen die Verschärfung: Die Verantwortung | |
solle bei den Schulen bleiben. Das empört René Scheppler, Sprecher der | |
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Hessen: „Da wird | |
Verantwortung ganz weit runtergedrückt an ein grundsätzlich überlastetes | |
Lehrerkollegium.“ | |
Politisch brisant ist der Fall „Calliope mini“. Mit den Platinen der vom | |
Bundeswirtschaftsministerium geförderten gGmbH sollen Schüler*innen | |
programmieren lernen. Seit Oktober testen zwei saarländische Grundschulen | |
die Geräte. 1.000 weitere Geräte werden seit März an Drittklässler*innen im | |
Land verteilt, weitere 7.000 nach den Sommerferien. Die Kosten der je rund | |
20 Euro teuren Teile trägt die gemeinnützige GmbH. | |
Gesponsert wird diese etwa von Google, Microsoft, Bosch und SAP – wie | |
genau, bleibt weitgehend vertraulich. Google habe etwa 500.000 Euro | |
beigesteuert, sagt Gesellschafter Stephan Noller. Bosch „eine ähnliche | |
Größenordnung“. | |
## Gewerkschaft moniert intransparente Vergaben | |
In Bremen läuft das Pilotprojekt ab April. Dort zahlt die Telekom Stiftung. | |
GEW-Sprecher Scheppler wirft den SPD-geführten Bildungsministerien im | |
Saarland und Bremen intransparente Vergaben vor. Er vermutet | |
parteipolitische Gründe für den rasanten Aufstieg der erst im September | |
gegründeten gGmbH und attestiert ihr „knallharten Lobbyismus“. | |
Gesellschafter Noller gibt zu: „Viele von uns haben einen SPD-Bezug.“ Man | |
sei halt befreundet, sonst nichts. Dass Calliope-Gesellschafterin Gesche | |
Joost etwa im Wahlkampfteam von Peer Steinbrück war, ist kein Geheimnis. | |
Noller aber betont: „Die Partner bekommen keine große Plattform, keine | |
Nennung auf den Materialien.“ | |
Die Wirtschaft profitiert indirekt. Sie zieht sich den digitalen Nachwuchs | |
heran. Eigentlich befürwortet GEW-Mann Scheppler Digitalisierung im | |
Unterricht – solange es transparent bleibt. „Wenn wir heute Google das Feld | |
überlassen, dann will morgen BMW die Verkehrserziehung und McDonald’s die | |
Ernährungsbildung übernehmen.“ | |
28 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Astrid Ehrenhauser | |
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