| # taz.de -- Debatte über Spekulation mit Nahrung: Die Saat des Derivats | |
| > Der Streit, ob Spekulanten an den Preissteigerungen bei Lebensmitteln | |
| > schuld sind, ist neu entbrannt. Sind terminierte Agrarmärkte ein Gewinn? | |
| Bild: Dieses Agrar-Paar leitet zur Zeit den innovativen Arbeitskreis „Im Feld… | |
| BERLIN taz | Nahrungsmittel haben in diesem Sommer auf den Weltmärkten | |
| erneut Preisrekorde gebrochen – mit existenziellen Folgen für viele | |
| Menschen in den ärmeren Ländern. Der alte Streit, ob daran die Spekulanten | |
| zumindest eine Mitschuld tragen, ist jetzt mit einem in offenen Briefen | |
| geführten Schlagabtausch zwischen dem Hallenser Wirtschaftsethiker Ingo | |
| Pies und dem Berliner Finanzmarktexperten Markus Henn in eine neue Runde | |
| gegangen. | |
| Pies hatte die Kontroverse mit einem Gastbeitrag in der FAZ losgetreten. | |
| Darin greift er nicht die Spekulanten, sondern die zivilgesellschaftlichen | |
| Gruppen frontal an. Diese hätten mit ihrer Forderung nach einem | |
| Spekulationsverbot „ein moralisches Eigentor“ erzielt. Die Terminmärkte, | |
| auf denen Kontrakte über künftige Lieferungen abgeschlossen werden, seien | |
| für die Agrarmärkte nämlich ein echter Gewinn. | |
| Denn auch wenn diese Kontrakte nichts anderes als Derivate sind, mit denen | |
| zum Beispiel Banken und Investmentfonds immer öfter spekulieren, dienten | |
| sie Bauern und Händlern doch zugleich auch als eine Art Versicherung gegen | |
| Preisschwankungen. | |
| Würde die Spekulation verboten, hätte das daher negative Effekte, die | |
| letztlich zu weniger statt mehr Nahrungsmittelproduktion führen würden, | |
| argumentiert er. Denn wenn dank der Terminmärkte die Preisentwicklung | |
| besser abschätzbar ist, dann seien Landwirte auch eher geneigt, in die | |
| Ausweitung ihrer Produktion zu investieren – und das sei ja schließlich | |
| das, womit den Armen und Hungernden am besten geholfen sei. | |
| ## Kein erkennbarer Nutzen | |
| Markus Henn, Mitarbeiter der umwelt- und entwicklungspolitischen | |
| Organisation WEED, hält dagegen, dass die enorme Ausweitung des Handels an | |
| den Börsen keinen erkennbaren Nutzen gebracht hätte: „Noch Anfang des | |
| Jahrtausends betrug das jährliche Handelsvolumen nicht einmal das Zehnfache | |
| der Ernte. Inzwischen ist es mehr als das Siebzigfache, obwohl die Ernte ja | |
| kaum größer geworden ist. | |
| Wo ist der Beleg dafür, dass diese Handelsexplosion von Nutzen ist?“ Henn | |
| verweist auch auf die Hungeraufstände, zu denen es 2008 wegen der drastisch | |
| gestiegenen Nahrungsmittelpreise kam. Diese hätten zu einem Zeitpunkt | |
| stattgefunden, als die Spekulation einen historischen Höhepunkt erreicht | |
| hatte. Einige Banken haben auf den Druck reagiert und ihren Rückzug aus | |
| derlei Geschäften angekündigt. | |
| Doch die Deutsche Bank wehrt sich gegen Vorwürfe, ihre Rohstofffonds trügen | |
| eine Mitschuld am Hunger in der Dritten Welt. Sie gab eine Analyse in | |
| Auftrag, deren vorläufiges Ergebnis lautet: Hochgetrieben werden die Preise | |
| durch die steigende Nachfrage aufgrund wachsender Bevölkerung, höherer | |
| Einkommen und der Gewinnung von Biotreibstoffen. | |
