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# taz.de -- Armut in Mosambik: Das Kein-Sterne-Hotel
> Das Grande Hotel in Beira war einmal das größte Luxushotel Afrikas. Heute
> macht dort keiner mehr Urlaub. 3.000 Menschen leben in der Betonruine.
Bild: Über 3.000 Menschen leben mittlerweile im Grande Hotel in Beira: eine kl…
BEIRA taz | Wie in jedem Hotel gibt es auch im Grande Hotel bessere und
schlechtere Zimmer. Von den besseren aus hat man den Indischen Ozean im
Blick, der am Strand bräunlich schimmert und dann, weiter draußen,
strahlend blau. In den schlechteren sieht man gar nichts. Eines aber haben
alle Zimmer gemeinsam: Wände und Boden aus nacktem Beton, keinen Strom,
kein fließendes Wasser, keine funktionierenden Toiletten. Urlaub macht hier
keiner.
Die Aussicht sei das einzig Schöne, sagt Adão António, der mit seinen
Cousins in einem der Zimmer mit Meerblick lebt. Sie wolle ja nicht jammern,
sagt Nela, die im Keller einen feuchten Verschlag ohne Fenster bewohnt,
aber die Dunkelheit sei schon ein Problem.
Früher war das Grande Hotel ein Luxushotel, aber dann ist es zu einem der
größten besetzten Häuser der Welt geworden. Zu einem eigenen Wohnviertel
von Beira, der zweitgrößten Stadt von Mosambik. Ein Zuhause für alle, die
sich sonst nichts leisten können. Ein Slum.
## Pragmatik der Armen
Die Leute haben alle Winkel des Hotels eingenommen. Im Discosaal, wo einst
die Reichen in Anzug und Ballkleid tanzten, flickt heute ein Fischer seine
Netze. Auf dem Dach, wo früher hin und wieder ein Hubschrauber landete,
treffen sich die Jugendlichen zum Taekwondo-Training. Und überall
dazwischen sind Menschen zu Hause, mehr als 3.000 insgesamt, darunter viele
Kinder. Ihr Schicksal erzählt von der Pragmatik der Armut – und ganz
nebenbei auch etwas über die Geschichte von Mosambik.
Vom Hauptgebäude in leicht geschwungener Nierenform geht es übers
Treppenhaus in den zweiten Stock, über einen zugigen Korridor hinüber in
den „Block D“. An der Holztüre ist die Nummer 243 angebracht. Auf dem
Balkon stehen ein Fahrrad und Plastikstühle, auf einer Wäscheleine hängt
ein Mickey-Maus-Handtuch. Adão António, ein großer Mann mit langem Gesicht,
ist 30 Jahre alt. Er kennt das Hotel nur als Ruine, aber er hat eine
Vorstellung davon, wie es früher aussah. Sein Onkel, der im Januar
gestorben ist, hat ihm viel davon erzählt. Zwar kamen keine
Übernachtungsgäste mehr, als er hier als Wachmann arbeitete, doch die
Konferenzräume und der Pool wurden noch längere Zeit benutzt. Und so
sicherte der Onkel eines der Zimmer für sich und die Familie.
## Eine Investitionsruine
Als das Hotel 1955 eröffnet wurde, war es ein Palast im Art-Deco-Stil,
12.000 Quadratmeter, vier Stockwerke, um die 120 Zimmer, rote Läufer auf
den Treppen. Eine Stadt in der Stadt, mit Bars, Restaurants, Läden, einer
Post, einer Bank. Als „Stolz von Afrika“ wurde das Grande Hotel bezeichnet.
Der Stolz der portugiesischen Kolonialherren, wohlgemerkt. Doch schon nach
nicht einmal einem Jahrzehnt wurde der reguläre Hotelbetrieb eingestellt.
