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# taz.de -- Gesundheit beim G20-Gipfel: Die nächste Pandemie
> Ohne einen umfassenden, weltweiten Gesundheitsschutz wird es keine gute
> soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung geben können.
Bild: Kampf gegen Denguefieber: Ein Arbeiter räuchert in Colombo, Sri Lanka, e…
Am Mittag verlässt der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den
streng abgeriegelten Sicherheitsbereich des Berliner Krisenzentrums. Seit
dem Vorabend beraten hier die Gesundheitsminister der 20 wichtigsten
Industrie- und Schwellenländer (G20) mit Vertretern der Weltbank und der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter Hochdruck. Die verheerende,
todbringende Seuche, ausgebrochen in Anycountry, einem der ärmsten, krisen-
und bürgerkriegsgeschüttelten Länder der Welt, droht sich zur Pandemie
auszuweiten.
Tausende Menschen sind bereits auf der Flucht, doch das seit Kurzem
grassierende, hoch ansteckende Killervirus, übertragen über die Atemwege,
ist schneller als sie. Ein Impfstoff? Wurde nie entwickelt. Medikamente?
Wirken nicht. Die lokalen Gesundheitssysteme, unterfinanziert und fragil,
sind kollabiert.
Die internationale Gemeinschaft muss jetzt handeln, will sie eine
Wiederholung des humanitären Desasters nach dem Ebola-Ausbruch in
Westafrika mit 28.000 Erkrankten und 11.000 Toten in den Jahren 2014 und
2015, geprägt von Ignoranz, Inkohärenz und chaotischer Koordination der
Hilfsgüter, vermeiden.
## Realistische Simulation
Gröhe tritt vor die Kameras der wartenden Journalisten. Er hält die
druckfrische Titelseite der Every Day News in der Hand: „Virus out of
control“ steht dort in großen Buchstaben, man sieht verängstigte Menschen
mit notdürftigem Mundschutz, die sich in einem Bus drängeln. Weltweit
warnen Ärzte davor, dass auch die Gesundheitssysteme der Industriestaaten
den Herausforderungen nicht gewachsen sein werden, die Aktienkurse an den
Börsen sind bereits in freiem Fall.
„Ich kann Ihnen kein schnelles Happy End versprechen“, bedauert Gröhe. So
viel aber könne er zusagen: Die G20-Minister seien sich einig, dass ihr
„Verteidigungsbündnis gegen Gesundheitsgefahren“, zu dem auch
EU-Notfallgremien, länderspezifische Krisenstäbe und vor allem die WHO
gehörten, bei der nächsten Epidemie transparenter, vertrauensvoller und
koordinierter vorgehen müsse.
„Und um zu trainieren, wie wir reaktionsfähiger werden und die
Gesundheitssysteme überall stärken können, werden wir von jetzt an
regelmäßig Ernstfallübungen wie diese durchführen, wie bei der Feuerwehr“,
Gröhe klingt erleichtert. Denn noch ist der Ernstfall nicht eingetreten.
Noch sind der Ausbruch in Anycountry und die Berichterstattung der Every
Day News bloß die Simulation eines Szenarios, das allerdings jederzeit in
jedem Land, in any country eben, Wirklichkeit werden könnte.
## Die Frage ist nicht, ob die Pandemie kommt
Und dass die G20-Gesundheitsminister deswegen in Berlin bereits Ende Mai,
Wochen vor dem eigentlichen G20-Gipfel im Juli in Hamburg, in kleiner Runde
geprobt haben.Aus gutem Grund: „Die Frage ist nicht, ob die nächste
Pandemie kommt, sondern welcher Erreger sie auslösen wird“, warnte die
scheidende WHO-Direktorin Margret Chan bei dem Treffen in Berlin und
ermahnte die G20-Gesundheitsminister: „Wer sich um die Gesundheit nicht
kümmert, dessen wirtschaftliche Entwicklung wird rückläufig sein.“
Die Ziele, die die G20-Fachminister im Mai in ihrer „Berliner Erklärung“
formulierten, sollen jetzt im Juli in die Beratungen der G20-Staatschefs in
Hamburg einfließen. Als gesetzt gilt, dass die über Jahre von der
internationalen Staatengemeinschaft erbarmungslos kaputtgesparte WHO
finanziell und personell gestärkt wird. Derzeit umfasst das 2-Jahres-Budget
der WHO gerade noch knapp 4 Milliarden Euro, bei 194 Mitgliedstaaten.
