# taz.de -- Samar Yazbek über Bürgerkrieg in Syrien: „Man arrangiert sich m… | |
> Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek ging für ihr Buch „Die | |
> gestohlene Revolution“ in die Hochburgen des Widerstands gegen Assad. | |
Bild: „Sie leben mit dem Tod, aber lieben das Leben“: Samar Yazbek über de… | |
Unter Lebensgefahr begibt sich die Publizisten Samar Yazbek drei Mal in den | |
syrischen Untergrund. Die Autorin reist heimlich in die von Rebellen | |
gehaltenen Gebiete im Norden Syriens. Sie will Teil einer demokratischen | |
Revolution sein, deren Strukturen mittlerweile in der Zangenbewegung | |
zwischen dem Regime des syrischen Diktators Assad und den aufkommenden | |
Islamisten drohen zerrieben zu werden. Der Westen zögert weiterhin, die | |
syrische Revolution mit der Freien Syrischen Armee entschieden zu | |
unterstützen, kann auch nicht Putin und die russische Luftwaffe in die | |
Schranken weisen. | |
Samar Yazbeks Buch „Die gestohlene Revolution. Reise in mein zerstörtes | |
Syrien“ ist ein eindrückliches Dokument, dem Freiheitskampf und | |
Freiheitswillen der Menschen in Syrien gewidmet. Ein großer Reisebericht, | |
der auch detailliert beschreibt, wie das Zaudern des Westens im | |
Zusammenspiel mit Assads Terror den Islamisten in die Hände spielt. | |
taz am Wochenende: Frau Yazbek, Sie erlebten 2011 den demokratischen | |
Aufstand gegen Assad in Syrien. Als prominente Publizistin in Damaskus | |
wurden Sie vom Regime bedroht, mussten fliehen. Sie gingen zusammen mit | |
Ihrer Tochter ins Exil nach Frankreich. Seither kehrten Sie mehrere Male | |
undercover in die von den Rebellen befreiten Gebiete nach Syrien zurück. | |
Warum setzten Sie sich einer solchen Gefahr aus? | |
Samar Yazbek: Als ich 2011 das Land verließ, dachte ich, es würde ein paar | |
Monate, vielleicht ein Jahr dauern, bis Assad gestürzt sei. Ich wollte, | |
sobald möglich, in mein Land zurück, wollte als Schriftstellerin sehen und | |
dokumentieren, was in Syrien geschieht. Ich wollte aber auch helfen, das | |
Land wieder aufzubauen, die Zivilbevölkerung in den befreiten Gebieten | |
unterstützen. Ich habe eine Hilfsorganisation gegründet, für Projekte von | |
Frauen und Kindern in Syrien. Ich wollte nicht fernab des Geschehens im | |
Pariser Exil sitzen. Also suchte ich nach einer Möglichkeit, dauerhaft in | |
die befreiten Gebiete zu gehen, nach Syrien zurückzukehren. Doch nachdem | |
die islamistischen Gruppierungen und der IS in diese Regionen eingesickert | |
sind, musste ich feststellen, dass dies für mich völlig unmöglich ist. Seit | |
2014 befinde ich mich nun in einer absoluten Exilsituation. | |
Wie reisten Sie zuvor denn illegal nach Syrien ein? | |
2012 und 2013 waren die Grenzen zur Türkei noch relativ offen. Nicht | |
offiziell, aber es herrschte ein reges Kommen und Gehen zwischen der Türkei | |
und Syrien. Illegale Kämpfer in die eine, Zivilisten oder Flüchtlinge in | |
die andere Richtung. Ich sah islamistisch aussehende Kämpfer, die die | |
Türkei ohne größere Umstände nach Syrien passieren ließ. Bei meiner dritten | |
Reise, sah ich sogar Dschihadisten, die bereits auf türkischer Seite der | |
Grenze volle Kampfmontur trugen. Ich war schockiert, wie viele Islamisten | |
aus Jemen, Tunesien, Frankreich oder Saudi-Arabien so ohne Probleme über | |
die Türkei nach Syrien gekommen sind. | |
Und wie haben Sie selber die türkische Grenze nach Syrien passiert? | |
Zu Beginn der syrischen Revolution gab es viele friedliche Aktivisten. Mit | |
denen habe ich zusammengearbeitet. Von Paris aus hielt ich den Kontakt und | |
organisierte so meine Einreise über den Norden des Landes. Ich wollte an | |
der Revolution aktiv teilnehmen, helfen, sie zu Ende zu bringen. 2012 waren | |
