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# taz.de -- Berliner Senat plant Enteignungen: Eigentum verpflichtet
> Der Senat will Immobilienbesitzer enteignen, wenn die ihre Wohnungen zu
> lange leer stehen lassen. In Hamburg hat man damit gute Erfahrungen
> gemacht.
Bild: Das müssen viele Hausbesitzer erst noch lernen!
Der Ruf nach Enteignung weckt Abwehrreflexe. Schon wer das Wort nur in den
Mund nimmt, muss als Reaktion mit einfachen Schlagwörtern rechnen. Von
Kommunismus ist dann die Rede, DDR- und Nordkorea-Vergleiche werden bemüht.
Wie zuverlässig dieses Spiel funktioniert, durfte jüngst der Stadtsoziologe
Andrej Holm erfahren, als er twitterte: „Enteignungen = normales Instrument
der Stadtplanung und kein Grund zur Aufregung“. Eine Flut von aufgeregten
und beleidigenden Antworten war die Folge. Das Erstaunliche daran: Der
Aufschrei kommt nicht etwa nur von Immobilienspekulanten, also jenen, die
etwas zu verlieren haben. Es sind vor allem ganz normale Bürger, die
plötzlich um ihren Besitz fürchten und das „Menschenrecht auf Eigentum“
verteidigen.
Nun kommt die Diskussion, die Holm anstoßen wollte, tatsächlich in der
Berliner Politik an. Derzeit prüft die Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, ob Immobilienbesitzern die Verfügungsgewalt über ihre
Wohnungen entzogen werden kann. Das geht aus einer Antwort auf eine kleine
Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck hervor. Betroffen wären
davon insbesondere Hausbesitzer von Schrottimmobilien, die ihre Wohnungen
aus spekulativen Erwägungen leer stehen lassen.
## Der Eigentümer zahlt
Langenbrinck hatte gefragt, ob es der Senat in Betracht ziehe, solche
Wohnungen übergangsweise, das heißt, bis sie nach einer Instandsetzung
wieder vermietet werden, einem Treuhänder zu übertragen und dem Eigentümer
die entstehenden Kosten aufzuerlegen.
Die eindeutige Antwort des Senats: „Ja.“ Dafür muss das Berliner
Zweckentfremdungsverbotsgesetz überarbeitet werden, das bislang vor allem
als Instrument im Kampf gegen Ferienwohnungen eingesetzt wurde. Eine
Neufassung des Gesetzes soll noch in diesem Jahr in den Senat eingebracht
werden und vermutlich Ende April 2018 in Kraft treten. Das teilte die
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung der taz mit.
## Ein erster Präzendenzfall
Das Vorbild für die vorübergehende Enteignung kommt aus Hamburg. Seit 2013
bietet das dortige Wohnraumschutzgesetz eine solche Möglichkeit. Inzwischen
gibt es einen ersten Präzedenzfall. Der Bezirk Mitte entzog einem
Hausbesitzer die Verfügungsgewalt über sechs Wohnungen, die dieser leer
stehen ließ. Die Forderung, diese wieder zu vermieten, ignorierte er über
Jahre hinweg – ebenso Zwangsgeldandrohungen und verhängte Strafzahlungen
über insgesamt 18.000 Euro. „Das können wir uns angesichts des angespannten
Wohnungsmarktes nicht länger bieten lassen“, hatte der Bezirksamtschef von
Hamburg-Mitte, Falco Droßmann (SPD), der taz gesagt.
Im März setzte der Bezirk eine Hausverwaltungsgesellschaft als Treuhänderin
ein. Inzwischen sind laut Hamburger Bezirksamt „alle nötigen Aufträge zur
Renovierung vergeben“, erste Arbeiten bereits abgeschlossen. Noch im Laufe
des Monats soll sich abzeichnen, wann die Wohnungen wieder bezugsfertig
sind. Erst wenn die Wohnungen wieder vermietet sind, sollen sie zurück an
den Eigentümer gehen – wenn dieser die entstandenen Kosten übernimmt.
Für Langenbrinck taugt das Hamburger Modell als Vorbild. Der taz sagte er:
„Der Staat darf nicht länger tatenlos zusehen, wenn Hauseigentümer
Mietwohnungen verfallen lassen und dem Mietmarkt entziehen.“ Das
Treuhänder-Modell helfe, „wichtigen Wohnraum zu erhalten“.
Auch in Berlin dürften sich viele Wohnungen finden lassen, die
widerrechtlich den Mietern vorenthalten werden. Laut Angaben der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung lag der Leerstand in Berlin zum
Jahresanfang bei 34.000 bis 44.000 Wohnungen. Wie viel davon illegal leer
stehende Immobilien sind, weiß die Senatsverwaltung allerdings nicht.
Immobilieneigentümer sind dazu verpflichtet, sich von den Bezirksämtern
eine Genehmigung zu holen, wenn sie Wohnungen länger als sechs Monate leer
stehen lassen. Ein Genehmigungsgrund sind vor allem
Modernisierungsmaßnahmen.
Nicht selten lassen Eigentümer Wohnungen aber auch unvermietet, weil sie
sich zu einem späteren Vermietungszeitpunkt höhere Profite erhoffen.
Momentan drohen ihnen bei dieser Praxis Bußgelder. Das gilt auch für
Eigentümer, denen das nötige Geld für Instandsetzungsarbeiten fehlt.
## Rückeroberung der Stadt
Ein möglicher Entzug der Immobilien dürfte jedoch deutlich mehr Wirkung
erzielen. Auch der Stadtsoziologe Andrej Holm sieht im Hamburger Modell
eine „geeignete Maßnahme“, um gegen Leerstand vorzugehen. Im Gespräch mit
der taz sagte der Berater der Linksfraktion: „Der Staat muss sich mit
Instrumenten beschäftigen, die dazu geeignet sind, Städte zurück in seine
Verfügungsgewalt zu bringen.“
Dabei geht Holm sogar noch einen Schritt weiter als das Haus von
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). „Über Enteignungen
muss auch nachgedacht werden, um die soziale Infrastruktur in den Kiezen zu
sichern, etwa wenn neue Schulen benötigt werden“, so Holm.
Bei großen Infrastrukturprojekten sei dies bereits gang und gäbe. So hat
die Berliner Enteignungsbehörde in den vergangenen Jahren mehr als 100
Verfahren durchgeführt, etwa bei der Verlängerung der Autobahn A100 nach
Treptow. Deren juristische Kompetenzen, die sie dort inzwischen mit solchen
Verfahren und Entschädigungszahlungen gesammelt haben, könnten laut Holm
genutzt werden.
5 Jul 2017
## AUTOREN
Erik Peter
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Enteignung
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