Zum Vergleich: Das Stiftungskapital der Gates-Stiftung, der größten
Privatstiftung der Welt, die sich für globale Entwicklung, Gesundheit und
Bildung einsetzt, liegt bei knapp 43 Milliarden Dollar.
## Fester Bestandteil der Tagesordnung
Das Thema globale Gesundheit soll fester Bestandteil der Tagesordnung der
G20 werden, ein Novum. Dahinter stecken die Überzeugung und vor allem die
Angst, dass es ohne einen umfassenden, weltweiten Gesundheitsschutz keine
gute soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung geben kann.
Inhaltlich geht es um drei große Baustellen: erstens das internationale
Krisenmanagement im Fall einer Epidemie und damit verbunden ein besserer
Schutz vor ansteckenden Krankheiten, etwa durch Entwicklung neuer
Impfstoffe. Zweitens der Kampf gegen wachsende Antibiotika-Resistenzen
durch verbesserte Hygiene, sparsameren Einsatz der Mittel in der Human- und
Veterinärmedizin und die Erforschung neuer Antibiotika. Und drittens die
Stärkung nationaler Gesundheitssysteme auch solcher Staaten, die dazu aus
eigener Kraft nicht in der Lage sind, etwa durch finanzielle Hilfen, die
Abgabe bezahlbarer Arzneimittel oder einen erleichterten Zugang zu
Versorgungsstrukturen.
Bei der Bekämpfung multiresistenter Keime sind die Gesundheitsminister
einen entscheidenden Schritt vorangekommen: Sie sind sich einig, dass es
eine weltweite Verschreibungspflicht für Antibiotika geben muss, um den
teils inflationären, unkontrollierten und unsachgemäßen Einsatz, der
Resistenzen begünstigt, zu reduzieren.
## Globaler Aktionsplan
Außerdem verpflichten sie sich, bis Ende 2018 nationale Aktionspläne zur
Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen umzusetzen nach dem Vorbild des
„Globalen Aktionsplans“, den die WHO mit der Weltorganisation für
Tiergesundheit (OIE) und der Weltorganisation für Ernährung und
Landwirtschaft (FAO) 2015 entwickelt hat.
Auch wollen sich die G20-Gesundheitsexperten in der Frage des
Antibiotikaeinsatzes künftig enger mit ihren Ministerkollegen aus den
Agrarressorts abstimmen. Der Pharmaindustrie wollen die Staaten Anreize
setzen, damit diese nicht nur nach neuen, wirksamen Antibiotika für den
sofortigen Einsatz forscht, sondern auch nach solchen, die nach
erfolgreicher Entwicklung gar nicht auf den regulären Markt kommen, sondern
als Notfall-Medikamente, als letzte Reserve sozusagen, zurückgehalten
werden sollen.
Als Instrument zur Förderung dieser Notfall-Antibiotika, aber auch von
Impfstoffen ohne kommerzielles Potenzial, Impfstoffen also, die rein
vorsorglich erforscht werden für den Einsatz bei möglicherweise
auftretenden Epidemien zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft,
setzen die G20 verstärkt auf öffentlich-private
Entwicklungspartnerschaften.
## Allianzen gegen Epidemien
Jüngstes Beispiel hierfür ist die erst im Januar auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos mit einem Startkapital von gut 500 Millionen
Euro gegründete Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Cepi).
