| # taz.de -- Stanford-Professorin über Netzneutralität: „Die Kleinen haben k… | |
| > Netzneutralität sorgt dafür, dass online alle gleichbehandelt werden. | |
| > Doch dieses Recht ist bedroht. Wir sollten uns engagieren, sagt Barbara | |
| > van Schewick. | |
| Bild: Schlechte Erfahrungen mit dem Netz – oft trifft es die Kleinen | |
| taz: Frau van Schewick, wem gehört das Internet? | |
| Barbara van Schewick: Allen. Allen, die das Internet benutzen, und denen, | |
| die es bereitstellen. | |
| Nicht den großen Konzernen, den Googles und Facebooks und Amazons? | |
| Natürlich spielen die eine große Rolle. Aber das Tolle am Internet ist ja | |
| gerade, dass es eben nicht nur in den Händen der großen Konzerne ist. Dass | |
| Blogger dort eine Plattform finden, neue Medien und alle möglichen | |
| Organisationen, diese Vielfalt macht das Internet aus. In den USA kann | |
| jeder, der im Internet ist, egal, welche Hautfarbe er hat oder wie dick | |
| sein Geldbeutel ist, die Nutzer gleichberechtigt erreichen. Das ist ein | |
| großes demokratisierendes Potenzial. | |
| In Europa wird gerade über Netzneutralität debattiert. Ist das eine | |
| Voraussetzung für das demokratisierende Potenzial des Internet? | |
| Auf jeden Fall. Netzneutralität bedeutet, dass Anbieter wie die Telekom | |
| oder Vodafone, die uns mit dem Internet verbinden, nicht beeinflussen, was | |
| wir online tun. Sie dürfen keine Webseiten blockieren oder verlangsamen | |
| oder Webseiten, die zahlen, schneller zum Nutzer bringen. So können wir | |
| Nutzer frei entscheiden, was wir online sehen oder tun wollen. | |
| Ohne Netzneutralität entscheiden dagegen maßgeblich die Firmen, die den | |
| Zugang zum Internet anbieten. In Großbritannien zum Beispiel blockieren die | |
| Netzbetreiber standardmäßig bestimmte Inhalte, die als nicht geeignet für | |
| Kinder klassifiziert werden. Doch es werden auch Inhalte gesperrt, die | |
| komplett unverdächtig sind, etwa die Webseiten von Netzaktivisten, | |
| Kirchengemeinden oder von kleineren Unternehmen. | |
| Das Blockieren von Seiten fällt aber schnell auf. | |
| Es geht bei der Netzneutralität ja nicht nur um gesperrte Inhalte. Es | |
| genügt schon, wenn ein Provider den Transport der Datenpakete einer | |
| Webseite nur um Millisekunden verlangsamt. Davon hängt ab, wie lange Nutzer | |
| auf einer Webseite verweilen, ob sie wiederkommen oder wie viel Geld sie | |
| ausgeben, das haben mehrere Studien gezeigt. | |
| In Europa steht derzeit auf der Kippe, ob es echte Netzneutralität geben | |
| wird: Über die Einzelheiten wird bis Ende August entschieden. Wie wird das | |
| Internet aussehen, wenn es keine Netzneutralität gibt? | |
| Ich sehe vor allem zwei Probleme: Die Netzbetreiber möchten sogenannte | |
| Überholspuren für Dienste einrichten, deren Anbieter an die Netzbetreiber | |
| der Endnutzer zahlen, um gegenüber anderen Diensten bevorzugt behandelt zu | |
| werden. Das andere ist das sogenannte Zero-Rating. Das bedeutet, dass | |
| bestimmte Dienste nicht auf das monatliche Datenvolumen angerechnet werden, | |
| das einem Nutzer von der Telekommunikationsgesellschaft zu einem bestimmten | |
| Preis gewährt wurde. | |
| Und was ist das Problem mit den Überholspuren? | |
| Wenn wir uns in einem Internet bewegen, in dem Anbieter von Inhalten dafür | |
| bezahlen dürfen, dass ihre Inhalte schneller transportiert werden, dann | |
| haben kleine Anbieter, die sich das nicht leisten können, keine Chance | |
| mehr. Das betrifft die Bürgerinitiative genauso wie Universitäten, neue | |
| Medien oder das Start-up, das keine üppige Finanzierung hat. Das ist | |
| schlecht für die Meinungsvielfalt im Netz und schadet der Innovation. | |
| Die Telekom argumentiert, ein paar Prozent Umsatzbeteiligung könne sich | |
| auch ein Start-up leisten. | |
| Bisher sind die Innovationskosten im Internet unglaublich niedrig gewesen. | |
| Mark Zuckerberg hat am Anfang 50 US-Dollar für einen Server bezahlt, viel | |
| mehr Kosten hatte er nicht. Google, Yahoo, Ebay, diese Firmen wurden alle | |
| ohne externe Finanzierung gegründet. Wenn wir das Internet so verändern, | |
| dass wir die Innovationskosten erhöhen, dann schließen wir viele neue | |
| Start-ups, Kreative und Gründer aus. | |
| Ein europäisches Google, wie es hiesige Politiker gern fordern, geht also | |
| nur mit Netzneutralität? | |
| Ja, genau. Es ist so merkwürdig, dass einerseits europäische Politiker ins | |
| Silicon Valley fahren, um zu lernen, wie man Innovation fördert. Und dann | |
| kommen sie zurück und erlassen Regelungen, die das Gegenteil bewirken. Wer | |
| bezahlte Überholspuren zulässt, zementiert die Marktmacht der großen | |
| US-Firmen. Weil die sich die Überholspuren leisten können. | |
| Unter der Hand gehen aber auch einige davon aus, dass die großen US-Player | |
