| # taz.de -- Allianz für Ernährungssicherheit: Langfristig mehr Hunger | |
| > Agrarkonzerne und G-8-Staaten sorgen dafür, dass Bauern in Afrika kein | |
| > kostenloses Saatgut mehr bekommen. Nur Investitionen werden versprochen. | |
| Bild: Welches Saatgut dieser Bauer im Sudan verwendet, das wollen in Zukunft Mo… | |
| BERLIN taz | Loyce’ Pech ist einfach, dass ihre Eltern arm sind und in dem | |
| afrikanischen Land Malawi leben. Deshalb konnten sie nicht genügend Essen | |
| für das Baby kaufen. Loyce verlor Gewicht, fast eine Woche lang erbrach | |
| sie, hatte Fieber und Durchfall. Loyce litt an akuter Unterernährung – bis | |
| sie im Alter von sieben Monaten Nahrungsmittelhilfen vom | |
| Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen erhielt, das ihre Geschichte | |
| auf seiner Internetseite schildert. | |
| Die Ernährungs- und Agrarindustrie beschreibt solche Fälle, um ihre | |
| Hauptforderung zu begründen: dass die Lebensmittelproduktion überall | |
| ausgeweitet werden muss, um die weltweit fast 870 Millionen Hungernden zu | |
| sättigen. Doch an der Hungerkrise sei paradoxerweise auch die Branche | |
| selbst schuld, kritisieren Menschenrechtsorganisationen aus Anlass des | |
| Welternährungstags am Dienstag. | |
| Im Visier der Aktivisten ist derzeit besonders die im Mai beschlossene | |
| Initiative der großen Industriestaaten und Russland (G 8) gegen den Hunger | |
| in Afrika. Durchgesetzt von US-Präsident Barack Obama, soll diese „Neue | |
| Allianz für Ernährungssicherung“ vor allem Privatinvestitionen in die | |
| Landwirtschaft des Kontinents erhöhen. Zusagen gibt es beispielsweise vom | |
| US-Saatgut- und Pestizidhersteller Monsanto, dem holländischen | |
| Lebensmittelkonzern Unilever und dem norwegischen Kunstdüngergiganten Yara. | |
| ## Interessen der Branche | |
| „Da sitzt das Who is Who der transnationalen Agribusiness- und | |
| Ernährungskonzerne am Tisch“, sagt der Landwirtschaftsreferent des Food | |
| First Informations- und Aktionsnetzwerks (Fian), Roman Herre. Deshalb | |
| wundert es ihn auch nicht, dass die Allianz den Interessen der Branche | |
| diene – und langfristig Hunger in Afrika verursache. | |
| Tatsächlich legt die Allianz in ihrem Strategiepapier für Mosambik als Ziel | |
| fest, die „Verteilung von frei verfügbarem und nicht verbessertem Saatgut | |
| systematisch zu beenden“. Ausnahme sind lediglich in Notsituationen einige | |
| Grundnahrungsmittel. Zudem seien „Regeln zu den Eigentumsrechten an Saatgut | |
| umzusetzen, die Privatinvestitionen in die Saatgutproduktion fördern“. | |
| Landwirte sollen also nicht mehr so leicht wie bisher Samen verwenden | |
| können, für die sie keine Lizenzgebühren zahlen müssen. Ihnen blieben vor | |
| allem die teuren Produkte von Monsanto oder anderen Saatgutherstellern. | |
| Aktivisten warnen, dass das die Ernährungssicherheit von Kleinbauern | |
| gefährden könnte, die weltweit rund 80 Prozent der Hungernden stellen. Auch | |
| die Strategien für Äthiopien, Tansania und Burkina Faso enthalten Vorgaben, | |
| die die Geschäfte von internationalen Saatgutlieferanten erleichtern | |
| sollen. | |
| Im Gegenzug verspricht Monsanto dem Dokument zufolge, binnen zehn Jahren 50 | |
| Millionen Dollar in mehreren afrikanischen Ländern zu investieren. Der | |
| Schweizer Konkurrent Syngenta will demnach 500 Millionen Dollar ausgeben, | |
| um etwa durch ein oder zwei neue Produktionsstätten sein Afrikageschäft | |
| auszuweiten. | |
| Auch wer riesige Ländereien in Äthiopien kaufen will, profitiert von der | |
| G-8-Initiative. Denn in deren Rahmen hat die Regierung in Addis Abeba | |
| versprochen, dass Investoren künftig nur noch mit einer Behörde verhandeln | |
| müssen – gerade für ausländische Anleger dürfte es so einfacher werden, | |
| Land in dem Hungerstaat zu erwerben. | |
| Dabei ist das Problem des land grabbing in Äthiopien besonders ausgeprägt: | |
| Anleger aus reicheren Staaten kaufen oder pachten in Entwicklungsländern | |
| Agrarflächen, von denen Kleinbauern vertrieben werden und deshalb hungern | |
| müssen. „In so einem Kontext Landkäufe oder Landpachten für internationale | |
| Konzerne zu erleichtern, ohne einen Sicherungsmechanismus gegen land | |
| grabbing zu erwähnen, halte ich für katastrophal“, urteilt Fian-Experte | |
| Herre. | |
| ## Auch Deutschland zieht mit | |
| Auch das G-8-Mitglied Deutschland unterstützt die Allianz. Von 2012 bis | |
| 2014 habe die Bundesrepublik dafür 50,2 Millionen Euro zugesagt, heißt es | |
| in den Strategiepapieren. „Die Bundesregierung sollte ihre Unterstützung | |
| für diese Allianz zurückziehen“, fordert Herre. „Sie verletzt ihre | |
| Menschenrechtspflichten.“ | |
| Doch in einer Stellungnahme für die taz schreibt das | |
| Entwicklungsministerium: „Die Bundesregierung wird sich weiter dafür | |
| einsetzen, dass durch die Neue Allianz der G 8 ein Beitrag zur | |
| Ernährungssicherung geleistet wird.“ Auch Afrika müsse mehr produzieren, um | |
| das Recht auf Nahrung für alle zu verwirklichen. Dafür seien | |
| Privatinvestitionen unverzichtbar, „daher ist die Neue Allianz der G 8 ein | |
| Beitrag, die Umsetzung dieses Menschenrechtes zu verfolgen.“ | |
| Die Behörde von Minister Dirk Niebel (FDP) rechtfertigt auch, dass die G 8 | |
| die Abgabe von traditionellem Saatgut stoppen will. Denn die lehnt das | |
| Ministerium ab, „da sie hemmend auf lokale Saatgutinitiativen von | |
| Kleinbauern und Privatwirtschaft wirkt“ – also den Züchtern das Geschäft | |
| verdirbt. Obwohl die G-8-Strategie sich ja nur gegen die Verteilung alten | |
| Saatgutes wendet, das schon lange nicht mehr weitergezüchtet wurde. | |
| Zum Vorwurf, die G 8 fördere land grabbing etwa in Äthiopien, antwortet das | |
| Ministerium vor allem, dass es das Problem regelmäßig in Gesprächen mit | |
| äthiopischen Partnern sowie im Rahmen der G 8 „thematisiert“. | |
| Monsanto bemüht sich noch nicht einmal, im Detail auf die Kritik | |
| einzugehen. Die Vorwürfe der Menschenrechtler seien „weder plausibel noch | |
| nachvollziehbar“, antwortet der Konzern – eine Begründung bleibt er | |
| schuldig. | |
| 16 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jost Maurin | |
| Jost Maurin | |
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