Cepi ist eine weltweite Allianz in öffentlich-privater Partnerschaft
zwischen Regierungen, der WHO, der EU-Kommission, Forschungseinrichtungen,
Impfstoffherstellern und privaten Geldgebern wie der Gates-Stiftung und
soll Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten mit hohem Ansteckungspotenzial
für den sogenannten emergency use entwickeln helfen.
„Unser Ziel ist“, sagt der Cepi-Gesundheitsexperte Ralf Clemens, „bis 2021
Impfstoffe gegen Mers, Lassa und das Nipah-Virus so weit voranzubringen,
dass sie bei einem Ausbruch als Notfall-Impfstoff eingesetzt werden
können“. Die drei Erreger entstammen der 2016 veröffentlichten WHO-Liste
mit insgesamt elf hochgefährlichen Keimen, die in naher Zukunft schwere
weltweite Epidemien auslösen könnten und gegen die es keine Therapie gibt.
Der Anspruch ist immens: Klassische Impfstoffe zu entwickeln dauert
durchschnittlich zehn bis zwölf Jahre. Cepi dagegen setzt auf neue
Technologien, unter anderem aus dem Bereich der Genforschung. Die Firma
CureVac mit Sitz in Tübingen etwa erhofft sich einen Durchbruch im Kampf
gegen Infektionskrankheiten mit Impfstoffen auf Basis von messenger RNA,
das sind Botenmoleküle, die im Organismus eine Information von einem Ort an
einen anderen übertragen können und rasant schnell herstellbar sind.
## Politische Verbindlichkeiten
„Wenn die Erregersequenz bekannt ist, können wir derzeit binnen sieben
Wochen 10.000 Impfstoffdosen produzieren“, sagt Ulrike Gnad-Vogt, Chief
Medical Officer der Firma. Das Ziel sei aber – auch dank neuer
Produktionsanlagen –, 100 Millionen Dosen in sieben Wochen herstellen zu
können.
Hierfür allerdings brauche die Industrie zunächst politische Zusagen, wie
der Geschäftsführer des Verbands forschender Arzneimittelhersteller,
Siegfried Throm, betont: „Es wird von uns erwartet, dass wir unsere Anlagen
stets so am Laufen halten, dass bei einem Outbreak die Produktion schnell
starten kann. Die Industrie braucht aber eine zentrale Ansprechstelle, die
ihr sagt, wie viele Dosen überhaupt gebraucht werden.“
Manchen Nichtregierungsorganisationen gehen die Vorschläge der G20 indes
nicht weit genug. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin des evangelischen
Hilfswerks Brot für die Welt, etwa hält die geplante Aufstockung der Mittel
für die WHO für unzureichend: „Die Bundesrepublik sollte mindestens 0,1
Prozent ihres Bruttonationaleinkommens in globale Gesundheit investieren.“
Im Zentrum der Überlegungen der Staaten dürften zudem nicht bloß die
Interessen einzelner Industrienationen, sondern müsse vor allem die
Gesundheitsversorgung von Millionen Menschen in ärmeren Ländern stehen.
## Ein exklusiver Club
Doch um diese Menschen gehe es nur nachrangig, befürchtet auch Thomas
Gebauer, Geschäftsführer von medico international: „G20 ist ein
exklusiver, nicht demokratisch legitimierter Club, auf dessen Tagesordnung
nicht die Marktradikalität steht, sondern nur, wie ihren Folgen
oberflächlich begegnet werden kann.“ Der Sicherheitsbegriff, den die
G20-Minister bemühten, müsse sich an der Absicherung von
Gesundheitsinteressen der Bevölkerung orientieren, fordert Gebauer, und
nicht an der Abschottung der Industrienationen vor drohenden
Gesundheitsgefahren.
Ähnlich argumentiert Anne Roemer-Mahler, Dozentin für internationale
Beziehungen an der Uni Sussex: „Die Versorgung mit Medikamenten und
Impfstoffen ist ein biomedizinisches Verständnis von Gesundheit und auch
eine biomedizinische Lösung. Sie hat nichts mit den sozialen Ursachen zu
tun.“
6 Jul 2017
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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