# taz.de -- Netzneutralität in den USA: Goodbye Gleichbehandlung | |
> Die USA werden am Donnerstag die Bevorzugung von Daten im Netz erlauben. | |
> Dies könnte das Internet, verändern – auch in Europa. | |
Bild: Nicht selten sind Telekommunikationsunternehmen eng mit Unterhaltungskonz… | |
Stellen wir uns das Internet als Straßennetz vor und die Fahrzeuge als | |
Datenpakete. Es gibt größere und kleinere, schwer beladene und leichtere, | |
einige, aus denen laute Musik dringt (Streaming!), andere mit gefährlichem | |
Inhalt (der im Mailanhang versteckte Virus), viele mit Teilen bunter, | |
blinkender Werbebotschaften à la Coca-Cola-Truck und wieder andere mit | |
abgeklebten Fenstern – dank Verschlüsselung gibt es hier kein Einsehen. | |
Aber egal, was drin ist oder draufsteht, egal wie klein oder wie groß: die | |
Straße behandelt alle Fahrzeuge, die auf ihr unterwegs sind, gleich. | |
Niemand kann sich durch ein kleines Entgelt eine eigene Spur sichern. | |
Keiner wird an der Baustelle bevorzugt durchgewinkt, weil er sich mit dem | |
Straßenbetreiber gut gestellt hat. Und niemandem wird das Fahrzeug | |
beschlagnahmt, weil in seiner Heckscheibe ein politisches Transparent | |
hängt. | |
Wie auf der Straße, so ist das auch im Internet der Idealzustand. Man nennt | |
es Netzneutralität. Und wie es aussieht, wird die zuständige US-Behörde, | |
die FCC, an diesem Donnerstag beschließen, die Gleichbehandlung auf der | |
Straße abzuschaffen. Überholspuren gegen Zahlung, Sperrung von Fahrern mit | |
weniger Geld, exklusive Brücken für Auserwählte – alles ist möglich und | |
willkommen. | |
Unter der Regierung von Barack Obama hatte die FCC 2015 strenge Regeln zur | |
Wahrung der Netzneutralität beschlossen. Im Kern sind das drei Vorgaben: 1. | |
Keine Bevorzugung, egal ob der Straßenbetreiber, also der | |
Telekommunikationskonzern, vielleicht selbst einen Videodienst betreibt, | |
den er gerne gegenüber den Websites der Fernsehsender bevorzugen würde, | |
oder ob sich ein Inhalteanbieter, etwa ein Streamingdienst, eine höhere | |
Geschwindigkeit einkaufen will. 2. Keine Websperren für legale Inhalte. 3. | |
Kein Ausbremsen legaler Inhalte. | |
Am Donnerstag wird das zuständige FCC-Gremium, inzwischen mit drei | |
Republikanern und zwei Demokraten besetzt, diese Regelungen rückgängig | |
machen und nebenbei noch die Behörde selbst ein Stück weit entmachten. | |
## Die Großen profitieren | |
„Das ist ein Geschenk für die Telekommunikationskonzerne“, sagt Ben Scott. | |
Der US-Amerikaner sitzt im Vorstand der Stiftung Neue Verantwortung, eines | |
Thinktanks, der sich vor allem mit der Digitalisierung beschäftigt. Scott | |
gehört zu den profundesten Kennern des US-Markts. Er erwartet: Wenn die | |
Entscheidung der FCC gegen die Netzneutralität auch vor Gericht Bestand | |
hat, wird dies das Internet, wie wir es heute kennen, entscheidend | |
verändern – auch mit Auswirkungen auf Europa. | |
Entwicklung eins: „Die Telekommunikationskonzerne werden eigene Inhalte | |
bevorzugen“, sagt Scott. Nicht selten sind die Unternehmen eng mit | |
Unterhaltungsgiganten verbandelt, die Inhalte produzieren. So übernahm der | |
Telekommunikationskonzern Comcast 2009 die Sendergruppe NBC Universal. Und | |
die Fusion von Time Warner mit dem Telekom-Konzern AT&T ist angebahnt, ist | |
aber gerade vor Gericht anhängig. „Darüber hinaus erwarte ich das Blocken | |
von Websites“, sagt Scott. Nicht offen aus politischen Gründen, sondern | |
unter dem Vorwand, dass Angebote illegal seien. | |
Entwicklung zwei: Die Großen profitieren – von Google über Facebook bis | |
Netflix. „Ohne Netzneutralität steigt die Markteintrittshürde für kleine | |
Start-ups deutlich“, sagt Florian Glatzner vom Verbraucherzentrale | |
Bundesverband (vzbv). Denn Facebook und Co können sich den Aufwand einer | |
Kooperation leisten. Dabei muss der Aufwand nicht unbedingt finanzieller | |
Art sein, wie ein Blick nach Deutschland zeigt. | |
## Der Blick nach Europa | |
Weil die europäischen Regelungen der Netzneutralität weniger streng sind | |
als die bisher in den USA geltenden, ist hier im Mobilfunkbereich etwa das | |
umstrittene Zero-Rating Praxis. Das bedeutet, das Telekom-Konzerne | |
ausgewählte Dienste nicht auf das Datenvolumen der Nutzer anrechnen. | |
[1][Die Telekom] hat solch einen Dienst im Angebot, StreamOn heißt er. | |
Dabei sind unter anderem Spotify, Netflix, aber auch zahlreiche | |
Hörfunkstationen. Der YouTube-Konkurrent Vimeo beispielsweise wollte keine | |
Kooperation. „Wir haben dafür keine Ressourcen in unserem Team“, heißt es | |