| ## „Extreme Preisspitzen“ | |
| Der Agrarökonom Joachim von Braun vom Bonner Zentrum für | |
| Entwicklungsforschung stimmte im Juni auf einer Bundestagsanhörung zu, | |
| Spekulation sei wohl „nicht die entscheidende Kraft hinter dem gestiegenen | |
| Preistrend“. | |
| Aber Untersuchungen belegten, dass sie „an den extremen Preisspitzen | |
| ursächlich beteiligt“ sei.Der Wirtschaftsethiker Pies gibt sich inzwischen | |
| versöhnlich. Einig sei man sich darüber, dass für mehr Transparenz auf den | |
| Märkten gesorgt werden müsste. „Letztlich haben wir das gleiche Ziel: den | |
| Hunger in der Welt bekämpfen.“ | |
| 4 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Nicola Liebert | |
| ## TAGS | |
| Kambodscha | |
| Landwirtschaft | |
| Deutsche Bank | |
| Steuergelder | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Landraub-Vorwurf gegen Deutsche Bank: Unsaubere Kautschuk-Connection? | |
| Erneut gerät die Deutsche Bank wegen fragwürdiger Geschäfte in die Kritik. | |
| Das Kreditinstitut soll indirekt an Landgrabbing in Südostasien beteiligt | |
| sein. | |
| Hunger wegen Agrarspekulationen: Schon lange bekannt | |
| Die Chefs von Allianz und Deutscher Bank sehen kein Problem. Interne | |
| Papiere der Konzerne aber warnen vor steigenden Lebensmittelpreisen. | |
| Kommentar Lebensmittelspekulation: Umgekehrte Beweislast | |
| Die Deutsche Bank will weiter mit Nahrungsmitteln spekulieren und | |
| verleugnet, dass es einen Einfluss auf die Preise gibt. Das ist billigste | |
| Rhetorik. | |
| Kommentar Finanzspekulationen: Einfach mal verzockt | |
| Steuergeld wird in hochspekulative Finanzgeschäfte investiert. Riskante | |
| Wetten sind keine sinnvollen Instrumente der Absicherung. | |
| Allianz für Ernährungssicherheit: Langfristig mehr Hunger | |
| Agrarkonzerne und G-8-Staaten sorgen dafür, dass Bauern in Afrika kein | |
| kostenloses Saatgut mehr bekommen. Nur Investitionen werden versprochen. | |
| Finanzspekulationen mit Nahrungssmitteln: Deutsche Bank zockt mit Getreide | |
| Trotz heftiger Kritik hält die Deutsche Bank an Spekulationen mit | |
| Nahrungsmitteln fest. Das Kreditinstitut glaubt nicht, dass das einen | |
| Einfluss auf die Preisentwicklung hat. | |
| Commerzbank bestätigt Ausstieg: Nahrungsmittelspekulation war gestern | |
| Die Commerzbank verzeichnet wieder höhere Gewinne, die Erträge gingen aber | |
| zurück. Außerdem hat die zweitgrößte deutsche Bank bestätigt, | |
| Grundnahrungsmittel aus ihren Fonds herauszunehmen. | |
| Deutsche Bank: Riskantes Doppel | |
| Kapitalismuskritiker protestieren auf der Hauptversammlung des größten | |
| deutschen Bankhauses gegen den neuen Chef Jain. Sie rufen zum Bankenwechsel | |
| auf. | |
| Kritik an Deutscher Bank: Ackermanns zweifelhafte Bilanz | |
| Am Donnerstag übergibt Deutsche Bank-Chef Ackermann an seine Nachfolger | |
| Anshu Jain und Josef Fitschen. Aktivisten hoffen, dass sie ihre Sache | |
| besser machen als „Bad Joe". | |
| Belagerung der Deutschen Bank: Kein Profit auf Kosten anderer | |
| 24 Stunden lang haben AktivistInnen die Deutsche Bank in Bremen belagert, | |
| um gegen Landgrabbing und Spekulationen auf Nahrungsmittel zu | |
| demonstrieren. |