# taz.de -- Arbeitskampf bei Lieferdienst Gorillas: Alle Rider stehen still | |
> Nach der Kündigung eines Kollegen streiken Mitarbeiter:innen des | |
> Lieferdienst-Start-Ups. Widerstand gibt es auch gegen die | |
> Arbeitsbedingungen. | |
Bild: Ohne Rider bewegt sich nix: Gorillas Mitarbeiter:innen blockieren Verteil… | |
Berlin taz | Es sind nicht viele Menschen, die am Donnerstagmittag vor dem | |
Lagerhaus des Fahrrad-Liefer-Start-ups Gorillas in Prenzlauer Berg stehen | |
und den Eingang blockieren. Aber sie sind laut und haben eine klare | |
Botschaft. „Wir wollen Santi zurück“, rufen sie auf Englisch und klatschen | |
dabei, immer wieder. | |
Rund hundert Mitarbeiter:innen des in Berlin gegründeten Unternehmens | |
beteiligen sich seit Mittwochnachmittag an dem spontanen Streik. Auslöser | |
war die fristlose Kündigung von Santiago, einem der „Riders“ – so die | |
branchentypische Bezeichnung der Fahrad-Lieferbot:innen. | |
Als spontane Reaktion blockierten Santiagos Kolleg:innen zunächst ihren | |
Arbeitsort in der Kreuzberger Charlottenstraße. Wenig später schlossen sich | |
weitere Riders dem Streik an und blockierten ein zweites Verteilzentrum in | |
der Muskauer Straße im Stadtteil Kreuzberg. | |
Warum Santiago gekündigt wurde, ist dabei zunächst unklar. „Mir wurde vom | |
Management kein Grund genannt“, erklärte der junge Rider am Mittwoch | |
gegenüber der taz. Zunächst hatte das Gorillas Workers Collective auf dem | |
Kurznachrichtendienst Twitter mitgeteilt, Santiago sei entlassen worden, | |
weil er zu spät kam. Ein Sprecher des Unternehmens wiederum erklärte auf | |
Anfrage der taz, es habe „Fälle groben Fehlverhaltens“ gegeben. Deshalb | |
habe man sich entschlossen, das Arbeitsverhältnis „innerhalb der Probezeit | |
zu beenden“. | |
## Fehlender Kündigungsschutz | |
Yonathan Miller, Sprecher des Gorillas Workers Collective, kritisiert, das | |
Hauptproblem sei, dass Santiagos Kündigung ohne Verwarnung erfolgt sei. Es | |
sei zwar legal, aber Gorillas [1][nutze die gesetzlichen Regelungen] zur | |
Probezeit massiv aus. | |
Diese dauert bei den Gorillas sechs Monate; so lange sind die | |
Mitarbeiter:innen vor fristlosen Kündigungen nicht sicher. Da kaum | |
jemand diesen prekären Job länger als ein halbes Jahr macht, betrifft das | |
einen Großteil der Beschäftigten. | |
In der Regel erhielten die Riders, die die Probezeit überstehen, dann nur | |
auf ein Jahr befristete Verträge, so Miller. Aber: „Die Belegschaft besteht | |
zu großen Teilen aus Migrant:innen, die auf einen festen Arbeitsvertrag für | |
ihr Visum angewiesen sind.“ Gorillas wisse das. | |
Ein Rider berichtete der taz, das Gorillas-Management habe erklärt, keine | |
juristischen Schritte gegen die Streikenden einleiten zu wollen. Eine | |
Nachfrage der taz zu möglichen arbeitsrechtlichen Konsequenzen ließ das | |
Unternehmen allerdings unbeantwortet. | |
## Forderungen bleiben unerfüllt | |
Auf der ersten Versammlung am Mittwochabend einigten sich die Streikenden | |
auf drei zentrale Forderungen. Neben der Rücknahme der Entlassung soll auch | |
die Probezeit abgeschafft werden. Zukünftige Entlassungen sollen zudem erst | |
nach drei Verwarnungen möglich sein. | |
Bereitschaft, auf die Forderungen der Riders einzugehen, zeigte das | |
Unternehmen bislang wenig. „Der Ball liegt jetzt bei Gorillas“, erklärt | |
Miller. | |
Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, rief am Donnerstag das Gorillas | |
Workers Collective zur Blockade eines weiteren Lagers in der Torstraße in | |
Prenzlauer Berg auf, das als das größte des Start-up in Berlin gilt. | |
Normalerweise stehen vor diesem Ladengeschäft regelmäßig 10 bis 20 | |
Fahrer:innen und warten darauf, von anderen Mitarbeiter:innen | |
Pakete mit Lebensmitteln, Getränken und anderen Artikeln des täglichen | |
Bedarfs zu bekommen, die sie dann zu Kund:innen in der nahen Umgebung | |
ausliefern. Das Unternehmen verspricht eine Lieferung innerhalb von zehn | |
Minuten nach Bestellung. | |
## Gefährlicher Job, Schlechte Bezahlung | |
Der Werbeslogan des Start-ups lautet „faster than you“. Ermöglicht werden | |
soll dies durch ein kleinmaschiges Netz aus Verteilzentren; in vielen | |
Innenstadtbereichen Berlins sind die „Gorillas“ bereits unterwegs. | |
In der umkämpften [2][Branche der Lieferunternehmen] gilt Gorillas als | |
vielversprechend. Zuletzt wurde das Start-up mit über 1 Milliarde Dollar | |
bewertet und gilt daher als „Unicorn“. In einer letzten | |
Investor:innenrunde sammelte das Unternehmen 245 Millionen Euro ein, | |
um weiter expandieren zu können. | |
Geld, von dem bei den Fahrer:innen nur wenig ankommt. Am Rande der | |
Blockade kritisieren sie die Bezahlung: 10,50 Euro Stundenlohn bekämen sie; | |
zu wenig für die harte und gefährliche Arbeit auf dem Fahrrad und mit oft | |
schweren und unhandlichen Rucksäcken. | |
Ein 29-jähriger Fahrer, der seien Namen aus Angst vor Repressionen nicht | |
in der Zeitung lesen will, kritisiert auch die mangelhafte Kommunikation im | |
Unternehmen: Innerhalb eines Lagerhauses würde man gut mit den | |
Kolleg:innen zusammenarbeiten; aber „von oben“ kämen immer nur „Ansagen | |
im Manager-Sprech“. Letzten Endes sei der Job eine klassische Form der | |
Ausbeutung. | |
## Betriebsratsgründung sabotiert | |
Bereits im Februar 2021 war es bei dem Unternehmen zu Arbeitsniederlegungen | |
gekommen. Vergangene Woche nahmen Gorillas-Beschäftigte die erste Hürde zur | |
Gründung eines Betriebsrats, indem sie einen Wahlvorstand wählten. Das | |
Management will dessen Wahl gerichtlich überprüfen lassen, wie es in einer | |
Mail an die Angestellten kurz nach der Wahl ankündigte. | |
Die Berliner Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD), die schon länger | |
die Arbeitsbedingungen in der Branche beobachtet, ist wenig überrascht: | |
„Arbeitnehmer:innenrechte werden bei Gorillas nicht besonders groß | |
geschrieben“, das Unternehmen betreibe Union-Busting, indem es versuche, | |
das Bilden von Betriebsräten aktiv zu verhindern, so Kiziltepe. | |
10 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
Peter Nowak | |
Bert Schulz | |
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