# taz.de -- Terrorforscher über Dschihadisten: „Ins Gefängnis stecken ist g… | |
> Kann man zurückgekehrte IS-Kämpfer wieder in die Gesellschaft | |
> integrieren? Einige schon, sagt Peter Neumann, Terrorismusforscher vom | |
> King's College. | |
Bild: Manche IS-Kämpfer wollen zurückkehren, können aber nicht, sagt Peter N… | |
taz: Herr Neumann, Ihr Institut hat eine Liste von mehr als 500 Personen | |
gemacht, die aus dem Westen in den Dschihad zogen. Was sind das für Leute? | |
Peter Neumann: Wir unterscheiden zwischen zwei Ausreisewellen. Die erste | |
war 2012/2013. Da sind die eher humanitär Orientierten ausgereist, die | |
wollten gegen Assad kämpfen. Das waren Islamisten, aber nicht alle waren | |
ideologisch fundierte Salafisten, die hätten nicht alle eine riesengroße | |
Gefahr darstellen müssen. 2014 mit der Deklaration des Kalifats hat sich | |
das verändert. Die Leute, die jetzt gehen, sind extremistischer. Wer das | |
Kalifat mit aufbauen will, kann nicht sagen, er wüsste nicht, um was es | |
beim „Islamischen Staat“ geht. | |
Mit einigen der Männer sind Sie in Kontakt. Wie läuft das ab? | |
Wir haben mit 50 europäischen Kämpfern gesprochen, in einigen Fällen ist | |
daraus ein langjähriger Kontakt geworden. Anfangs erzählen sie | |
Propagandageschichten, aber manchmal entsteht ein ehrliches Gespräch. | |
Einige erzählen, dass sie zurückwollen, aber nicht können. Denn das | |
Einzige, was man von hier hört, ist, dass sie ins Gefängnis gehören. Das | |
ist natürlich keine attraktive Option. | |
Warum wollen sie zurück? | |
Sie gehören zur ersten Ausreisewelle und haben sich damals Gruppen | |
angeschlossen, die noch nicht Teil des „Islamischen Staats“ waren, es jetzt | |
durch diese ganzen Fusionen aber sind. Sie befinden sie sich in einer | |
Situation, in die sie nicht wollten. Sie sagen: Ich wollte gegen Assad | |
kämpfen, aber ich wollte kein Terrorist sein. Ich bin jetzt Teil des | |
„Islamischen Staats“, aber ich stimme mit seinen Taten nicht überein. Ich | |
will nicht mehr kämpfen, aber ich kann nicht zurück. Was soll ich tun? | |
Und was sagen Sie denen? | |
Dass wir das auch nicht wissen. Aber wir haben ihre Geschichte | |
veröffentlicht – mit dem Ziel, dass die Art, wie sie in der Politik | |
betrachtet werden, differenzierter wird. Diese Kämpfer sind keine | |
monolithische Gruppe. | |
Welche unterschiedlichen Typen von Kämpfern gibt es denn? | |
Nach meiner Einschätzung gibt es, grob gesagt, drei Gruppen, die wir im | |
Englischen mit drei „d“ beschreiben: dangerous, disturbed, desillusioned. | |
Die ersten, die Gefährlichen, sind Vollblutdschihadisten, die eine | |
Sicherheitsgefahr darstellen, wenn sie zurückkommen. Mit denen muss man | |
strafrechtlich umgehen. Leute wie Denis Cuspert. | |
Früher als Rapper unter dem Namen Deso Dogg bekannt. | |
Die zweiten, die Gestörten, sind nicht besonders ideologisch motiviert. | |
Aber sie sind durch den Konflikt traumatisiert, durch das, was sie gesehen | |
und erlebt haben. Ein Beispiel ist sicher Mustafa K. aus Dinslaken, der | |
sich mit enthaupteten Köpfen abbilden lässt. Dessen Facebook-Einträge aus | |
Syrien sind dramatisch. Da muss man kein Psychologe sein, um zu erkennen, | |
dass der eine Gefahr für die Gesellschaft ist. Nicht als Terrorist, sondern | |
weil er das Erlebte nicht verarbeitet hat. Der braucht kein Gefängnis, | |
sondern psychologische Hilfe. Die Gesellschaft muss man trotzdem vor ihm | |
schützen. | |
Und wie soll man mit den Desillusionierten umgehen? | |
Die Desillusionierten sind häufig von den Kämpfen der Oppositionsgruppen | |
untereinander frustriert. Die glauben zum Teil noch an den Dschihad, aber | |
diese Art von Dschihad wollen sie nicht. Ich schätze diese Gruppe auf 20 | |
Prozent. Für sie muss es Reintegrationsprogramme geben. Man kann natürlich | |
nicht einfach sagen: Wunderbar, ihr habt abgeschworen, und wir glauben euch | |
das. Wir brauchen strenge Programme mit Überprüfungen. Man muss sich jeden | |
Einzelfall anschauen. In England gibt es mit diesen Programmen seit 10 bis | |
15 Jahren Erfahrungen. | |
Wie sehen die Programme aus? | |
Channel ist ein Programm, das sich mit individuellen Interventionen an | |
Leute richtet, die kurz davorstehen, einer gewalttätigen Organisation | |
beizutreten. Es wird von der Polizei zusammen mit lokalen Behörden und NGOs | |
durchgeführt. Wir haben Leute, die machen das seit 10 Jahren erfolgreich. | |
Sie haben Hunderte Fälle behandelt. Die Herausforderung ist, dieses | |
Programm für Syrienrückkehrer anzupassen. | |
Wären solche Programme auch ein Anreiz auszusteigen? | |
Ja, das glaube ich unbedingt. Und damit könnte man den IS auch schwächen. | |
Die Sicherheitsbehörden kennen ja einen Teil der Rückkehrer, die hier sind, | |
aber nicht alle. Das Angebot der Reintegration wäre ein Anreiz, sich bei | |
den Behörden zu melden. Man könnte dieses Problem also besser in den Griff | |
kriegen. Außerdem ist die Strategie, alle ins Gefängnis zu stecken, | |
langfristig gefährlich. In Gefängnissen findet weitere Radikalisierung | |
statt. | |
Könnte man durch diese Programme auch ehemalige Dschihadisten finden, die | |
sich öffentlich gegen den IS stellen? | |
Das würde ich mir wünschen –und das Potenzial dafür zumindest gibt es. Für | |
die Prävention wäre das ein ganz großer Erfolg: ein ehemaliger Kämpfer, der | |
vor jungen Leuten über seine Erfahrungen spricht – und sagt, seine | |
Entscheidung sei falsch gewesen. | |
Haben Ihre Veröffentlichungen in der englischen Politik etwas verändert? | |
Gerade hat die Regierung Gesetzesverschärfungen zur Terrorbekämpfung | |
angekündigt. | |
Ja, vor zwei Monaten hieß es noch, jeder, der zurückkehrt, komme ins | |
Gefängnis, bekäme die Staatsbürgerschaft entzogen und so weiter. Nun sagte | |
die Innenministerin, man müsse das von Fall zu Fall betrachten. | |
Wie schätzen Sie die Lage in Deutschland ein? | |
In Deutschland wird viel über Prävention gesprochen, es fließt Geld, aber | |
dahinter steht keine wirkliche Strategie. Hier gibt es eine Hotline, da ein | |
Modellprojekt. Aber die klare Ansage, das funktioniert unter den und den | |
Bedingungen und das machen wir jetzt bundesweit, die fehlt. | |
30 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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