Man sprach von einem „weißen Elefanten“, einer Investitionsruine. Mosambik
wurde unabhängig, eine sozialistische Volksrepublik ausgerufen, die
Portugiesen wurden aus dem Land geschmissen. Und der Elefant wurde grau und
dreckig.
Das Hotel diente als Gefängnis, als Militärbasis, bis dann – der
Bürgerkrieg hatte begonnen – Flüchtlinge einzogen. Sie blieben. Mit der
Zeit rissen sie alles heraus, was auch nur den geringsten Wert hatte.
Fenster, Kronleuchter, Rohre, die Metallbuchstaben auf dem Dach, die
Stahlseile der Aufzüge. Alles.
Nur wenig erinnert an die glanzvollen Zeiten. In Zimmer 243 steht noch der
Holztisch von früher; im Bad gibt es noch die seit Jahren unbenutzte
Toilette und eine Badewanne. Im Garten befindet sich nach wie vor das
50-Meter-Schwimmbecken, an dem einst die Gäste Cocktails schlürften. Heute
sind drumherum Mais und Maniok angepflanzt. Im Wasser treiben
Plastikflaschen und Batterien. Die Bewohner waschen dort ihre Wäsche,
manche baden sich auch. Denn das Dreckwasser kostet nichts. Am einzigen
Wasserhahn sind 2 Meticais fällig, um einen 20-Liter-Kanister zu befüllen,
umgerechnet 5 Cent.
Adão António hat bis vor Kurzem als Koch gearbeitet. Seine Cousins haben
zumindest Gelegenheitsjobs. Sie können sich das Wasser leisten und auch
etwas zu essen. Einer der Cousins tischt auf: Nudeln mit Soße, gegrillten
Fisch, alles halal, sie sind Muslime, wie viele im Haus. Und sie gehören
bereits zur privilegierten Schicht im einstigen Hotel, das den Charme eines
Parkhauses hat und in dem es riecht wie in einer Fußgängerunterführung, die
monatelang nicht gereinigt wurde.
## Verrückter Nachbar
Nela hingegen wohnt ganz unten. Sie ist 19 Jahre alt, eine zierliche,
schüchterne Frau, die Haare fein geflochten. Sie trägt ihren kleinen Sohn
Jorgito, 8 Monate alt, im Tragetuch gepackt, vor Kurzem hatte er Malaria.
Neben der Eingangshalle steigt sie die Stufen hinab. Hier befanden sich
früher die Kühlräume und die Wäscherei.
Der Betonboden ist mit einer Schicht glitschiger Schmiere bedeckt, in der
Luft liegt eine Mischung aus Moder und Rauch. Nela zeigt nach rechts auf
den Müllhaufen. Oft hätten sie schon aufgeräumt, sagt sie, aber der Mann,
der dort schläft, trage den Müll immer wieder rein. „Er ist einfach
verrückt.“ Sie schließt die Türe auf. „Hier unten“, sagt sie, „das i…
guter Raum.“ Oben, wo sie vorher wohnten, zog der Wind durch, ihr Kind
wurde krank. Sie schaltet die Batterielampe an der Decke ein.
Das Licht ist bläulich, nicht wirklich hell, aber hell genug, um die
Kakerlaken an der Wand zu erkennen. Ein durchlöchertes Moskitonetz, ein
paar gelbe Plastikkanister, Geschirr. 200 Meticais Miete zahlen sie im
Monat an den Vorbesitzer, 5 Euro. Eigentlich ist es verboten, Miete zu
verlangen. Aber was sollen sie schon machen.
## Haus gegen Beerdigung
Sie hatten ein kleines Haus, aber das mussten sie verkaufen, als die Tante
gestorben ist und sie Geld brauchten für die Beerdigung. Seit drei Jahren
wohnt Nelas Familie jetzt hier. Ihr Mann verkauft Rucksäcke und Taschen auf
der Straße. Von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends ist er unterwegs, viel kommt
damit nicht rein. Sie selbst würde gerne wieder zur Schule gehen, aber auch
das ist zu teuer, und wer soll dann auf die Kinder aufpassen?
