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# taz.de -- Terrorexperte Peter Neumann: „Keine Angst vor einer Geheimpolizei…
> Wenn ein Anschlag wie der in London geschieht, erklärt Peter Neumann die
> Lage. Der Terrorexperte hat sich schon sehr früh mit Salafisten befasst.
Bild: Der Experte für islamistischen Terror: Peter Neumann
Natürlich Peter Neumann. Kaum sind im ARD-„Brennpunkt“ am Mittwochabend die
wenigen bekannten Fakten zum Anschlag in der englischen Hauptstadt
berichtet, wird der Londoner Terrorexperte zugeschaltet. „Wir wissen drei
Dinge“, sagt der 42-jährige Politikwissenschaftler. „Erstens, die Polizei
hat gesagt, es war ein terroristischer Anschlag. Wir wissen zweitens, dass
die englischen Behörden sagen, die Bedrohung durch einen dschihadistischen
Anschlag ist sehr hoch. Und wir wissen drittens, dass dieser Anschlag genau
in das Muster passt.“
Man könne sich noch nicht festlegen, sagt er dann, aber im Moment deute
alles „auf diese Richtung hin“. Das heißt: auf einen islamistischen
Anschlag, der von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ inspiriert
ist.
Am Donnerstag weiß man: Neumann dürfte recht haben. Der IS hat den Anschlag
für sich reklamiert, dem englischen Inlandsgeheimdienst war der Täter
bekannt. Am Freitag bringt die Deutsche Presse Agentur Neumann wieder groß.
Er zweifelt daran, dass der IS den Anschlag in London selbst geplant hat.
Das Attentat sei in einigen IS-Publikationen aus den letzten 24 Stunden
nicht erwähnt worden, offenbar seien große Teile der Organisation
überrascht gewesen.
Kein islamistischer Anschlag, bei dem Peter Neumann der deutschen
Öffentlichkeit nicht die Zusammenhänge und Hintergründe erklärt. Manchmal
sehr schnell nach einer Tat, zu schnell, meinen manche Kritiker. „Und das
Gespräch mit dem Terrorismusexperten Peter Neumann haben wir vor den
Anschlägen von Paris aufgezeichnet“, twitterte am Mittwochabend sarkastisch
ein Kollege unter #Brennpunkt. Das soll wohl heißen: Neumann sagt immer
dasselbe – und das auch, wenn man über den konkreten Fall wenig weiß. Das
aber wird dem Terrorforscher nicht gerecht.
Neumanns International Centre for the Study of Radicalisation an Political
Violence (ICSR) am Londoner King’s College hat sich viel früher als andere
mit der Radikalisierung von Salafisten in Europa und ihrer Ausreise in die
syrisch-irakische Kriegszone befasst. 15 MitarbeiterInnen hat das Institut
inzwischen.
## Kurz, präzise und verständlich
Deutsche Medien interviewen Neumann gern, weil er internationales Renommee
mitbringt, aber Deutsch spricht. Der gebürtige Würzburger hat als
Radiojournalist gearbeitet. Er erklärt kurz, präzise und verständlich, in
der Zusammenarbeit mit JournalistInnen ist er schnell und professionell.
Und: Neumann ist kein Anheizer. Er erklärt, was er weiß, er spekuliert
selten. Eher sagt er dann Sätze wie „Dafür muss man noch etwas abwarten“
oder „Das werden wir erst erfahren, wenn wir mehr über den Täter wissen“.
Neumanns Interesse am Thema Terrorismus wird geweckt, als er im Juli 1997
für ein Jahr als Erasmus-Student von Berlin nach Belfast geht. Die IRA hat
gerade einer Waffenruhe in Nordirland zugestimmt, gegen Ende seines
Aufenthalts erklären alle Parteien den Nordirlandkonflikt für beendet. „Das
hat mich fasziniert“, sagt Neumann. „Seitdem hat mich das Thema nicht mehr
losgelassen.“
Er promoviert am Londoner King’s College über britische
Regierungsstrategien in dem Konflikt. Dann kommt 9/11 – der islamistische
Terrorismus steht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das gilt seit
spätestens 2005 auch für Großbritannien, nach dem Anschlag auf drei
U-Bahn-Züge und einen Doppeldeckerbus durch vier Selbstmordattentäter im
Juli 2005 in London, bei dem 56 Menschen starben. 2008 wird Neumann Leiter
des neu gegründeten ICSR am King’s College.
