# taz.de -- Debatte Entwicklungspolitik à la G20: Treffen der Landräuber | |
> Die G20 sollten anstelle von Konzernen kleinbäuerliche Landwirtschaft | |
> fördern. Die produziert 70 Prozent der Nahrung in Entwicklungsländern. | |
Bild: Weizenfeld in Hamburg – derzeit noch ohne Anti-G20-Camp-Zelte | |
Harmlos betitelt als „Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft“, setzt die | |
staatliche Entwicklungshilfe zunehmend auf Banken, Finanzinvestoren und | |
Großkonzerne. Die G20-Staaten sind dabei die treibende Kraft. Unbemerkt von | |
der breiteren Öffentlichkeit setzen sie verstärkt auf diese als zentrale | |
entwicklungspolitische Akteure. | |
Ein Weg ist der Aufbau eigener Investmentfonds. So besitzt die Weltbank | |
beispielsweise über die eigens gegründete IFC Asset Management Company | |
(AMC) mehr als ein Dutzend Investmentfonds, die Einlagen von knapp 10 | |
Milliarden US-Dollar verwalten. Kontrolliert werden diese durch die | |
G20-Staaten, die dort 70 Prozent der Stimmrechte halten. | |
Die deutsche staatliche Entwicklungsbank KfW hält Beteiligungen an rund | |
vierzig Investmentfonds mit einem Wert von 1,3 Milliarden Euro. | |
Häufig kommt es zu Mischfinanzierungen: Über Fonds werden öffentliche und | |
private Gelder gemeinsam eingeworben und dann in Ländern des Südens | |
gebündelt weiterinvestiert. Über so geschaffene komplizierte Beteiligungen, | |
verschachtelte Finanzierungsflüsse, investorenzentrierte | |
Überwachungsmechanismen und das Bank- oder Geschäftsgeheimnis werden die | |
Verantwortlichkeiten für problematische Investments immer stärker | |
verschleiert. | |
## Landgrabbing als „Agrarinvestition“ | |
Im Agrarsektor sollen so großflächige Agrarinvestitionen Armut und Hunger | |
effizient bekämpfen. Gerade bei großen Agrarprojekten gilt jedoch: Nirgends | |
sind die hierfür benötigten Flächen ungenutzt. Millionen Menschen wurden | |
vertrieben – meist ländliche Bevölkerungsgruppen, die mit dem Landzugang | |
ihre Existenzgrundlage verlieren. | |
Und auch hier weisen die konkreten Spuren in die G20: Sieben der | |
Top-10-Herkunftsländer, aus denen die Landgrabber kommen, sind G20-Staaten, | |
allen voran die USA, aber auch Brasilien, China oder Großbritannien. | |
Diese Art der „Agrarinvestitionen“ und „Entwicklungsfonds“ ist politisch | |
gewollt: Sowohl die UN-Entwicklungskonferenz 2015 in Addis Abeba als auch | |
die nachfolgend beschlossenen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen | |
(SDGs) setzen auf die verstärkte Einbeziehung privater Gelder in die | |
Entwicklungsfinanzierung. | |
Die G20-Staaten begrüßten bei ihrem letzten Treffen in China die Bemühungen | |
der multilateralen Entwicklungsbanken, private Ressourcen einzuwerben. Die | |
im Vorfeld des jetzigen G20-Gipfels proklamierte G20-Partnerschaft mit | |
Afrika forciert diese Ausrichtung. In deren Zentrum steht die Verbesserung | |
des Investitionsklimas für internationale Investoren. Und auf der | |
vorgelagerten Afrika-Konferenz wurden die afrikanischen | |
Kleinbauernnetzwerke erst gar nicht eingeladen. | |
## Menschenrecht auf Nahrung stärken | |
Dabei werden mindestens 70 Prozent der Nahrungsmittel in | |
Entwicklungsländern von kleinbäuerlichen Betrieben produziert. Zugleich | |
leben drei von vier hungernden Menschen auf dem Land. Maßnahmen, welche die | |
Rahmenbedingungen kleinbäuerlicher Investitionen verbessern, haben daher | |
die mit Abstand größte Wirkung auf die Ernährungssicherheit. | |
Auch eine menschenrechtliche Herangehensweise verlangt, die Ärmsten | |
besonders zu fördern und sie nicht einem menschengemachten Strukturwandel | |
zu opfern. Positive Beispiele gibt es viele: Der Aufbau eines unabhängigen | |
Saatgutnetzwerks auf den Philippinen, das System der Reisintensivierung in | |
afrikanischen und asiatischen Ländern oder die staatlichen Abnahmeprogramme | |
in Brasilien zeigen, dass die Politik nicht machtlos ist. | |
Allein der politische Wille fehlt oft – auch weil Agrar- und | |
Ernährungskonzerne erfolgreich ihren Mythos einer „modernen“, digitalen und | |
hoch mechanisierten industriellen Landwirtschaft verkaufen. | |
## Beschäftigungseffekte müssen im Zentrum stehen | |
Investitionen in eine kleinbäuerliche Landwirtschaft sind aus einem | |
weiteren Grund von enormer Bedeutung: Global gesehen gibt es so viele | |
Landwirte wie nie zuvor. In vielen Ländern sind 70 bis 80 Prozent der | |
Bevölkerung in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft tätig. | |
Parallel stagniert zum Beispiel in Afrika der Anteil der Erwerbstätigen in | |
der Industrie und im Dienstleistungssektor. Durch einen Strukturwandel, der | |
einseitig große Agrarkonzerne fördert, werden KleinbäuerInnen weiter | |
verdrängt und Millionen von Arbeitsplätzen vernichtet. Agrarinvestitionen | |
müssen daher nicht nur die Ernährungssicherheit verbessern, sondern auch | |
die Beschäftigungssituation des gesamten Sektors im Blick haben – sonst | |
sind Arbeitslosigkeit und Migration vorprogrammiert. | |
Das Ziel der Entwicklungspolitik muss eine lebendige kleinbäuerliche | |
Landwirtschaft sein, die lokale Wertschöpfung und Kreisläufe stärkt. Dies | |
kommt der eigentlichen Zielgruppe direkt zugute und ist von zentraler | |
Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche Stabilität in Ländern des Südens. | |
Es wäre auch eine der Antworten auf die Frage, wie globale Fluchtsachen | |
reduziert werden können. | |
Mit der internationalen Finanzwelt und ohnehin mächtigen Unternehmen setzt | |
die G20 jedoch auf das falsche Pferd, da diese nicht den lokalen Kreislauf, | |
sondern die Extraktion von Gewinnen in ihrer DNA tragen. | |
6 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Roman Herre | |
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