# taz.de -- Epidemien in Südafrika: Tödliches Wurstbrot | |
> An der Infektionskrankheit Listeriose sind 183 Menschen gestorben. Eine | |
> Firma, in der die Bakterien aufgetaucht sind, lehnt die Verantwortung ab. | |
Bild: Aus den Regalen geräumt: Verdächtige Wurstwaren in Johannesburg | |
Johannesburg taz | Wendy Ragedi ist verärgert. Sie hat gerade die Vorräte | |
an Wurstwaren aus ihrer Kühltruhe in eine Tüte gepackt und an der Kasse im | |
nahen Supermarkt gegen Bargeld umgetauscht. „Das haben wir immer gegessen, | |
mein Enkelkind nahm jeden Tag Würstchen mit zur Kindergruppe und ich ein | |
Sandwich mit Wurst zur Arbeit. Jetzt ist das Fleisch verdorben, das ist ein | |
Skandal. Wer weiß, was noch alles ungenießbar ist“, sagt die 49-Jährige | |
verunsichert. In ihrem schwarzen Wohnviertel in Cosmo City nördlich von | |
Johannesburg seien die Menschen alle besorgt, sagt sie. | |
Auch im ganzen Land fürchten Südafrikaner um ihre Gesundheit. Der größte | |
Ausbruch der Infektionskrankheit Listeriose hat in den vergangenen Monaten | |
183 Menschenleben gefordert. Erst jetzt sind die Behörden den Ursachen der | |
Erkrankungen in der Bevölkerung auf die Spur gekommen: Viennas und | |
Frankfurters – wie die Würstchen genannt werden – beinhalten die | |
gefährlichen Bakterien. | |
Die in Plastik eingeschweißten Produkte sind beliebt bei den weniger | |
wohlhabenden Käufern. Auf Schulbroten, an den vielen Kiosken in den | |
Townships, aber auch in anderen Haushalten gibt es auch täglich | |
Poloni-Fleischwurst. | |
Die Quelle der Epidemie ist nun gefunden worden, doch die Verunsicherung | |
hält an. In der Firma „Tiger Brands“ in Pholokwane, Hauptstadt der Provinz | |
Limpopo, sind Bakterien in der Fabrik entdeckt worden, auf die der | |
Listeriose-Ausbruch laut Angaben des Gesundheitsministeriums zurückzuführen | |
ist. | |
## Geld zurück | |
Das Unternehmen hat bereits alle im Verdacht stehenden Produkte der Marke | |
„Enterprise“ zurückgerufen, aber bisher die Verantwortung für die | |
Todesfälle von sich gewiesen. Auch vor den Fabriktoren von Tiger Brands | |
standen in dieser Woche viele Menschen, um bereits erworbene Wurstwaren | |
gegen die Rückgabe von Geld abzuliefern. | |
Die Äußerungen des Firmenchefs Lawrence McDougall steigerten die Wut der | |
Käufer. Er erklärte im öffentlichen Fernsehen, seine Firma habe weitaus | |
mehr als die im Verdacht stehenden Produkte zurückgerufen und zwei weitere | |
Firmen vorübergehend geschlossen. | |
Denn auch in einer weiteren Fabrik von Tiger Brands sowie in einer | |
Produktionsanlage der Firma „Rainbow Chicken“ wurden Listeria-Bakterien | |
festgestellt – allerdings von einem anderen Erreger-Stamm. | |
Noch ist unklar, ob sie die Ursache der Krankheits- und Todesfälle sind. | |
„Ein direkter Zusammenhang steht noch nicht fest. Ich kann mich nicht für | |
etwas entschuldigen, was noch nicht sicher ist“, sagte der Firmenchef. | |
## Größter Ausbruch | |
Listeriose ist eine vorwiegend über verseuchte Lebensmittel verbreitete | |
Infektionskrankheit. Die Bakterien, sogenannte Listerien, kommen in der | |
Natur häufig vor. Für gesunde Erwachsene ist die Infektion meist harmlos, | |
aber in der Schwangerschaft, bei einer Abwehrschwäche oder einem schwachen | |
Immunsystem kann sie sich schwerwiegend auswirken. | |
In Südafrika sind 980 Menschen erkrankt. Die Weltgesundheitsorganisation | |
(WHO) bezeichnet die Epidemie als bisher größten Ausbruch. Es ist mit | |
weiteren Erkrankungen zu rechnen: Der Zeitraum von der Ansteckung bis zum | |
Ausbruch der Krankheit beträgt drei bis vier Wochen. | |
Das südafrikanische Institut für ansteckende Krankheiten (NICD) erklärte, | |
dass die jüngsten Listeriose-Erkrankungen mit Sicherheit auf die Firma | |
Tiger Brands zurückzuführen seien. Juno Thomas, Chefärztin des Instituts, | |
gibt zu, dass die Untersuchungen lange gedauert hätten. Nach dem | |
Bekanntwerden der ersten Krankheitsfällen im Juli 2017 habe es noch keinen | |
Verdacht gegeben. | |
„Der Prozess, die Ursache zu finden, ist kompliziert. Denn Listeriose kann | |
viele Lebensmittel befallen“, sagt Thomas. „Listerien können in der Kälte | |
überleben, nicht aber in der Hitze. Die geringste Missachtung von | |
Sicherheitsbestimmungen und Kontrollen kann zu einem Problem in der | |
Nahrungsproduktion führen“, erklärt Thomas. | |
## Kritik vonseiten der Opposition | |
„Die entscheidende Erkenntnis kam, als in einem Kindergarten in Soweto neun | |
Kinder schwer erkrankt waren.“ Sie mussten mit Durchfall, Erbrechen und | |
hohem Fieber ins Krankenhaus eingeliefert werden. Das war im Januar dieses | |
Jahres. „Wir haben die Kinder untersucht und Bakterien gefunden.“ Alle | |
Kinder hatten Frischwurst der Marke „Enterprise“ gegessen, ein Produkt der | |
Tiger-Brands-Firma. Erst jetzt im März konnte der Verdacht bestätigt | |
werden. | |
Die radikale Oppositionspartei EFF (Ökonomische Freiheitskämpfer) hat den | |
Skandal als Krise bezeichnet und landesweit ihre Mitglieder aufgerufen zu | |
helfen, die Produkte aus den Regalen zu entfernen. Die afrikanischen | |
Nachbarstaaten stoppten die Einfuhr der Fleischprodukte, die viele | |
südafrikanische Firmen liefern. | |
In Südafrika mehren sich die Vorwürfe nicht nur wütender Verbraucher. Auch | |
die Opposition und der Gewerkschaftsbund Cosatu werfen dem | |
Gesundheitsministerium zu wenig politische Entschlossenheit vor. | |
12 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Martina Schwikowski | |
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