# taz.de -- Essenslieferanten nach Deliveroo-Aus: Strampeln für wenig Lohn | |
> Ab Freitag suchen 1.000 Deliveroo-Fahrer*innen Jobs. Sie kommen aus einer | |
> Branche mit miesen Arbeitsbedingungen. | |
Bild: Hauptsache, das Essen wird nicht kalt: Ein Deliveroo-Fahrer saust bei Reg… | |
Am Freitag verschwinden die türkisfarbenen Rucksäcke aus dem Straßenbild: | |
Der Lieferdienst [1][Deliveroo zieht sich aus Deutschland zurück] und | |
investiert in anderen Märkten, vor allem in Asien. Rund 1.000 Fahrer*innen | |
suchen einen neuen Job. Sie arbeiten in einer Branche mit harten Sitten, | |
die Bezahlung ist prekär. | |
Bei Deliveroo kamen die Aufträge per App. Sie konnten angenommen oder | |
abgelehnt werden. Erst nach einer Annahme erfuhren die Fahrer*innen die | |
Anschrift von Restaurant und Kund*in. „Pro ausgefahrener Bestellung gab es | |
5,50 Euro“, sagt Orry, 27 Jahre alt. Er war zwischen 2016 und 2018 Fahrer | |
in Köln. Zuerst bei Foodora, dann beim Konkurrenten Deliveroo. Jeden Tag | |
ist er dort acht Stunden lang rund 100 Kilometer gefahren. Er sagt: Der | |
Fahrer werde dazu verleitet, Verkehrsregeln zu brechen und damit sein Leben | |
zu riskieren. | |
Christoph Schink von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) | |
befasst sich mit der Branche der Lieferdienste und erklärt das System: „Man | |
ist bei Deliveroo auf selbstständiger Basis unterwegs und bekommt pro | |
Bestellung eine Pauschale, egal wie weit gefahren wird.“ Zuschläge für | |
schlechtes Wetter oder Regen gebe es in der gesamten Branche kaum. | |
Lediglich bei Orkanen würden die Plattformen gelegentlich geschlossen. | |
Höhenmeter kenne das System nicht, die Zeit werde nach Strecke berechnet: | |
„Man fährt gegen die Uhr“, so Schink. Kunden und Lieferanten treffen sich | |
auf einer Plattform, die ein Anbieter zur Verfügung stellt – so | |
funktioniert die Plattformökonomie. Sie stellt den Gesetzgeber und die | |
Gewerkschaften vor ganz neue Herausforderungen. | |
Am Montag bekamen die Fahrer*innen von Deliveroo eine E-Mail: Ihr | |
Auftraggeber teilte ihnen mit, ab Freitag nicht mehr in Deutschland tätig | |
zu sein. Die Fahrer*innen bekommen eine Entschädigung, die aus zwei Teilen | |
besteht: einer Zahlung in Höhe von 10 Tagessätzen und einer | |
Zweiwochenvergütung. Beides berechnet auf Basis des Verdienstes in den | |
zwölf Wochen vor dem 3. August. Die zweite Vergütung wird nur ausgezahlt, | |
wenn sich die Fahrer*innen verpflichten, auf rechtliche Schritte gegen | |
Deliveroo zu verzichten. Deliveroo wollte sich dazu nicht äußern. | |
## Lieferando setzt auf fest angestellte Fahrer*innen | |
Nach dem Rückzug von Deliveroo ist jetzt also nur noch Lieferando in der | |
Branche der Essenslieferdienste unterwegs. Erst im Frühjahr hatte Takeaway, | |
der Lieferando-Mutterkonzern mit Sitz in den Niederlanden, seine | |
Wettbewerber aufgekauft. Der Lieferdienst mit den orangefarbenen Rucksäcken | |
setzt auf fest angestellte Fahrer*innen. Joscha ist einer von ihnen und in | |
Münster unterwegs. | |
„Es ist noch unklar, was nach der Übernahme mit uns passiert“, sagt er. | |
Joscha fährt unter der Marke Lieferando bei Foodora GmbH. Ein neues Angebot | |
von Lieferando habe er noch nicht erhalten. Laut seinen Angaben bekämen | |
einige Kolleg*innen aus Münster den Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde. | |
„Es gibt einen wilden Mischmasch an Verträgen“, sagt er. | |
Laut Angaben von Lieferando werden die eigenen Fahrer*innen in allen | |
Städten über Mindestlohn bezahlt. Bei Lieferando sind die Fahrer*innen | |
sozial- und unfallversichert. Sie erhalten ebenso Urlaubs- und Krankengeld. | |
„Man hat viele Freiheiten, es gibt aber auch kritische Punkte“, sagt | |
Joscha. | |
Die Gründung eines Betriebsrats in Münster wurde beispielsweise abgewendet. | |
„Wir haben uns im Sommer 2017 organisiert“, sagt er. „Sie haben versucht, | |
das im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten zu verhindern.“ Die | |
Begründung: Für einen Betriebsrat benötige man eine Betriebsstätte. In | |
Zeiten der Plattformökonomie nur schwer realisierbar, findet Joscha. Dazu | |
sagt Lieferando: „Grundsätzlich befürworten und unterstützen wir die | |
Mitarbeiterbeteiligung in unserem Unternehmen.“ Es gebe verschiedene | |
Betriebsräte in Deutschland. Joscha sagt: „Lieferando hat keinen einzigen | |
Betriebsrat, die sind noch alle bei Foodora.“ | |
## Gewerkschaften kämpfen für bessere Bedingungen | |
Bei Foodora bekam Joscha einen Winterbonus in Höhe von 50 Cent pro Stunde. | |
„Das kompensiert nicht, dass ich bei Glatteis mein Leben riskiere“, sagt | |
er. Wie ein Sprecher bestätigte, wird es bei Lieferando keinen Bonus mehr | |
geben. Ein Fahrrad bekommt Joscha in Münster nicht gestellt. In Städten mit | |
Lieferando-Sitz gibt es ein E-Rad, Auto- oder Rollerfahrer*innen erhalten | |
Kilometergeld. Waschkosten für Kleidung und Rucksack werden nicht | |
übernommen. | |
Orry studiert mittlerweile Politikwissenschaften in Marburg. Er ist bei der | |
NGG aktiv. Die Gewerkschaft kämpft wie auch die Freie Arbeiter*innen Union | |
(FAU) für bessere Arbeitsbedingungen in der Branche der Lieferdienste. In | |
Berlin organisiert das [2][FAU-Projekt Deliverunion] Streiks und Demos. | |
Joscha will einen Betriebsrat gründen und einen Tarifvertrag erkämpfen. Er | |
sagt: „Plattformökonomie ist auch Ökonomie.“ Und habe sich an | |
Arbeitnehmer*innenrechte zu halten. | |
15 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Deliveroo-verlaesst-Deutschland/!5617957/ | |
[2] /Arbeitsrechte-bei-Essenslieferanten/!5498464&s=fau+deliveroo/ | |
## AUTOREN | |
Gabriel Rinaldi | |
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