in einem Schreiben der US-Plattform vom Mai. Schließlich habe jeder | |
Telekom-Anbieter seine eigenen Vorstellungen von technischen Standards, an | |
die es sich zu halten gelte. Dazu kommt noch einiges mehr an Aufwand, etwa | |
Verträge zu prüfen und abzuschließen oder technische Änderungen vorab zu | |
melden. Welche Folgen es für ein Unternehmen hat, das den Aufwand solcher | |
Kooperationen scheut, ist noch schwer absehbar. Für Nutzer wird es damit | |
weniger attraktiv – und das schadet dem Geschäft. | |
Auch Vodafone hat mit seinem Vodafone Pass ein ähnliches Angebot, bei dem | |
bestimmte Dienste nicht auf das Datenvolumen angerechnet werden. Im Bereich | |
Video sind das etwa Amazon, Netflix, Sky und der Vodafone-eigeneDienst | |
GigaTV. Doch nicht jeder Videoanbieter kann – oder will vielleicht – dabei | |
sein: Vodafone verlangt im ersten Schritt eine Vertraulichkeitserklärung; | |
erst dann dürfen potenzielle Partner die Allgemeinen Geschäftsbedingungen | |
einsehen. In diese gibt Vodafone auch auf Anfrage keinen Einblick – dabei | |
könnte der durchaus interessant sein, wenn es zum Beispiel darum geht, wie | |
Haftungsfragen geregelt sind. Doch auch unabhängig von diesen Details steht | |
das Zero-Rating in der Kritik. | |
## Das Beispiel StreamOn | |
„Wenn etwa Telekom-Nutzer Spotify verwenden können, ohne ihr Datenvolumen | |
zu strapazieren, aber ein ähnlicher Dienst von einem Start-up nicht dabei | |
ist, dann wird Spotifys Marktmacht noch gestärkt“, kritisiert Paul Wolter | |
vom Bundesverband Deutsche Startups e. V. | |
Manchmal ist es aber auch umgekehrt: Nach Angaben eines Telekom-Sprechers | |
wurden in den ersten acht Monaten seit dem Start von StreamOn drei | |
Interessenten abgelehnt. Der Grund bei allen dreien: Die Dienste seien mit | |
den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von StreamOn nicht vereinbar. Bekannt | |
ist der Fall des nichtkommerziellen Community-Projekts bitlove.org. Es wird | |
vor allem von Anbietern, die Podcasts verbreiten wollen, genutzt und | |
geschätzt. | |
Die Plattform habe keine Rechte an den über sie verbreiteten Inhalten, | |
erklärt der Telekom-Sprecher die Ablehnung – so sei es auch möglich, das | |
urheberrechtlich geschützte Inhalte darunter seien. „Die | |
Telekommunikationskonzerne werden zu Gatekeepern“, kritisiert Glatzner. Sie | |
könnten zunehmend beeinflussen, welche Dienste die Nutzer verwenden. | |
Und das führt zu Entwicklung Nummer drei: Auch unter den | |
Telekommunikationskonzernen bauen die Großen ihre Marktmacht aus. Denn wer | |
Inhalte übers Netz verbreiten will, wird vor allem mit den großen | |
Telekom-Konzernen kooperieren. Für diese bedeuten mehr Kooperationspartner | |
ein größeres Angebot für die Kunden. Nutzer werden also eher den | |
Marktführer wählen, der von Netflix bis Spotify das Datenvolumen nicht | |
anrechnet, als den Nischenanbieter, bei dem jede gestreamte Minute am | |
Volumen knabbert. Es bildet sich ein Kreislauf. Und da sowohl die großen | |
Inhalte- als auch die großen Netzanbieter ihre Marktmacht stärken, kommt es | |
gleichzeitig zu einer doppelten Konzentration. | |
## Es wird teurer | |
All das wird Auswirkungen auch auf den europäischen Markt haben. „Die | |
Telekom-Konzerne werden in Brüssel Druck machen, die Regelungen auch in | |
Europa durchzusetzen“, sagt Scott. Und selbst wenn sie damit nicht | |
durchkommen, erwartet er einen „Überlaufeffekt“. Da die ohnehin schon | |
großen US-Konzerne weiter gestärkt würden, hätte es neue Konkurrenz aus | |
Europa zunehmend schwer. „Europäische Unternehmen bringt das in eine noch | |
schlechtere Position“, sagt Scott. | |
Glatzner geht zudem davon aus, dass die Internetnutzung für Kunden teurer | |
wird. „Angebote wie StreamOn führen letztlich zu höheren Preisen“, sagt e… | |
Schließlich sei für Kunden der Anreiz, in einen Tarif zu wechseln, in dem | |
ausgewählte Videodienste inklusive sind, umso stärker, je teurer | |
Datenvolumen ansonsten zu haben sei. | |
Zu sehen ist das heute ebenfalls schon in Europa, und zwar in Portugal. Da | |
bietet ein Telekom-Konzern bereits Pakete für bestimmte Nutzungsarten – | |
Video oder Messaging oder Musik – an. In denen sind jedoch jeweils nur | |
bestimmte Dienste enthalten, bei Video sind das YouTube, Periscope und | |
Twitch. Wer sich nicht darauf beschränken will oder jeden Monat frei | |
entscheidet, was er mit seinem Datenvolumen macht, zahlt deutlich mehr. | |
13 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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