# taz.de -- Debatte Muslime in Deutschland: Distanziert euch! | |
> Viele in Deutschland nehmen an, Muslime stünden automatisch dem IS näher | |
> als den Opfern. Die Islamophobie geht in die nächste Runde. | |
Bild: Zeichen gesetzt? Muslime in Deutschland. | |
Muslime, distanziert euch, heißt es allenthalben, wenn Terrorakte im Namen | |
des Islams verübt werden. Merkwürdig nur, dass die Distanzierungen dann so | |
wenig registriert werden; gerade so, als wollte man nicht glauben, dass es | |
sie gibt. Dabei haben bis hin zum nun wirklich fundamentalistischen | |
Großmufti von Saudi-Arabien alle maßgeblichen Autoritäten der islamischen | |
Welt den sogenannten Islamischen Staat scharf verurteilt. | |
Ebenso haben wir uns als Professoren für Islamische Theologie in | |
Deutschland von den Gräueltaten distanziert: „Deutungen des Islam, die ihn | |
zu einer archaischen Ideologie des Hasses und der Gewalt pervertieren, | |
lehnen wir strikt ab“, heißt es in der Stellungnahme. Distanziert haben | |
sich, mehrfach, auch die muslimischen Dachverbände. Nach dem 11. September | |
hatten wir die gleiche Situation. Auch da hieß es immer, ihr distanziert | |
euch nicht – noch als Muslime zu Zehntausenden in Köln auf die Straße | |
gegangen waren. | |
Mich ärgert jedoch nicht nur, wie wenig diese Distanzierungen wahrgenommen | |
werden. Mich ärgert auch die allgemeine Ignoranz. Denn es sind doch | |
Muslime, die versuchen, dem sogenannten Islamischen Staat das Handwerk zu | |
legen. Wieso glaubt man, deutsche Muslime seien den Muslimen näher, die | |
Jesiden und Christen verfolgen, statt denen, die ihnen zu Hilfe eilen und | |
ihnen Unterschlupf gewähren? Es hat sich scheinbar noch nicht überall | |
herumgesprochen, denn noch immer wird er als solcher bezeichnet. Doch es | |
ist dies kein Kampf zwischen dem Westen und den Muslimen. Schließlich sind | |
es zuallererst sunnitische Kurden und Schiiten, die die IS-Terrorbande | |
bekämpfen und die Flüchtlinge aufnehmen. | |
Und warum ist es keine Selbstverständlichkeit anzunehmen, dass Muslime in | |
Deutschland terroristische Akte nicht gutheißen? Wieso sollten wir? | |
Vielleicht weil, wie kürzlich in der NZZ behauptet wurde, der Islam kein | |
Tötungsverbot kennt? Der das behauptet hat, Martin Rhonheimer, ist | |
Professor für Ethik an der Päpstlichen Hochschule Santa Croce in Rom. Er | |
meint, die islamische Theologie verfüge über keine argumentativen | |
Ressourcen, um das Morden des sogenannten Islamischen Staates zu | |
verurteilen. Deshalb, so seine Folgerung, können islamische Theologen und | |
dementsprechend muslimische Laien gar nicht gegen den sogenannten | |
Islamischen Staat sein. | |
Weil also der Islam kein Tötungsverbot kenne, müssen Muslime sich | |
distanzieren. Weil der Islam kein Tötungsverbot kenne, darf man annehmen, | |
dass Muslime dem IS-Terror etwas abgewinnen können. Ob Rhonheimer das | |
Tötungsverbot des Islams tatsächlich nicht kennt, oder unterschlägt er sein | |
Wissen bewusst? Ich halte Letzteres für wahrscheinlicher – und das wäre, | |
weil bewusst verfälschend, eindeutig islamophob motiviert. | |
## Gewollte Unkenntnis | |
Mir ist als aufmerksame Zeitungsleserin schon viel Unsinn über den Islam | |