## Sondergesandter für den Kampf gegen Radikalisierung
Die Radikalisierung europäischer Muslime wird zu seinem Thema – und zur
Triebkraft seiner Karriere. Neumann berät Politik und Polizei, seit Anfang
des Jahres ist er Sondergesandter für den Kampf gegen Radikalisierung der
OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Bis Ende
des Jahres soll Neumann einen Bericht vorlegen, wie man Radikalisierung
effektiver bekämpfen kann. Jetzt reist er durch die 57 Mitgliedstaaten und
schaut sich den Stand der Dinge an: Vergangene Woche war er in Nürnberg bei
der Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration, kurz
zuvor in Den Haag, bald geht es nach Ankara und Moskau.
Er sei froh, dass er sich zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn mit
einer anderen Art des Terrorismus beschäftigt habe, sagt Neumann. Da sehe
man, dass nicht alles neu sei. „Enthauptungen hat es auch in den 70er
Jahren in Nordirland gegeben.“
Früher hat Neumann selbst viel Feldforschung betrieben, hat für die
EU-Kommission britische Salafisten interviewt, und er war im Auftrag der
Vereinten Nationen in Somalia. Heute machen den Hauptteil dieser Arbeit
seine MitarbeiterInnen. Das ICSR hat die Lebensläufe von rund 700
Dschihadisten aus dem Westen mithilfe ihrer Onlineprofile ausgewertet.
Mitarbeiter stehen mit hundert von ihnen über Skype, Facebook, WhatsApp und
andere Messengerdienste in Kontakt.
Vor den Rückkehrern hat Neumann früh gewarnt, aber er hat auch erklärt,
dass ein Teil von ihnen wieder in die Gesellschaft integriert werden könne.
Auch darauf, dass viele Dschihadisten Kriminelle waren und damit leichter
an Waffen kommen sowie Erfahrungen mit Gewalt haben, hat er früher als
andere hingewiesen.
## Seelsorge für Häftlinge
Neumann hält ein schärferes Vorgehen gegen Terrorismus in Deutschland für
nötig. Die Sicherheitsbehörden in Großbritannien seien deutlich besser
aufgestellt als die deutschen. Die Kritik am US-Geheimdienst NSA hält er
für überzogen und gefährlich, weil dessen Informationen für deutsche
Behörden lebensnotwendig seien. Das deutsche Gebot der Trennung von Polizei
und Verfassungsschutz ist für ihn ein Relikt.
„Ich habe keine Angst vor einer Geheimpolizei“, sagte er jüngst in einem
[1][Streitgespräch in der taz], als Grünen-Politiker Konstantin von Notz
auf die Gestapo der Nationalsozialisten verwies.
Am King’s College ist Neumanns ICSR dem Department of War Studies, der
Fakultät für Kriegsstudien, zugeordnet: er lehrt auch militärische und
geheimdienstliche Strategie gegen Terroristen. Wenn der OSZE-Job erledigt
ist, will er „ein großes Buch über Terrorbekämpfung“ schreiben.
Dazu braucht es eine Gesamtstrategie, die mehr umfasst als die Arbeit der
Sicherheitsbehörden hierzulande und Militäreinsätze im Ausland. Prävention
sei elementar im Kampf gegen gewaltbereite Islamisten, auch das sagt
Neumann schon lange. Deshalb wird es in seinem OSZE-Bericht auch um
muslimische Gefängnisseelsorge, Beratungsstellen für betroffene Eltern und
Deradikalisierungsarbeit mit Syrien-Rückkehrern gehen.
24 Mar 2017
## LINKS
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## AUTOREN
Sabine am Orde
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