# taz.de -- http://: Happy Birthday, WWW! | |
> Auch ein riesiges Netz beginnt irgendwann mal mit einem einzigen Knoten. | |
> Vor 25 Jahren ging die erste Website ans Netz. | |
Bild: Jemand zuhause? | |
Der erste Knoten des World Wide Web befindet sich unter der Adresse | |
[1][info.cern.ch]. Es ist eine schmucklose Webpage mit schwarzer Schrift | |
auf weißem Grund, die Links sind blau und unterstrichen und führen zu | |
weiteren technischen Informationen über das World Wide Web. Es gibt keine | |
Bilder, keine Animationen oder andere aufmerksamkeitsheischende Elemente. | |
So sah das damals eben aus. | |
Die Seite ist ein historisches Dokument, das quasi-museal erhalten wird. | |
Die Gutenberg-Bibel oder der erste Macintosh-Computer machen visuell mehr | |
her, aber die Bedeutung der schlichten HTML-Seite ist in seiner Bedeutung | |
mit diesen Artefakten der Mediengeschichte durchaus vergleichbar. Vor 25 | |
Jahren, am 6. August 1991, ging sie ans Netz. Entwickelt vom britischen | |
Physiker und Informatiker Tim Berners-Lee erlaubt sie es auch Menschen, das | |
Internet zu nutzen, die nicht programmieren konnten – das war nichts | |
weniger als eine Revolution. | |
Die Begriffe „Internet“ und „World Wide Web“ werden zwar häufig | |
gleichbedeutend verwendet, doch dahinter verbergen sich zwei verschiedene | |
Erfindungen. Das Internet existierte 1991 tatsächlich schon mehr als zwei | |
Dekaden. Allerdings wurde es fast nur von Universitätsangehörigen und dem | |
Militär genutzt. (1969 begann mit dem Arpanet die Entwicklung eines | |
akademischen Computernetzwerks, aus dem das Internet entstand.) | |
Vor dem World Wide Web gab es bereits E-Mail und Chats, und mit lange | |
vergessenen Protokollen wie FTP, Telnet oder Gopher konnte man auch schon | |
digitale Dateien ins Netz und von dort wieder herunterladen. Aber dafür | |
waren Grundkenntnisse der Informatik notwendig. | |
## Kulturtechnik des Verlinkens | |
Das World Wide Web ist das grafische Interface des Netzes. Es erlaubt, sich | |
durch einfaches Klicken mit der Maus von einer Webseite zur nächsten zu | |
bewegen, und vernetzt jedes Dokument mit anderen zu einem Gewebe oder | |
„Web“. | |
In der Informatik war dieses Prinzip bereits durch die Arbeit von Vannevar | |
Bush und Ted Nelson als „Hypertext“ bekannt. Aber die Fans dieser Methode | |
waren Programmierer und eine Handvoll Literaturwissenschaftler, die das | |
Verfahren als eine Art Computerprogramm gewordene Realisierung von | |
dekonstruktivistischer Literaturtheorie betrachteten. | |
Die intuitiv verständliche Kulturtechnik des Verlinkens – die im Buchindex | |
und im Inhaltsverzeichnis ihre Vorgänger hat – sollte das Hypertext-Prinzip | |
aus der akademischen Ecke herausholen und das Internet zu dem globalen | |
Massenmedium machen, das es heute ist. | |
## Erfindungen, ganz nebenbei | |
Dass die Erfindung des World Wide Web ausgerechnet am CERN, dem | |
europäischen Kernforschungszentrum, entstand, zeigt, dass solche hoch | |
dotierten Institutionen manchmal ganz nebenbei Erfindungen hervorbringen, | |
für die sie eigentlich gar nicht gegründet worden sind. | |
Beim CERN existierten verschiedene historisch gewachsene | |
Netzwerk-Infrastrukturen nebeneinanderher, was den Austausch von | |
Informationen erschwerte. | |
Am 12. März 1989 schrieb Berners-Lee darum eine Eingabe an seine | |
Vorgesetzten, in der er vorschlug, ein Hypertext-System zu entwickeln, das | |
alle Informationen auf den vielen Rechnern des CERN wie ein Register | |
verlinken würde. | |
## Gemeinsamer Informationsraum | |
Auch wenn er seinen Plan als Arbeitserleichterung verkaufte, hatte er von | |
Anfang an wesentlich weiter gehende Hoffnungen, wie er später in einem | |
Vortrag erklärte: „Das Ziel des Webs war es, einen gemeinsamen | |
Informationsraum zu schaffen, in dem Menschen (und Maschinen) miteinander | |
kommunizieren können. Dieser Raum sollte private und öffentliche | |
Informationen umfassen, von gehaltvollem, überprüftem Material bis zu | |
spontanen Ideen, die nur für wenige Menschen von Belang sind oder | |