untergekommen, aber die Debatte der letzten Wochen schlägt dem Fass den | |
Boden aus. | |
Und wenn das Flaggschiff des Qualitätsjournalismus, die NZZ, solchen Unsinn | |
verbreitet und oder die liberale Zeit Hamed Abdul Samad, dessen Buch über | |
den „Islamischen Faschismus“ angesichts der offenkundigen Unkenntnis der | |
islamischen Tradition und der arabischen Geschichte von sämtlichen Experten | |
zerpflückt worden ist, zu ihrem Hausautor über den Islam macht, dann | |
braucht man sich über Äußerungen wie die von Nikolaus Fest in der Bild auch | |
nicht zu wundern: „Ist Religion ein Integrationshindernis?“, fragte Fest | |
kürzlich und gab die Antwort umgehend selbst: „Beim Islam wohl ja.“ | |
Wenn der Islam ein Integrationshindernis ist, dann können Muslime wohl | |
nicht zu Deutschland gehören. Denn schließlich ist nur ein | |
fundamentalistischer Muslim ein echter Muslim. Und dann gehört der Muslim | |
natürlich auch nicht zu diesem Gemeinwesen dazu. Und es lässt sich auch | |
nicht automatisch annehmen, er oder sie seien gegen Gewalt – wie man das | |
beim Großteil der nicht muslimischen Staatsbürger der Bundesrepublik | |
selbstverständlich und zu Recht voraussetzt. | |
## Nicht Teil des Gemeinwesen | |
Die Tatsache, dass Muslime als Muslime ein Zeichen setzen sollen, nicht als | |
Bürger dieses Landes, löst bei mir ein Unbehagen aus. Als Lichterketten | |
stattfanden, um gegen die Morde in Mölln und Solingen zu protestieren, oder | |
wenn eine Veranstaltung wie Birlikte, Zusammenstehen, stattfindet – wie | |
kürzlich in Köln –, dann geht es immer um ein Zusammenstehen als | |
Gemeinwesen. Darum, dass man sich gemeinsam positioniert. Aber wenn wir uns | |
als Muslime positionieren sollen, werden wir nicht als Teil des deutschen | |
Gemeinwesens gesehen, sondern als die Anderen: die, die nicht dazugehören – | |
und ihre Einlasstauglichkeit erst beweisen müssen. Und zwar immer und immer | |
wieder. | |
Das Problem aber, mit dem IS auch die deutsche Gesellschaft konfrontiert, | |
ist nicht nur eines der Muslime. Ein Fünftel aller Dschihadisten, die aus | |
Deutschland in den Irak und nach Syrien gezogen sind, sind konvertiert. | |
Forscher sind sich einig, dass sie geradewegs zum Dschihadismus | |
konvertierten. Vom Islam haben einige so wenig Ahnung, dass sie sich als | |
Reiselektüre „Islam for Dummies“ bei Amazon bestellt haben. | |
Wir müssen uns gemeinsam fragen, was hier schiefgelaufen ist. Warum halten | |
junge Menschen, vor allem Männer, den Weg in den Dschihadismus für eine | |
legitime Option? Was ist daran attraktiv? So etwas macht man nicht aus | |
Verbundenheit mit der islamischen Tradition. Gerade sie wird von | |
Dschihadisten durch den Rückgriff auf einen angeblichen Urislam entschieden | |
negiert. | |
Wenn wir glauben, das Problem ließe sich lösen, indem die Muslime sich | |
fleißig von den Gräueltaten anderer Muslime distanzieren, schaffen wir kein | |
„neues deutsches Wir“, sondern ein noch ausgeprägteres Ihr. Was hier im | |
Moment geschieht, ist nicht Birlikte, sondern die erneute Ausgrenzung. Nach | |
dem Motto: Erbringt gefälligst einen Beweis, dass ihr zu uns gehört. | |
22 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Katajun Amirpur | |
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