Überhaupt, die Kinder. Für die sei dies kein guter Ort, sagt Nela. Der Pool
gefährlich, kein Geländer an den Freitreppen und den Korridoren. Es sind
schon mehrfach Bewohner abgestürzt; andere sind ertrunken. Wie viele, ist
nicht wirklich auszumachen, jeder erzählt etwas anderes.
## Oberes Management, sozusagen
Auch Carlos Carlos kann viel erzählen. Weil er mit vielen der Bewohner
redet, wenn sie bei ihm einkaufen in seinem kleinen Laden, wo er Tomaten
anbietet, Kekse und Gin in Plastikflaschen. Und wegen seines Amtes, denn er
ist der 2. Secretario des Grande Hotel, oberes Management könnte man sagen.
Eine Art gewählter Verwalter, zuständig für das, was im Haus passiert. 37
Jahre ist er alt, Glatze, ein bulliger Typ im Basketball-Trikot der
„Oklahoma City“. Fragt man ihn nach seinen Aufgaben, ist das Erste, was ihm
einfällt: Er erledigt den Papierkram mit der Gemeinde, wenn einer stirbt.
Fragt man ihn danach, was sie gemeinsam unternehmen, sagt er: Wir sammeln
Geld für die Angehörigen, wenn jemand stirbt.
Der Tod schafft Zusammenhalt – und er ist allgegenwärtig im Grande Hotel.
Viele sterben an Aids, aber den Namen der Seuche spricht hier keiner offen
aus. Gestorben wird an Tuberkulose oder Malaria.
## Bloß kein Aids!
Aber auch die Lebenden beschäftigen Carlos Carlos, er muss schlichten, wenn
zwei sich streiten, um ein Zimmer oder eine Frau. Ab und zu hätten sie auch
eine Putzaktion gestartet. Aber schon länger nicht mehr, es fehlten die
Besen. Nun muss Carlos Carlos weg, zu einer Beerdigung.
An eine der Zimmertüren hat jemand mit grüner Farbe geschrieben: „Die Welt
ist nicht perfekt.“ Alles andere als perfekt ist auch der Zustand des
Hotels. Bäume wachsen ins Haus hinein, ihre Wurzeln spalten den Beton.
Während der Regenzeit steht das Wasser auf dem Boden und läuft an den
Wänden entlang. Das Haus ist einsturzgefährdet.
## Investoren aus China?
Aber es bietet Menschen ein Dach über dem Kopf, die sonst keins hätten. Das
Gebäude gehört inzwischen der Stadt, Beira wird von der Opposition regiert.
Die Politiker haben immer versprochen, dass etwas passiert. Es passierte
nichts. Außer, dass Geschichten und Gerüchte die Runde machen. Vor einer
Weile sei eine Regierungsdelegation aus Maputo da gewesen, erzählen die
Leute. Investoren aus China wollten das Haus kaufen und renovieren,
zumindest zum Teil. Für die Bewohner wäre dann wohl kein Platz mehr.
So macht sich jeder seine eigenen Gedanken über die Zukunft. Die 19-jährige
Nela hofft, dass ihr Sohn wieder richtig gesund wird. Eines ihrer drei
Kinder ist bereits gestorben. Carlos Carlos, der Secretario, will für seine
Familie ein eigenes Haus bauen, das Grundstück hat er schon, er spart jetzt
für Steine und Zement. Adão António will erst mal einen neuen Job suchen.
Auch er denkt über einen Auszug nach. Wenn einer das Grande Hotel kauft,
müsste der ihnen ja zumindest ein neues Zuhause bezahlen. Eines Tages, sagt
Adão António, könnten sie ja dann zurückkommen, um hier Ferien zu machen.
Er lacht. War nur ein Witz.
31 May 2013
## AUTOREN
Sebastian Erb
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