die Dschihadisten unter den Kämpfern klar in der Minderheit. Die Regionen, | |
die ich bereiste, wurden von der Freien Syrischen Armee gehalten. Die Freie | |
Syrische Armee (FSA) glaubte an den demokratischen Wandel, an ein | |
umfassendes nationales Projekt. Sie schützte die Zivilisten vor Assads | |
Truppen, Islamisten und Kriminellen. Ich reiste über Istanbul in die | |
Grenzregion bis nach Antakya und ging dort heimlich über die Grenze von der | |
Türkei nach Syrien. | |
Über Ihre insgesamt drei Reisen führten Sie Tagebuch. Sie bereisten | |
aufständische Provinzen wie den Bezirk Idlib. Einmal notieren Sie für eine | |
Provinzstadt in der Region Idlib: „In Sarakeb gab es etwa 19 | |
dschihadistische Kämpfer unter insgesamt 750, doch nach jedem Massaker der | |
Regierungstruppen wurden es mehr.“ War das wirklich so? | |
2012 gelangten die ersten Kämpfer aus dem Ausland nach Syrien. Die | |
Bevölkerung und die Freie Syrische Armee ließen die Dschihadisten aber | |
nicht in ihre Städte und Dörfer hinein. Die Dschihadisten begannen sich | |
also zunächst um die Orte herum zu stationieren. Bevölkerung und FSA hatten | |
in den befreiten Gebieten noch das Sagen. Aber das Assad-Regime | |
bombardierte pausenlos aus der Luft. Die FSA bekam viel zu wenig | |
Unterstützung aus dem Ausland. Sie hat bis heute keine Flugabwehr, um die | |
Bevölkerung gegen den Terror Assads aus der Luft zu schützen. Die Rebellen | |
der FSA verkauften oftmals ihren ganzen Besitz, Schmuck, Häuser, Land, um | |
den Widerstand zu finanzieren. Die Dschihadisten hatten hingegen jede Menge | |
Waffen und Geld. Und so bekamen sie mit der Zeit immer mehr Zulauf. Die | |
unabhängigen, demokratischen Anführer des Widerstands und der FSA hingegen | |
wurden gezielt verschleppt und ermordet. Das Assad-Regime setzt alles | |
daran, den nationalen demokratischen Aufstand in eine ethnische und | |
religiöse Auseinandersetzung zu verwandeln. | |
Sie beschreiben in Ihrem Buch eine relativ schnelle Veränderung der | |
Situation in den befreiten Gebieten. Unter den Luftschlägen Assads geriet | |
die Freie Syrische Armee seit 2013 deutlich ins Hintertreffen. | |
Die ins Land strömenden Dschihadisten waren auch eine Antwort auf den | |
Terror des Regimes, auf die Unterstützung Assads durch ausländische Akteure | |
wie die libanesische Hisbollah, die iranischen Gardisten oder das russische | |
Militär. Assad hofft weiterhin darauf, den ursprünglich demokratischen | |
Aufstand gegen sein Regime, als Religionskonflikt zwischen Sunniten und | |
Schiiten/Alawiten darstellen zu können. | |
Schon bei Ihrer zweiten Reise im Februar 2013 notieren Sie: „Es gibt jetzt | |
mehr Diebe als Revolutionäre.“ Wie hatte sich die Situation verändert? | |
Im Krieg kommt es immer zum Chaos. Es entstehen Söldnergruppen, die vom | |
Krieg leben. Ich habe nur mit Leuten zusammengearbeitet, denen ich | |
vertrauen konnte, Menschen, die ich schon vorher kannte. Viele von ihnen | |
mussten inzwischen selber das Land verlassen oder sind tot. Ich reiste | |
unter falschen persönlichen Angaben, war zu meiner Sicherheit komplett | |
verschleiert und trug auch noch eine Brille. Niemand außer meinen | |
Kontaktpersonen sollte wissen, wer ich wirklich war. | |
Sie beklagen die Untätigkeit der Weltgemeinschaft, des Westens, und | |
notieren an einer Stelle: „Man will uns als Wilde sehen, als Islamisten, um | |
uns nicht helfen zu müssen.“ Und an anderer Stelle: „Wir haben die | |
Revolution begonnen und nun wird sie von den Gotteskriegern übernommen.“ | |
Gab es Ihrer Meinung nach eine Situation, wo man stärker intervenieren | |
hätte können in Syrien? | |
Ich glaube, dass die Weltgemeinschaft und die Staaten in der Region nur | |
