| # taz.de -- Globale Digitalisierung: Digital divide, das war mal | |
| > Längst geht es nicht mehr nur um den schieren Zugang zum Internet. | |
| > Geräte, Rahmenbedingungen und anderes prägen die digitale Ungleichheit. | |
| Bild: Internet-Café in China: Auch die politischen Rahmenbedingungen tragen zu… | |
| Berlin taz | Man kann sich die Gesamtheit der InternetnutzerInnen zum | |
| Beispiel vorstellen wie einen Wolkenkratzer. Ganz oben, auf der | |
| Aussichtsplattform, läge etwa Island. Die gesamte Bevölkerung ist ans | |
| Internet angeschlossen; für unterwegs gibt es zahlreiche offene WLANs; an | |
| Tablets und Computer heranzukommen, ist kein Problem; und schon in der | |
| Schule lernen die Kinder den Umgang damit. Zensur? Nein. Ende vergangenen | |
| Jahres waren 75 Prozent der Haushalte an das schnelle Glasfasernetz | |
| angeschlossen. Bester Überblick, schnelle Orientierung, alles zu sehen. | |
| Wer wissen will, wie digitale Ungleichheit aussieht, muss im Wolkenkratzer | |
| ein paar Stockwerke abwärtssteigen, weg von der Aussichtsplattform, von | |
| Anschlussgeschwindigkeiten von einem Gigabit pro Sekunde, runter in untere | |
| Stockwerke. Dorthin, wo es in jedem Raum ein anderes Problem gibt. In | |
| einem: Praktisch jeder hat ein Smartphone, aber eine ausgeklügelte | |
| Zensurtechnik verhindert, dass die Nutzer andere als staatsgefällige | |
| Inhalte ansurfen. | |
| In einem anderen: Schnelle Anschlüsse sind zwar vielerorts zu haben, aber | |
| so teuer, dass sie nur für einen privilegierten Teil der Bevölkerung | |
| erschwinglich sind. Oder: Anschlüsse und Geräte sind zu bekommen, aber ein | |
| nennenswerter Teil der Bevölkerung fühlt sich unsicher im Umgang mit dem | |
| Internet und vermeidet E-Mail, Onlinebanking und Musikstreaming lieber. | |
| Ein Gang durch den Wolkenkratzer zeigt auch: Die digitale Spaltung gibt es | |
| nicht. Oder zumindest nicht mehr. „In den 90er Jahren mag der Begriff noch | |
| seine Berechtigung gehabt haben, aber heute ist diese Denkweise viel zu | |
| binär“, sagt Nicole Zillien, Soziologin und Kommunikationsforscherin an der | |
| Uni Trier, die in den 90er Jahren zu dem Thema promoviert hat. Denn mit der | |
| zunehmenden Vernetzung ist auch die Problemlage komplizierter geworden. | |
| Es geht nicht mehr um Internetanschluss ja oder nein, und wenn ja, ist | |
| alles super. Es geht um Anschlussgeschwindigkeiten, Zugangsgeräte, | |
| politische Rahmenbedingungen. | |
| Die Linien verlaufen quer über Kontinente, durch Gesellschaften, Städte. | |
| Nicht nur zwischen Reich und Arm, zwischen Jung und Alt, zwischen Stadt und | |
| Land, zwischen Lesenden und Analphabeten, Sehenden und Blinden, zwischen | |
| Regionen mit und solchen ohne Zensur, zwischen Ländern, in denen | |
| Internetanschlüsse teuer, und anderen, in denen sie erschwinglich sind – | |
| und zwischen Menschen mit mehr und solchen mit weniger Bildung und | |
| IT-Kenntnissen. Sondern auch noch quer. Nicht jeder, der arm ist, hat | |
| keinen Internetanschluss. Nicht jeder, der reich ist, die Kompetenz im | |
| Umgang mit sozialen Netzwerken. Und auch im ausgeklügelsten Zensursystem | |
| gibt es Menschen, die es schaffen, die staatliche Firewall zu durchbrechen. | |
| Ungleichheit, das ist daher der Begriff, den Zillien bevorzugt. Weil damit | |
| nicht alles in schwarz und weiß gemalt wird – Männer nutzen das Internet, | |
