# taz.de -- Buch über digitale Wirtschaft: Alle auf der Plattform | |
> Smart Economy, Digitalisierung, Industrie 4.0: Nick Srnicek untersucht | |
> den „Platform Capitalism“ und entdeckt die Krise des Kapitalismus. | |
Bild: Den Kapitalismus hatten wir uns anders vorgestellt: Google-Datencenter | |
Im Kern des Kapitalismus liegt unablässiges Wachstum, das sich seit | |
geraumer Zeit in digitale Sphären ausdehnt. Doch diese Expansion und der | |
damit einhergehende technische Wandel kommen mit hohen Kosten. An ihrem | |
Boden finden „Kämpfe zwischen den Klassen und zwischen den Kapitalisten | |
statt, die ihre Produktionskosten unter den sozialen Durchschnitt senken | |
wollen“, schreibt Nick Srnicek: Unstete Arbeitsverhältnisse sind nur eine | |
Folge davon. Mit „Platform Capitalism“ hebt der 1982 geborene Kanadier dazu | |
an, die Wachstumshoffnungen, die in die digitale Wirtschaft gelegt werden, | |
zu entmystifizieren. | |
Auf gerade einmal 129 Seiten entfaltet Srnicek eine Genealogie | |
gegenwärtiger Tendenzen des Kapitalismus, der durch die hohe | |
Informationsdichte nicht immer leicht zu folgen ist. Rote Fäden lassen sich | |
bei Srnicek vor allem dann erkennen, wenn man sich Zeit für Seitenblicke | |
auf seine anderen Schriften nimmt. Im „Beschleunigungsmanifest für eine | |
akzelerationistische Politik“ von 2014 sprachen Srnieck und sein Koautor | |
Alex Turner noch von einer „geistigen Kartierung des bestehenden Systems“. | |
Mit „Platform Capitalism“ löst Srnicek diese Forderung ein. Wo im Manifest | |
noch von einer Krise des Kapitalismus die Rede war und von wenig | |
Innovation, die sich höchstens in der Unterhaltungselektronik und der | |
„unendlichen Variation desselben Ausgangsprodukts“ zeige, macht dieser Band | |
die Krise des Kapitalismus an Kontinuitäten und Brüchen in seiner | |
Geschichte deutlich. | |
Grundkonstanten des Kapitalismus sind die Akkumulation von Kapital, | |
Privateigentum, Wettkampf, Globalisierung. Letztere hat nach dem Zweiten | |
Weltkrieg dafür gesorgt, dass Unternehmen in produzierenden Gewerben | |
zusehends in Konkurrenz zueinander traten. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, | |
mussten sie ihre Produktionskosten reduzieren oder auf neuere Technologien | |
setzen. | |
## Fünf Typen von Plattformen | |
Aufgrund der sinkenden Profitabilität der Produktion schwenkten dann viele | |
Unternehmen auf das Sammeln und Verarbeiten von Daten um – das Kerngeschäft | |
von Google oder Facebook heute. Einige von ihnen agieren seither als | |
Plattformen. Rolls-Royce etwa verkauft keine Turbinen mehr, sondern | |
vermietet sie lediglich an Fluggesellschaften. Während der Flüge werden | |
Daten zur Performance gesammelt. Die Wartungsarbeiten liefert das | |
Unternehmen natürlich mit. Heute, so argumentiert Srnicek, gruppiere sich | |
wirtschaftlicher Fortschritt hauptsächlich um Variationen des | |
Plattform-Modells herum. | |
Srnicek macht fünf Typen von Plattformen aus. Neben Produktplattformen wie | |
Rolls-Royce, schlanken Plattformen wie Uber, industriellen Plattformen wie | |
Siemens gibt es demnach außerdem Werbeplattformen wie Google oder Facebook | |
und Cloudplattformen wie AWS. Solche Unternehmen vermieten Datenspeicher, | |
was, grob gesagt, halbe IT-Abteilungen in anderen Firmen fast überflüssig | |
macht. Das wiederum könne, so Srnicek, zu einer Schrumpfung der „skilled | |
labor force“ führen. | |
Manche dieser ArbeiterInnen suchen dann vielleicht ironischerweise auf | |
anderen Plattformen wie TaskRabbit Jobs. Dort reparieren Menschen gegen | |
kleine Löhne Kühlschränke, zum Beispiel. Das Unternehmen gibt an, dass | |
ungefähr 70 Prozent der UserInnen Bachelor-Abschlüsse haben. Wieso ist das | |
ein Zeichen für den kriselnden Kapitalismus? Srnicek: „In einer gesunden | |
Wirtschaft müssten sich diese Leute nicht im Mikrotasking verdingen. Sie | |
hätten ordentliche Jobs.“ | |
Heruntergebrochen kann der Technologiesektor nur vermeintlich als sicherer | |
Hafen und Wachstumsgarant verstanden werden. Kulturpessimisten befürchten | |
bei steigender Automatisierung ohnehin die Gefahr, dass Roboter bald unsere | |
Arbeit machen werden. Auch hier lohnt ergänzend ein Blick in Nick Srniceks | |
und Alex Williams’ „Die Zukunft erfinden: Postkapitalismus und eine Welt | |
ohne Arbeit“ (Edition Tiamat, 2016). Dort lernen LeserInnen: Der Mensch | |
müsste doch eigentlich gar nicht mehr arbeiten, wenn die Maschinen ihm | |
alles abnehmen. Oder? Solche Ideen firmieren seither unter Begriffen wie | |
„Fully Automated Luxury Communism“. | |
„Platform Capitalism“ ist fordernd, nüchtern, eine gute Bestandsaufnahme. | |
Die empfohlene Dosierung, angesichts der Materialfülle, die hier dargeboten | |
wird: fünf Seiten am Tag. | |
3 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Fabian Ebeling | |
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