möglicherweise nie gelesen werden.“ | |
Das Web, das er sich vorstellte, sollte ein Instrument für die | |
aufklärerische Verbreitung von Wissen und letztlich für die demokratische | |
Willensbildung sein. Tim Berners-Lee stellte sicher, dass es zu einem | |
partizipativen und für jeden zugänglichen Medium wurde. Anders als | |
Massenmedien wie Presse, Radio oder Fernsehen, die Informationen nur | |
verbreiten, war das Web dazu bestimmt, ein Mitmach-Medium zu sein. | |
Berners-Lees Vorgesetzte genehmigten das Projekt, und zusammen mit seinem | |
Kollegen Robert Cailliau machte sich Berners-Lee an die Umsetzung. Er | |
entwickelte die relativ leicht zu beherrschenden Hypertext Mark-up Language | |
(HTML), mit der man Websites schreibt. Außerdem entwickelte er das Konzept | |
des Uniform Resource Locators (URL), einer festen Adresse für jedes | |
Dokument im Netz, das heute auch als Webadresse bekannt ist und zum | |
Beispiel [2][www.taz.de/dieserartikel] lauten könnte. | |
Damit ein Computer diese Daten auch lesen kann, fehlte noch eine Software, | |
die sie interpretieren konnte – heute bekannt als Browser. Letztlich hat | |
erst das Web 2.0, bei dem Websites von Wikipedia bis Facebook ihren Usern | |
erlauben, Webseiten ohne HTML-Kenntnis anzulegen, diese Hoffnung realisiert | |
– wenn auch nach den Vorgaben ihrer Anbieter. (Bei Facebook ist man zum | |
Beispiel gezwungen, sich an die von dem Unternehmen vorgegebene | |
Design-Maßgabe zu halten: Der Hintergrund ist immer weiß, die Typografie | |
immer dieselbe, und wenn Facebook nicht will, dass man animierte GIFs | |
veröffentlicht, kann man nichts dagegen tun.) | |
## Fast fertig | |
Es fehlte noch ein letztes Puzzlestück zu dem Web, wie Berners-Lee es sich | |
vorstellte: Er beantragte bei der Bibliothek des CERN die Genehmigung, alle | |
seine Erfindungen und Programme der Öffentlichkeit zur freien Verfügung zu | |
stellen. Die Bibliotheksleitung entschied, dass die hier zur erzielenden | |
Gewinne vernachlässigbar wären, und so stellte Berners-Lee am 6. August | |
1991 der Netzöffentlichkeit seine Erfindung inklusive seiner ersten Website | |
vor. | |
Schnell wurden auch an anderen Forschungseinrichtungen und Universitäten | |
erste Webserver eingerichtet, und der Siegeszug des Web begann. | |
1994 entstand mit Mosaic ein leichter zu bedienender Browser, aus dem sich | |
später der erste kommerzielle Browser Netscape entwickelte, Vorgänger des | |
Firefox-Programms unserer Tage. Microsoft brachte 1995 seinen Explorer | |
heraus, und damit war der Webzugang zum Teil des Betriebssystem Windows | |
geworden, was dem Web immer neue Nutzer zuführte. Es entstanden genuine | |
Webmedien wie Slate in den USA oder Telepolis in Deutschland, und erste | |
Internetunternehmen wie Ebay oder Amazon. | |
## Kein Millionär | |
Im Gegensatz zu anderen Computerpionieren ist Berners-Lee durch seine | |
Erfindung nicht zum Millionär geworden. Er lehrt heute Informatik am MIT | |
(Massachusetts Institute of Technology) und sorgt als Chef des World Wide | |
Web Consortium (W3C) dafür, dass die Webstandards universal bleiben und | |
nicht im Interesse von Unternehmen oder Regierungen gestaltet werden. | |
Deshalb ist er nicht nur ein bedingungsloser Verfechter der | |
Netzneutralität, durch die allen Internetnutzern die gleichen | |
Zugangsbedingungen zum Netz eingeräumt werden. Auch proprietäre | |
Technologien wie Apples iTunes, die nur von einem Unternehmen kontrolliert | |
werden, hat er immer wieder scharf kritisiert. | |
Das Web, das er gewoben hat, war sein Geschenk an die ganze Menschheit– | |
auch wenn einem im Zeitalter von globalem Politpopulismus, Hater-Armeen in | |
den sozialen Medien, staatlich dirigierten Netztrollen und YouTube-Kaspern | |
manchmal Zweifel an den aufklärerischen Utopien kommen mögen. Ganz ohne das | |
Web möchte heute wohl trotzdem so gut wie niemand mehr leben. | |
6 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://info.cern.ch/ | |
[2] /!5323992 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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