| Frauen nicht; in Industrieländern gibt es guten Internetzugang, in | |
| Schwellenländern schlechten –, sondern Grautöne erlaubt sind. Und so klar | |
| wird: Man muss sich jeden Einzelfall genau anschauen. Kenia zum Beispiel, | |
| landläufig nicht gerade als Zentrum der IT-Industrie bekannt – aber seit | |
| einigen Jahren gilt die Hauptstadt Nairobi als Geheimtipp besonders für | |
| Social Start-ups. Mit Coworking-Spaces, innovativen digitalen | |
| Geschäftsmodellen, Investoren und Business-Angels, die Unternehmen in der | |
| Region fördern. | |
| ## Digitale Wirtschaft | |
| Bei den G20 geht es trotzdem noch um den Klassiker, den sogenannten Digital | |
| Divide. Schließlich haben sich die Staaten des Themas fast 30 Jahre nach | |
| der Entwicklung des World Wide Web angenommen, nämlich im vergangenen Jahr, | |
| nach – passenderweise – dem Gipfel im chinesischen Hangzhou. Das Ergebnis: | |
| Eine „Initiative zur Entwicklung der digitalen Wirtschaft“ soll ein für die | |
| Digitalwirtschaft freundliches Umfeld schaffen und sich um die digitale | |
| Spaltung kümmern. Und dann haben sie gemacht, was man als G20 erst einmal | |
| so macht: Man verabschiedet Aktionspläne. Einigermaßen konkret wird es in | |
| einem von vier Plänen, und das vor allem an einer Stelle. Inklusion steht | |
| darüber, woran die G20 arbeiten sollen. Zusammengefasst sind es Ziele aus | |
| drei Bereichen: | |
| – Innovation, Unternehmertum und ökonomische Aktivität stärken. | |
| – Die Inhalte im Internet sprachlich diverser und für alle Menschen | |
| zugänglich aufstellen, auch für solche mit körperlichen Einschränkungen. | |
| – Niemand soll aufgrund von Geschlecht, Region, Alter, Behinderung oder | |
| ökonomischem Status benachteiligt werden. | |
| Das klingt so, dass niemand widersprechen kann. Dennoch deckt der Ansatz | |
| nicht annähernd die Probleme ab. Zum Beispiel das Problem, dass Unternehmen | |
| erkannt haben, wie sich mit der Ungleichheit ein Geschäft machen lässt. | |
| Wie das geht, zeigt etwa Google. In den USA stattet das Unternehmen | |
| großzügig Schulen mit Hard- und Software aus. Praktisch, so werden schon | |
| die Jüngsten an den Umgang mit den hauseigenen Technologien gewöhnt. Oder | |
| Facebook. Mit seinem Projekt Free Basics stellt der Konzern, in Kooperation | |
| mit IT-Unternehmen, in ärmeren Regionen der Welt eine Art eingeschränkten | |
| Internetzugang zur Verfügung. Informationen über die lokale Administration | |
| lassen sich so abrufen, Gesundheitsinformationen, Nachrichten. Seiten, die | |
| Facebook ausgewählt hat. Natürlich auch die Facebook-Seite. 63 Länder | |
| listet das Unternehmen auf, in denen Menschen das Angebot nutzen können, | |
| darunter Kongo, Benin, Indonesien und Jamaika. Insgesamt erreiche es eine | |
| Milliarde Menschen. | |
| ## Verletzung der Netzneutralität | |
| Free Basics scheint eine Ungleichheit zu lösen, schafft aber eine neue: | |
| eine Kluft zwischen denen, die sich aussuchen können, welche Dienste sie im | |
| Internet nutzen, und denen, für die Facebook ein Synonym für Internet ist. | |
| „Solche extrem kommerziellen Initiativen sind schwierig, vor allem im | |
| Hinblick auf die Netzneutralität“, sagt Zillien, also das Prinzip, dass | |
| alle Datenpakete, die durchs Internet geschickt werden, gleich zu behandeln | |
