| # taz.de -- Aus für Essensdienst in Deutschland: Warum Deliveroo geliefert ist | |
| > Von Marx lernen heißt siegen lernen: In „Das Kapital“ lässt sich | |
| > nachlesen, warum der Lieferdienst Deliveroo in Deutschland keine Chance | |
| > hatte. | |
| Bild: Erst mal Marx lesen? Deliveroo-Fahrer*innen im Streik | |
| BERLIN taz | Karl Marx hat schon 1867 vorausgesehen, dass der Lieferdienst | |
| Deliveroo in Deutschland scheitern würde. Die Firma war schlicht zu klein, | |
| und im Kapitalismus zählt langfristig nur eines – schiere Größe. | |
| Um noch kurz bei Deliveroo zu bleiben: Der britische Lieferdienst für | |
| Restaurantgerichte [1][will sich am Freitag aus Deutschland zurückziehen]. | |
| Die meisten Bundesbürger dürften diesen Abschied gar nicht bemerken, denn | |
| die Deliveroo-Kuriere waren sowieso nur noch in fünf deutschen Großstädten | |
| unterwegs: in Berlin, München, Köln, Hamburg und Frankfurt. | |
| Deliveroo musste aufgeben, weil der deutsche Markt für mobile Speisen | |
| längst von Lieferando beherrscht wird. Gezielt hat der Konzern die | |
| Konkurrenz aufgekauft und die Kurierdienste Lieferheld, pizza.de und | |
| Foodora geschluckt. | |
| Für die Kunden waren diese Dienste sowieso ähnlich bis ununterscheidbar. | |
| Immer gab es Essen per Fahrrad. Markant war nur die Farbe der | |
| Warmhalteboxen. Deliveroo lieferte in Türkis, Foodora in Rosa und | |
| Lieferando in Orange. Jetzt hat Orange alle anderen besiegt. | |
| ## Kapitalistische Konzentration | |
| Es hat sich also eine Art Monopol herausgebildet. Dies war keine | |
| Überraschung, sondern unvermeidlich. Der Kapitalismus neigt zur | |
| Konzentration, wie Karl Marx als Erster erkannte. | |
| Nicht alle Theorien von Marx waren richtig, aber bahnbrechend war seine | |
| Einsicht, dass der Kapitalismus durch ein Paradox gekennzeichnet ist: | |
| Ausgerechnet der Wettbewerb führt dazu, dass hinterher kein Wettbewerb mehr | |
| übrig ist, sondern nur noch Oligopole oder gar Monopole herrschen. | |
| Der Mechanismus ist so schlicht wie brutal, den Marx in seinem Hauptwerk | |
| „Das Kapital“ von 1867 schilderte: Solange noch Konkurrenz herrscht, | |
| investieren alle Unternehmen in ihre Technik, um möglichst viele Produkte | |
| möglichst billig herzustellen. Doch irgendwann sind die Märkte gesättigt | |
| und können die zusätzlichen Waren nicht mehr aufnehmen. Es beginnt ein | |
| Verdrängungswettbewerb, den nur jene Firmen überleben können, die am | |
| billigsten produzieren. Dies sind jedoch immer die größten Anbieter, denn | |
| sie profitieren von einem Phänomen, das die Ökonomen heute „steigende | |
| Skalenerträge“ nennen: Je größer die Stückzahlen sind, desto billiger wird | |
| die eingesetzte Technik pro Stück. | |
| Marx’ Erkenntnis gilt nicht nur für die Industrie, sondern auch für | |
| Dienstleistungsbetriebe. Ja, sie trifft sogar auf Branchen zu, die sich | |
| einst als Alternative zum Kapitalismus betrachtet haben. Beispiel Bioläden: | |
| Ihre Gründer wollten sich dem ökologisch ruinösen Gewinnstreben entziehen | |
| und Wirtschaft und Natur versöhnen. Doch längst sind diese kleinen Krauter | |
| verschwunden und gigantische Bio-Supermärkte entstanden. Es ist eben | |
| effizienter, Waren in großen Mengen zu bestellen und zu verkaufen, als zwei | |
| Stunden im kleinen Kellerladen zu warten, bis der nächste Kunde kommt. Also | |
| sind die Bio-Supermärkte billiger, was die Kundschaft zu schätzen weiß. | |
| Große Firmen werden automatisch größer. | |
| Auch die Internetfirmen sind keineswegs so revolutionär neu, wie sie | |
| vielleicht aussehen mögen. Die Online-Plattformen sind nicht in einem | |
| virtuellen Raum unterwegs, sondern müssen ebenfalls gigantische | |
| Investitionen stemmen, damit ihre Computer und Algorithmen laufen. Wieder | |
| schlägt das Prinzip der steigenden Skalenerträge zu: Je mehr Kunden | |
| dieselbe Plattform benutzen, desto billiger wird die Technik für den | |
| Betreiber. | |
| Deliveroo hatte also nie eine Chance, gegen das größere Lieferando | |
| anzukommen, das seine Kurierdienste günstiger abrechnen konnte. Da nutzte | |
| es auch nichts, dass Deliveroo noch den Zusatzservice anbot, dass man auch | |
| bei Restaurants bestellen konnte, die selbst keine eigenen Kurierfahrer | |
| beschäftigen. Diese Differenz haben die meisten Kunden nie verstanden. | |
| Wer also nicht enden will wie Deliveroo: Erst mal Marx lesen! | |
| 13 Aug 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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