# taz.de -- Muslime in Großbritannien: Islam ist nicht gleich Islam | |
> Wie halten es Muslime mit der Terrororganisation „Islamischer Staat“? | |
> Diese Frage spaltet in London auch Araber und Asiaten. | |
Bild: East London Mosque | |
LONDON taz | Salman Farsis Schreibtisch lässt auf intensive Beschäftigung | |
mit den Medien hindeuten. Zwei Bildschirme stehen zwischen Papierhaufen, | |
darunter liegt ein Memorandum: „Wie man mit journalistischen Recherchen | |
umgehen muss“. Die vielen Akten in dem kleinen Büro lassen die kunstvollen | |
Gemälde mit dem arabischen Namen Gottes fast unscheinbar wirken. | |
„Meistens sind wir das Problem“, gesteht der 29-jährige Sprecher von | |
Großbritanniens größter Moschee: East London Mosque. Bis zu 7.000 Gläubige | |
vereinen sich darin zuweilen im Gebet. | |
Die große Moschee im Osten Londons gilt in manchen Berichten auch als | |
Zentrale zur Rekrutierung britischer Freiwilliger für die | |
Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in Irak und Syrien: das | |
„Islamische Forum Europa“, das angeblich Dschihadisten in den Mittleren | |
Osten schleusen oder dies zumindest gutheißen soll, war ein Mitgründer der | |
Moschee und unterhält dort bis heute Büros. | |
So manche Eltern seien in die Moschee gekommen und hätten beklagt, dass ihr | |
Sohn oder ihre Tochter verschollen seien, wahrscheinlich in Richtung | |
Syrien, bestätigt Farsi. Dschihad, sagt er, sei allerdings ausschließlich | |
eine „spirituelle“ Angelegenheit. | |
## Distanzierung beim Freitagsgebet | |
Mit Hashtag-Kampagnen auf Twitter wie #notinmyname oder #takingastand, | |
einer Videokampagne auf YouTube sowie Aussagen des Muslim Council of | |
Britain und Distanzierungen vom IS beim Freitagsgebet in allen Moscheen | |
haben die Muslime es mehrheitlich geschafft, nicht ins Fahrwasser der | |
Radikalen zu geraten. | |
Als der Brite Alan Henning, freiwilliger Lkw-Fahrer eines Hilfskonvois in | |
Syriens Kriegszone, vom IS vor laufender Kamera hingerichtet wurde, war die | |
Empörung unter britischen Muslimen so heftig, dass sogar das Boulevardblatt | |
Sun auf Seite eins „Vereint gegen IS“ titelte und dazu eine Frau mit Union | |
Jack als Kopftuch abbildete. Scotland Yard sagt, dass sich immer mehr | |
Muslime an den britischen Geheimdienst wenden, was in diesem Jahr zu | |
ungewöhnlich vielen Festnahmen von Terrorverdächtigen geführt habe. | |
Die East London Mosque entstand einst mit mit saudi-arabischer | |
Unterstützung und erfuhr mehrere Zubauten über die Jahre, inklusive einem | |
neuen riesigen Frauenzentrum. Vom ersten Stock aus, wo Farsis Büro liegt, | |
kann man durch ein Fenster in den riesengroßen Gebetsraum mit grün-rotem | |
Teppich blicken. Um die Mittagszeit, es ist Freitag, ist die Moschee | |
proppenvoll. Sogar in den Seitenzimmern und Vorräumen lassen sich Menschen | |
zum Gebet nieder. | |
Geschäftsmann Ahmed Hamun, 38, im schicken grauen Anzug, bevorzugt diese | |
Moschee aufgrund ihrer Vielseitigkeit, „weil hier sowohl auf Englisch als | |
auch auf Urdu und Arabisch gelehrt wird“. Seine Eltern gingen noch zu | |
Moscheen, in denen kaum Englisch gesprochen wurde. Fiona Shaik Umar, 25, | |
eine schlanke konvertierte Irin mit schwarzem Hijab, findet, dass die | |
Moschee trotz ihrer Größe eine Familienatmosphäre ausstrahlt. | |
Nicht alles läuft harmonisch in dieser Gegend. Vor einem Jahr pöbelte eine | |
Vigilantengruppe namens Muslim Patrol in der Umgebung der Moschee | |
Nichtmuslime an. Die meisten wurden festgenommen und zu Freiheitsstrafen | |
verurteilt. Farsi behauptet, die Moschee selber habe damit nichts zu tun | |
gehabt. | |
Das war nicht die einzige Schlagzeile, die auf die Moschee verwies. Sie | |
liegt im Stadtbezirk Tower Hamlets, geführt vom muslimischen | |
Labour-Bürgermeister Lutfur Rahman. Der gilt mittlerweile als so korrupt, | |
dass die Zentralregierung dabei ist, die Direktverwaltung über den Bezirk | |
zu übernehmen. Kommunalwahlen seien gefälscht und staatliche Fördergelder | |
veruntreut worden, so die Vorwürfe. Tower Hamlets mit 35 Prozent | |
muslimischen Bevölkerungsanteil, zumeist Einwanderer aus Bangladesch, | |
verwandle sich in eine „islamische Republik“, fürchteten manche | |
konservative Kommentatoren. | |
In der East London Mosque, beeinflusst vom saudischen Wahhabitentum, | |
distanziert man sich von den Sitten des indischen Subkontinents. Der | |
27-jährige Moscheemitarbeiter Juber Hussein behauptet, er habe erst vor | |
Kurzem in Bangladesch miterlebt, wie groß die Unterschiede seien. „Beim | |
Begräbnis meines Onkels haben viele zu seiner Anerkennung Gebete in | |
Richtung seines Grabes gemacht. Man muss das aber gen Mekka tun.“ Hussein | |
sagt, er habe hier in der Moschee Zugang zu einem verbesserten, reineren | |
Islam. | |
## Gegen die Arabisierung des Islams | |
Rund 1.600 Moscheen gibt es in Großbritannien, nur etwa 60 davon gelten als | |
wahhabitisch angehaucht. Im nordenglischen Bradford, wo im Jahr 2001 | |
Aufstände marginalisierter Jugendlicher mit Familienhintergrund aus | |
Pakistan und Bangladesch tobten, stellte man sich damals nicht nur gegen | |
Angriffe von Rechtsradikalen, sondern auch gegen die Arabisierung des | |
Islam. | |
„London ist durch seine höhere Anzahl von Menschen aus der arabischen Welt | |
konservativer“, sagt ein Jugendarbeiter aus Bradford. Aber es sei falsch, | |
den Islam mit arabischer Tradition gleichzusetzen. „Die Trachten | |
Indonesiens oder Indiens sehen ganz anders aus als in Saudi-Arabien. In | |
manchen Gemeinden tut man aber so, als sei die arabische Art die einzig | |
richtige.“ | |
Solche Debatten bleiben Nichtmuslimen meist verborgen, aber ohne sie | |
versteht man nicht, wie unter Muslimen über den IS gestritten wird. Farsi, | |
dessen Großvater in der britischen Marine diente, beschreibt die | |
Hashtagkampagne gegen den IS als Anfang eines Gesprächs mit Nichtmuslimen. | |
„Wer will, dass unsere jüngeren Generationen nicht in die Arme von | |
Ideologen mit Tunnelblick rennen, muss uns ein gesellschaftliches | |
Mitspracherecht geben“, fordert er. „Man darf uns nicht andauernd als | |
Sündenbock und unerwünschtes Element in der britischen Gesellschaft | |
verteufeln.“ | |
26 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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