| sind, egal von wem sie kommen, an wen sie gehen und was darin ist. Free | |
| Basics ist somit eine Verletzung der Netzneutralität, auf die Spitze | |
| getrieben. Aber Sicherung der Netzneutralität, das ist etwas, was sich nur | |
| mit viel gutem Willen aus den G20-Zielen herleiten lässt. | |
| Dass wenige Konzerne eine in ihrem Bereich marktbeherrschende Stellung | |
| haben, kommt da erschwerend hinzu. Eine Stellung, die es erlaubt, die | |
| Bedingungen zu diktieren. Das Netzwerk Think20, das Forschungsinstitutionen | |
| und Thinktanks aus den G20-Staaten verbindet und das die G20 berät, schlägt | |
| dagegen vor: ein weltweites Netzwerk der Kartellbehörden. Die sollten viel | |
| enger zusammenarbeiten und grenzüberschreitend gegen entstehende | |
| marktbeherrschende Stellungen vorgehen. | |
| Auch Maren Hartmann, Professorin für Kommunikations- und Mediensoziologie | |
| an der Universität der Künste Berlin, fordert, genau hinzuschauen. So nütze | |
| es beispielsweise überhaupt nichts, eine Region um jeden Preis mit Internet | |
| versorgen zu wollen – wenn es vor Ort nicht einmal eine funktionierende | |
| Stromversorgung gebe. „Die Digitalisierung ist keine Lösung für alles.“ | |
| So kritisiert Hartmann am Konzept des Digital Divide noch einen weiteren | |
| Punkt: Es impliziere eine Verpflichtung zur Teilhabe. „Im westlichen | |
| Kontext gibt es durchaus Leute, die sich bewusst abwenden – auch wenn das, | |
| global gesehen, natürlich ein Luxus ist.“ Die ungeschriebene Verpflichtung, | |
| das Internet zu nutzen, treffe zum Beispiel Jobsuchende, aber auch immer | |
| mehr Bankkunden, die durch Gebühren für Papieraufträge ins Onlinebanking | |
| gedrängt würden. Oder Steuerzahler, die dazu angehalten würden, ihre | |
| Erklärung digital und per Internet abzugeben. | |
| „Gesellschaften müssen kritisch hinterfragen, in welchen Bereichen | |
| Digitalität zur Bedingung gemacht wird“, fordert Hartmann. Denn die Nutzung | |
| digitaler Technologien sei nicht gleichzusetzen mit Teilhabe. | |
| ## Mutierte Gänseblümchen | |
| Dass junge Menschen in Sachen Internetkompetenz nicht unbedingt einen | |
| Vorteil haben, legt eine Studie aus den USA nahe. Die Forscher der Stanford | |
| University ließen dafür 7.804 Schüler und Schülerinnen im Alter von | |
| mindestens zehn Jahren beurteilen, ob sie eine Nachricht für glaubwürdig | |
| hielten oder nicht. Eines der Ergebnisse: 82 Prozent der Befragten konnten | |
| einen journalistischen Nachrichtentext nicht von einem gesponserten Text | |
| unterscheiden. In einem anderen Teil der Untersuchung bewerteten 40 Prozent | |
| der Highschoolschüler ein Foto mit deformierten Gänseblümchen als | |
| ausreichenden Beweis für eine starke radioaktive Belastung rund um das | |
| havarierte Atomkraftwerk in Fukushima. Glaubwürdigkeit kam dabei vor allem | |
| durch das Foto zustande – die Quelle spielte eine untergeordnete Rolle. | |
| Es läuft also am Ende auf ein Thema hinaus: Bildung. „Das Kompetenzproblem | |
| sehe ich als eines der drängendsten“, sagt die Kommunikationsforscherin | |
| Zillien. Und das nicht nur in Staaten, wo NutzerInnen Facebook mit dem | |
| Internet verwechseln könnten. Sondern mindestens in gleichem Maße in | |
| Gesellschaften, in denen das Internet, technisch gesehen, etabliert ist. | |
| 7 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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