# taz.de -- Experte über Islamistischen Terror: „Es geht darum, Furcht einzu… | |
> In seinem Buch analysiert Peter Neumann die Gefahren durch Dschihadisten. | |
> Er sieht das europäische Gesellschaftsmodell bedroht. | |
Bild: Spanisches Sicherheitspersonal trägt Kartons mit Beweisen im Fall einer … | |
taz.am wochenende: Herr Neumann, in Ihrem neuen Buch schreiben Sie, Europa | |
stehe vor einer neuen fünften Welle des Terrorismus. Was heißt das? | |
Peter Neumann: In den vergangenen Jahren hat der Konflikt in Syrien und im | |
Irak sehr viele Menschen mobilisiert, 4.000 Westeuropäer sind in diese | |
Länder ausgereist. Das sind weit mehr als in allen Konflikten zuvor | |
zusammen. Gleichzeitig hat sich in Europa eine salafistische Gegenkultur | |
entwickelt, die viele Leute begeistert und die mit dem Kampf in Syrien | |
sympathisiert und ihn zum Teil unterstützt. Das zusammen ist eine neue | |
Qualität. | |
Mit Bezug auf den Historiker David Rapoport sprechen Sie von vier | |
zyklischen Wellen des Terrorismus: die anarchistische Welle Ende des 19. | |
Jahrhunderts, die antikolonialistische ab den 30er Jahren, die Neue Linke, | |
die aus den 68er Bewegungen hervorgegangen ist, und die religiöse Welle. | |
Ist Letztere vorbei? | |
Die religiöse Welle begann Ende der 70er Jahre mit der Islamischen | |
Revolution im Iran, dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan und dem | |
daraus resultierenden Konflikt. 2010/2011 kam sie zum Ende. Nach dem Tod | |
Bin Ladens gingen alle davon aus, dass dies das Ende von al-Qaida ist, | |
möglicherweise auch das Ende des Dschihadismus. Doch diese Welle hat sich | |
erneuert. | |
Was ist das Neue an dieser fünften Welle? | |
Wir haben eine viel größere Mobilisierung. Diese Leute können sich aller | |
Mittel der Globalisierung bedienen, das Internet ist ein wichtiger Faktor. | |
Und es gibt den IS, der tatsächlich einen Staat geschaffen und damit eine | |
dschihadistische Utopie verwirklicht hat. | |
Aus Ihrer Sicht birgt diese fünfte Welle für Europa die größte | |
terroristische Gefahr, die es je gab. Warum? In Deutschland war bislang ein | |
islamistischer Anschlag mit zwei Toten aus Sicht der Attentäter | |
erfolgreich. Allein die Mordserie der rechtsradikalen Terrorgruppe NSU hat | |
zu einem Vielfachen an Opfern geführt. | |
Bei Terrorismus geht es nicht in erster Linie darum, möglichst viele | |
Menschen umzubringen. Es geht darum, Furcht einzuflößen. Der IS hat | |
verstanden, dass dafür kein möglichst komplexer Anschlag wie am 11. | |
September nötig ist. Mit einem einzelnen grausamen Mord, den man | |
aufzeichnet, kann man genauso viel Furcht verbreiten. Ich befürchte, dass | |
wir von solchen Anschlägen mehr sehen werden. Sie würden die Angst vor dem | |
Islam hochschaukeln. Extrem Rechte könnten das ausnutzen. Ein aggressiver | |
Kulturnationalismus, der sich in Gruppen wie Pegida ausdrückt, würde sich | |
ausbreiten. 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung sind dafür ansprechbar. | |
Rechte Parteien könnten wie in Schweden oder Frankreich zu den stärksten | |
Parteien werden und Minderheiten wie Juden oder Muslime sich hier nicht | |
mehr wohl fühlen. Das ist die Bedrohung. Das europäische | |
Gesellschaftsmodell steht auf dem Spiel. | |
Sie beobachten die Auslandskämpfer online. Kann man auf dieser Grundlage | |
die Gefahr einschätzen? | |
Leute, die nach Syrien und in den Irak gehen, bestücken von dort ihre | |
Onlineprofile weiter. Manche berichten von ihren täglichen Erfahrungen fast | |
wie in einem Tagebuch. Wir haben inzwischen einen Datensatz von 700 | |
Onlineprofilen von Kämpfern aus dem Westen, mit 100 von ihnen stehen wir | |
über Skype, Facebook, Whatsapp und anderen Messengerdiensten in Kontakt. | |
Diese Online-Kommunikation hat einen Vorteil: Sie dauert oft über Monate, | |
da kann ein Vertrauensverhältnis entstehen. | |
Gibt es ein Hauptmotiv, das zur Ausreise führt? | |
Anfangs war das sicher der Kampf gegen Assad – die Idee, dass an den | |
Sunniten ein Genozid verübt wird und niemand hilft. Ab Mitte 2014, als das | |
Kalifat ausgerufen wurde, gingen Leute, die zum Teil schon jahrelang in der | |
salafistischen Szene aktiv waren und die im Kalifat leben wollten. Die sind | |
extremistischer als die erste Gruppe. Und die dritte Gruppe sind die, die | |
von der dschihadistischen Gegenkultur begeistert sind, von Rebellion. Das | |
sind zum Teil sehr junge Leute. Viele wollen dann schnell wieder zurück, | |
aber das ist lebensgefährlich. | |
Wie gefährlich sind diese Rückkehrer? | |
Das ist sehr schwer zu sagen. Es gibt zwei Studien zu früheren Konflikten, | |
die besagen, dass nach der Rückkehr 75 beziehungsweise 89 Prozent im | |
Herkunftsland nicht terroristisch aktiv geworden sind. Wichtig ist, dass | |
man zwischen unterschiedlichen Gruppen unterscheidet. Es gibt zweifellos | |
gefährliche Rückkehrer, das ist eine Minderheit, es gibt Desillusionierte | |
und Traumatisierte, die brauchen psychologische Unterstützung. Aber bei den | |
meisten ist es noch nicht klar, wie es weitergeht. Man kann nicht alle | |
anklagen und einsperren, das überfordert die Sicherheitsbehörden und macht | |
auch keinen Sinn. Deshalb ist Deradikalisierungsarbeit sehr wichtig. Dafür | |
brauchen wir ein nationales Aktionskonzept. | |
26 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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