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# taz.de -- LobbyControl über Bundesregierung: Schwarz-Rot sieht rot
> Der Verein LobbyControl zieht eine negative Bilanz der großen Koalition.
> Sie sei für Skandale wie Dieselgate mitverantwortlich.
Bild: LobbyControl wirft der Großen Koalition Versagen vor
Berlin taz | Unter dem Motto „Aussitzen statt anfangen“ hat der
gemeinnützige Verein LobbyControl am Mittwoch in Berlin [1][seinen
Lobbyreport] über die große Koalition vorgestellt. Fazit: Lobbyismus ist in
Deutschland weitgehend intransparent und schlecht reguliert. „Schwarz-Rot
hat bei der Lobbykontrolle versagt“, so Imke Dierßen, politische
Geschäftsführerin von LobbyControl.
Die Union habe notwendige Reformen blockiert und der SPD sei die
Lobbyregulierung nicht wichtig genug gewesen. Die im Koalitionsvertrag
vereinbarten Vorhaben seien umgesetzt worden, jedoch ohne den nötigen Biss.
LobbyControl fordert ein verpflichtendes Lobbyregister, eine transparente,
regulierte Parteienfinanzierung, die Neuregelung der Abgeordnetenbestechung
und neue gesetzliche Karenzzeiten.
In Berlin arbeiten nach Angaben von LobbyControl täglich mehrere tausend
Lobbyisten. „Seitens der Behörden und Parteien gibt es ein mangelndes
Problembewusstsein mit dem Umgang der Lobby“, sagt Timo Lange, Autor des
Berichts. Lobbyskandale wie [2][„Rent-a-Sozi“], [3][„Dieselgate“] und
[4][„Cum/Ex“] hätten einen finanziellen Schaden angerichtet, der in die
Milliarden gehe.
Der allgemeine Schaden sei jedoch viel höher: „Solche Skandale zerstören
das Vertrauen der Bevölkerung in politische Institutionen, unsere
Demokratie steckt in der Krise“, so Dierßen. Diese hätten auch den Aufstieg
der neuen Rechten in Europa und den USA gefördert und seien eine
Steilvorlage für Protestwähler.
Im Bericht gibt es sechs Handlungsfelder, die LobbyControl nach Ampelsystem
bewertet: Grün bedeutet, dass in diesem Bereich kein Handlungsbedarf
vorhanden ist. Bei orange gab es leichte Verbesserungen, aber es sind noch
weitere Maßnahmen nötig. Und rot: Großer Handlungsbedarf, da keine
Regelungen bestehen oder die bisherigen schlecht sind. In den Bereichen
vergab LobbyControl dreimal gelb und dreimal rot, kein Handlungsfeld wurde
mit grün bewertet. „Im Bericht 2015 hatten wir von einem langsamen
Fortschritt gesprochen, dieser ist jetzt zum Stillstand gekommen“, so
Dierßen.
## Diese Bereiche bewertet LobbyControl mit rot
„Bei den roten Ampeln gibt es einen ohrenbetäubenden Stillstand“, sagt
Lange. Es habe mittlere bis große Skandale gegeben, dafür aber nur an
kleinen Stellen eine Reformation.
Transparenz: Die Mehrheit der Bevölkerung und eine rechnerische Mehrheit
der Bundestagsabgeordneten spreche sich für ein Lobbyregister aus. Die SPD
stellte einen dementsprechenden Gesetzesentwurf vor, die Union blockierte
den Vorschlag. Zudem gab es aus der Opposition einen entsprechenden
Entwurf, der auch mit Stimmen aus der SPD abgelehnt wurde.Irland, Kanada,
Österreich und Belgien haben bereits ein Register, in das sich Lobbyleute
eintragen müssen.
Der Bundestag führte 1972 eine Verbändeliste ein, jedoch kann sich dort nur
ein Teil der Lobbyakteure eintragen. Die Eintragung ist freiwillig und mit
keinen Rechten oder Pflichten verbunden. Heute hat sich der Lobbyismus
verändert, ist vielfältiger und professioneller geworden. LobbyControl
sieht die Lösung in einem verpflichtenden Register: Hier müsste sich jeder
Lobbyist eintragen und seine finanziellen Hintergründe offenlegen. Das
Register soll zudem kontrolliert werden, bei Verstößen gibt es Sanktionen.
Gesetzgebung: In Ministerien entstehen die meisten Gesetzesentwürfe,
Lobbyisten nehmen darauf Einfluss. Es sei nicht falsch, dass die
Ministerien sich mit Interessenvertretern austauschen, jedoch sei die
Beteiligung unausgewogen. Lobbyisten seien meist früher und besser
informiert als Abgeordnete. Im „Cum/Ex“-Skandal, der dem Staat rund zehn
Milliarden Verlust einbrachte, hätten die Lobbyisten die Gesetze selbst
geschrieben. LobbyControl fordert eine „legislative Fußspur“, also
Transparenz darüber, wer die Gesetzesidee auf den Weg brachte und welche
Personen mit jeweiligem Anteil am Prozess beteiligt waren.
Parteienfinanzierung: Bisher gibt es keine private Obergrenze für Spenden.