| eh nicht mehr einzuholen sind. | |
| Das halte ich für falsch. Es gibt in der EU eine sehr lebendige | |
| Start-up-Szene. Aber es sind nicht nur die Start-ups, die von | |
| Netzneutralität profitieren, es ist die gesamte Wirtschaft: Ein Netz, das | |
| große, finanzstarke Player bevorzugt, verzerrt den Wettbewerb in allen | |
| Bereichen der Wirtschaft. Heutzutage ist fast jedes Unternehmen auch ein | |
| Internet-Unternehmen. Ob das der Sprachlehrer ist, der Kurse über Skype | |
| anbietet. Oder die kleine Pension im Schwarzwald, die über ihre Webseite | |
| Kunden erreicht. Wenn dann die Webseite eines großen Anbieters wie Expedia | |
| schneller lädt, dann hat die kleine Pension keine Chance. | |
| Und warum gehen in Europa keine Massen auf die Straße um für | |
| Netzneutralität zu demonstrieren? Wie in den USA? | |
| Ich glaube, dass die Debatte noch nicht in der Öffentlichkeit angekommen | |
| ist. In den USA diskutieren wir seit Ende der 90er Jahre darüber. Wenn ich | |
| mit dem Zug fahre und mir einen Kaffee kaufe, dann weiß der Verkäufer, was | |
| Netzneutralität ist. | |
| In den USA hat die Aufsichtsbehörde FCC bereits strenge Regeln zur | |
| Netzneutralität erlassen. Als die Debatte richtig tobte, waren Sie die | |
| Netzneutralitätsbefürworterin, die am häufigsten Vertreter vom Weißen Haus | |
| und der Aufsichtsbehörde getroffen hat. Wie haben Sie die Politiker und | |
| Beamten überzeugt? | |
| Mein Vorteil ist, dass ich mich seit 15 Jahren mit dem Thema beschäftige. | |
| Ich kenne mich mit Ökonomie aus, und wirtschaftliche Effekte sind für | |
| Politiker sehr wichtig. Die meisten hatten überhaupt keine Ahnung, warum | |
| das Thema relevant ist. Man hat ein Treffen nach dem anderen und erklärt | |
| immer wieder, worum es eigentlich geht. | |
| Was kann die Netzbewegung in Europa davon lernen? | |
| Man muss den normalen Internetnutzern klar machen, wie wichtig | |
| Netzneutralität für sie ist. Denn sie sind es am Ende, die ihren | |
| Wahlkreispolitikern schreiben oder vielleicht mal auf die Straße gehen. | |
| Aber ich glaube, gerade weil das Internet in Europa noch nicht so in alle | |
| Lebensbereiche vorgedrungen ist, merken die Nutzer hier noch gar nicht, was | |
| ihnen verloren gehen würde: die Vielfalt von Angeboten und Inhalten, die | |
| sie heute noch haben. Oder die Möglichkeit, das Internet selbst als | |
| Plattform zu nutzen, um kulturell oder politisch aktiv zu werden. | |
| Für Nutzer kann es anfangs durchaus vorteilhaft sein, wenn Zero-Rating | |
| erlaubt ist. Die Telekom etwa rechnet die Nutzung des | |
| Musikstreamingdienstes Spotify nicht auf das Datenvolumen an. | |
| Klar, das sieht erst mal attraktiv aus. Aber was, wenn ich lieber | |
| Spotify-Konkurrenten Deezer hören würde? Oder einen Podcast? Die | |
| verbrauchen genauso viel Daten, aber fressen mein Datenvolumen. Viele hören | |
| dann doch Spotify. Mit Zero-Rating kann der Netzbetreiber beeinflussen, | |
| welche Anwendungen erfolgreich sind. Genau dass soll Netzneutralität | |
| verhindern. | |
| Und wenn man festlegt, dass die Anbieter alle Dienste gleichermaßen auf das | |
| Datenvolumen anrechnen müssen? | |
| Wie das wirkt, konnte man in den Niederlanden beobachten. Da hat die | |
| Regierung genau das vorgeschrieben. Und als Reaktion hat der größte | |
| Internetzugangsanbieter KPN dort die Volumenobergrenze für das mobile | |
| Internet verdoppelt – weil KPN eine eigene Videoplattform einführen wollte. | |
| Mit der alten Obergrenze wäre das Volumen sofort aufgebraucht gewesen. | |
| Fördert also Netzneutralität auch den Ausbau eines flächendeckenden und | |
| schnelleren Internet? | |
| Ja, sogar doppelt. Einerseits, weil die Telekommunikationsanbieter dann | |
| nicht mehr künstliche Knappheit schaffen könnten, um Überholspuren rentabel | |
| zu machen. Und andererseits, weil durch neue Innovationen auch die | |
| Nachfrage nach schnellerem Internet steigt. Wenn zum Beispiel alle | |
| plötzlich über Video telefonieren statt nur per Sprache, braucht das mehr | |
| Bandbreite. | |
| Sie haben vor sechs Jahren gesagt: Es ist fünf vor zwölf, um die | |
| Netzneutralität noch zu retten. Ist es für Europa jetzt schon nach zwölf? | |
| Noch nicht ganz. Momentan wird noch diskutiert, wie die Regeln, die die EU | |
| beschlossen hat, umgesetzt werden sollen. Bis zum 18. Juli läuft die | |
| öffentliche Konsultation der europäischen Regulierungsbehörden, bei der | |
| jeder mitmachen kann. Die Netzbetreiber machen schon kräftiges Lobbying, um | |
| für ihre Position zu werben. Jetzt muss die Zivilgesellschaft | |
| dagegenhalten. Wenn sie das schafft, dann gibt es noch Hoffnung. | |
| 12 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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