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# taz.de -- Prekäre Arbeit beim Lieferservice: Sigrid kämpft für die Kollegen
> Die 70-jährige Ex-Auslieferin Sigrid Melanchthon will schlechte
> Arbeitsbedingungen nicht hinnehmen. Durch Corona haben sie sich weiter
> verschärft.
Bild: Harte Arbeitsbedingungen in Zeiten von Corona: Fahrer von Lieferando
Auch mit fast 70 Jahren ist Sigrid Melanchthon in Bewegung – politisch, in
der Inlineskatinggruppe Rolling Oldies und bis vor wenigen Tagen auch als
Fahrradkurierin beim Bestellservice Lieferando.
2016 kam die gebürtige Sächsin nach Berlin, um hier ihren Ruhestand zu
verbringen. Das Ausfahren von Pizza, Burgern und Sushi sollte ihr die
magere Rente aufbessern. „Und Fahrrad fahre ich ohnehin gern und viel“,
erzählt sie heiter am Telefon.
Doch dann kam das Virus und brachte einen Boom für Lieferando. Und eine
Krise für die Ausliefernden. Ungeschützt, mit ihren eigenen Fahrrädern und
ohne zentrale Anlaufstelle sollten die ohnehin prekär Beschäftigten
plötzlich arbeiten.
Das ging Sigrid Melanchthon zu weit. Mit einigen Kolleg*innen und
unterstützt durch die Freie Arbeiter*innen Union gründet sie eine
Betriebsgruppe und setzt sich seit März für bessere Arbeitsbedingungen bei
Lieferando ein.
## Die Leitung ist eine Emailadresse
Als Dolmetscherin für Spanisch und Französisch arbeitete Melanchthon
zunächst bei Intertext, dem Fremdsprachendienst der DDR. Nach der Wende war
sie im Vertrieb und im IG-Metall-Betriebsrat einer Maschinenbaufirma in
Hamburg. Als Assistentin einer linken Europa-Abgeordneten ging die
Gewerkschafterin später nach Brüssel und arbeitete anschließend bis zur
Rente in Genf als Kindersitterin.
Zurück in Berlin hat sie die Idee, im Lieferservice steuerfreie 450 Euro zu
verdienen. „Für Leute, die etwas dazuverdienen möchten ist diese Arbeit
super geeignet“, erzählt sie. Die Mitarbeitenden in der „Hub“, der
Lieferando-Zentrale in Mitte, seien freundlich – und doch nicht wirklich
ansprechbar. „Der City Coordinator, also der Filialleiter und die
Schichtleitung, sind nur eine E-Mail-Adresse, von der einmal im Monat eine
Nachricht kommt.“
Ansprechen möchte Melanchthon die intransparente Verteilung der Schichten
und dass ihre Kolleg*innen beim Bringdienst Foodora zu schlechteren
Bedingungen arbeiten, obwohl doch auch dieser Service seit 2019 zur
internationalen Mutterfirma Takeaway gehört.
## Immer Ärger mit Sigrid
Auch um Coronaboni mussten die Foodora-Leute erst streiten. Die Pandemie
habe deutlich gezeigt, wie wichtig der Arbeitskampf sei, erklärt die
Rentnerin. Die sogenannten Rider*innen hätten von der Firma kein
Desinfektionsmittel und Mundschutz bekommen. Die Warmhalterucksäcke sollten
sie künftig zu Hause reinigen, ihre privaten Fahrräder nutzen.
Zu hoch sei ihr das Ansteckungsrisiko gewesen, so die Seniorin. Schichten
habe sie in der Pandemie nicht mehr übernommen. Kurz vor Ende ihrer
Probezeit wird ihr schließlich am 20. Mai gekündigt. „Mit dir gibt es immer
Probleme“, hatte sie schon zuvor gehört.
Auf Probleme im Lieferbetrieb will Melanchthon mit der FAU-Gruppe weiterhin
aufmerksam machen. „Ich komme auch so zurecht. Aber es geht mir um die
Kollegen, bei denen ein Visum am Job hängt. Die haben keine Wahl.“
29 May 2020
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
## TAGS
Lieferservice
Arbeitnehmerrechte
Schwerpunkt Coronavirus
Lieferdienst
Deliveroo
Foodora
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