Erst ab 10.000 Euro jährlich müssen die Parteien die Summe in ihrem
Rechenschaftsbericht veröffentlichen. Einzelspenden müssen erst ab 50.000
Euro allgemein zugänglich gemacht werden. Wer also knapp unter der Grenze
bleibt, kann diese Regelung umgehen. Auch müssen Parteien die [5][Einnahmen
vom Parteiensponsoring] von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen nicht
einzeln offen legen.
Transparenz gibt es auch im Wahlkampf nicht: So finanzierte der Verein zur
„Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“ mehrere
Landtagswahlwerbungen in Millionenhöhe für die AfD. Timo Lange erwartet das
auch bei der Bundestagswahl. LobbyControl will hier ein Kontrollgremium.
Zuwendungen sollen ab 2.000 Euro in den Rechenschaftsberichten und Spenden
ab 10.000 Euro unmittelbar mit Name und der genauen Summe angegeben werden.
Gleiches fordert der Verein auch für Parteiensponsoring und Transparenz im
Wahlkampf. Der Verkauf von Politikergesprächen sollte verboten sowie die
maximale Spendensumme pro Spender, Partei und Jahr auf 50.000 Euro begrenzt
werden.
## Hier vergab LobbyControl gelb
Seitenwechsel: Ehemalige Politiker sind gefragte Lobbyisten, da sie
Insiderwissen und exklusive Zugänge zu Institutionen bieten. Das neu
verabschiedete Gesetz besagt eine Karenzzeit von zwölf Monaten, in
besonderen Fällen 18 Monate. Die Karenzzeit ist jedoch eine
Einzelfallentscheidung, diese wird von einem Gremium getroffen und
veröffentlicht. Bei Verstößen gibt es keine Sanktionen Die Veröffentlichung
sieht LobbyControl positiv.
Ein weiteres Problem seien politische Beamte, beispielsweise
Staatssekretäre, die oft die Seiten wechseln. Zwar kann ihnen ein
Seitenwechsel von ihrer Behörde verboten werden, die Kriterien und der
Prozess dazu seien allerdings intransparent. LobbyControl fordert daher
längere Karenzzeiten, verbindliche Sanktionen und bei politischen Beamten
eine öffentliche Empfehlung mit einsehbarem Kriterienkatalog. Dies soll
auch Angestellte in Ministerien betreffen, die bisher von keiner Regelung
umfasst sind.
Nebentätigkeiten: Mittlerweile sind alle Nebeneinkünfte von Abgeordneten in
einem zehnstufigen System erfasst. In der zehnten Stufe für Nebenverdiener
ab 250.000 Euro tummeln sich sechs Unionspolitiker. Der Anteil der
Zusatzverdiener liegt generell in der Union bei knapp 27 Prozent und bei
der SPD bei etwa 16 Prozent.
Als Lösung sieht LobbyControl ein Verbot der bezahlten Lobbytätigkeit neben
einem Mandat. Zudem soll eine Befangenheitsregel greifen, die Abgeordnete
bei Interessenkonflikten von gewissen Prozessen fernhält. Jeder Abgeordnete
müsste sein Vermögen und seine Nebeneinkünfte genau offen legen, eine
Kontrollinstanz soll ein Auge darauf haben.
Abgeordnetenkorruption: Die Abgeordneten haben durch den Artikel 38 des
Grundgesetzes, nach diesem sie nur ihrem Gewissen unterworfen sind, viele
Freiheiten. Die SPD legte ein neues Konzept vor. Demnach macht sich
strafbar, wer „einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder seinen
Dritten als Gegenleistung“ für Handlungen in Verbindung mit seinem Mandat
fordert oder annimmt.
Problem: Der Tatbestand sei schwierig nachzuweisen. „Turmhohe
Strafbarkeitsschwellen und geradezu planmäßig wirkende
Beweisschwierigkeiten“, schreibt Ex-Bundesrichter Thomas Fischer im
Bericht. LobbyControl möchte demnach eine Umformulierung, so dass
Korruption bei Abgeordneten leichter nachzuweisen ist.
## Es gibt viel zu tun
„Das Pflichtenheft der neuen Regierung ist gut gefüllt“, resümiert Lange.
Nicht nur LobbyControl sondern auch viele Lobbyisten finden verbindliche
Regeln für alle ansprechend. Jedoch sei dies unter einer schwarz-gelben
Regierung nicht zu erwarten. „Die Ministerien sollen sich nicht wie
Schutzpatrone vor Unternehmen stellen, so wie es Verkehrsminister Dobrindt
mit der Autoindustrie getan hat“, fordert Lange.
Angela Merkel ernannte Anfang April als Bundestagswahlkampfmanager Joachim
Koschnicke. Davor war dieser in der freien Wirtschaft tätig, wechselte dann
zur CDU und danach zu Opel. Laut LobbyControl war er im
„Dieselgate“-Skandal verwickelt.
21 Jun 2017
## LINKS
[1] https://www.lobbycontrol.de/2017/06/lobbyreport-2017-aussitzen-statt-anpack…
[2] /Agentur-verkauft-Treffen-mit-SPDlern/!5360091
[3] /Verdacht-auf-Marktmanipulation/!5408733
[4] /Ausschuss-zu-Cum-Ex-Steuerhinterziehung/!5419091
[5] /Berichte-zu-Parteispenden-veroeffentlicht/!5419030
## AUTOREN
Laura Weigele
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