versucht haben, ihre eigenen kurzsichtigen Interessen zu verteidigen. Und | |
sich niemand wirklich dafür interessiert, was in Syrien passiert. Welche | |
Verbrechen das Regime begeht und begangen hat. All die Massaker, darunter | |
sogar Angriffe mit Chemiewaffen, denen die Menschen zu Hunderten und | |
Tausenden zum Opfer fielen. Die amerikanische Regierung und Präsident Obama | |
drohten Assad, dass der Einsatz von Chemiewaffen das Überschreiten der | |
roten Linie bedeuten würde. Doch als Assad sie überschritt, geschah nichts. | |
Warum war das Ihrer Meinung nach so? | |
Das iranisch-amerikanische Atomwaffenabkommen schien wohl wichtiger und | |
sollte nicht gefährdet werden. Russen und Golfstaaten verfolgen zudem ihre | |
eigenen Machtinteressen in der Region. Die Vereinten Nationen sowie der | |
Internationale Strafgerichtshof wissen, was in Syrien tagtäglich passiert. | |
Die Massaker, die das Assad-Regime zu verantworten hat. Trotzdem wird eher | |
über den Terror der IS-Miliz gesprochen. | |
Wie stark ist die Freie Syrische Armee heute noch? Was ist nach vier Jahren | |
Bombardierung und der Zangenbewegung von Dschihadisten und Assad-Regime an | |
Zivilgesellschaft und demokratischer Struktur noch übrig? | |
Die Freie Syrische Armee ist heute stark geschwächt. Sie hat keine | |
ausreichende Finanzierung, sie hat keine geeigneten Waffen. Sie war die | |
Kraft, die die Städte und Dörfer befreit hat. Aber danach wurden sie und | |
ihre Gebiete pausenlos bombardiert. In viele der zerstörten Gebiete sind | |
heute IS und andere Islamisten-Gruppen eingedrungen und herrschen teilweise | |
nun dort. Viele FSA-Kämpfer sind gefallen. Andere mussten sich aus Not den | |
finanzkräftigen Dschihadisten anschließen. Das ist je nach Region aber sehr | |
unterschiedlich. Bürgeraktivisten, die fotografieren, recherchieren und | |
dokumentieren, sind bevorzugte Zielscheibe beider Seiten: Den Islamisten | |
wie dem Assad-Regime sind sie ein Dorn im Auge. Es gibt nur noch wenige | |
Bürgeraktivisten, die vor Ort ausharren. Sie sind von Entführungen bedroht. | |
Viele verschwanden, tauchten nie wieder auf. | |
Wie verhält sich denn die Zivilbevölkerung gegenüber den neuen Kräften, | |
sofern sie überhaupt noch am Ort ist? | |
Angesichts eines Alltags, der daraus besteht, dass man bombardiert, | |
vergewaltigt, vertrieben oder getötet wird, haben die Syrer anfangs die | |
Islamisten zum Teil begrüßt. Mittlerweile sind diese aber wie eine | |
Besatzungsmacht geworden. Doch was sollen die Syrer tun? Aus der Luft | |
werden sie bombardiert, am Boden sind die Dschihadisten. Auf den Terror | |
Assads und seiner Geheimdienste folgt der religiöse Extremismus. | |
Assad verfolgt in den aufständischen Gebieten eine Politik der verbrannten | |
Erde. Sie selber kamen oft in lebensbedrohliche Situationen. Sie schildern, | |
wie Sie und Ihre Begleiter fast von einer Fassbombe erledigt wurden. | |
Dennoch gibt es den fast schon grotesk anmutenden Versuch, zivile Projekte | |
fortzusetzen, die Sie unterstützen, wie diesen Schönheitssalon einer Frau | |
in einer Kleinstadt inmitten von Scharfschützen und Dauerbombardements. | |
Die Syrer lieben das Leben, sind ein zivilisiertes Volk, das in die Zukunft | |
blickt, Kunst und Schönheit verehrt und nun für die Demokratie gekämpft | |
hat. Wir reden jetzt von viereinhalb Jahren des täglichen Bombardements. Da | |
hat man sich natürlich irgendwie mit dem Tod arrangiert. Die Menschen | |
ziehen aus den zerstörten Häusern die Leichen heraus und versuchen danach, | |
weiterzuleben. Sie leben mit dem Tod, aber lieben das Leben. In einer | |
Situation, wo alltäglich der Tod droht, wächst auch die Intensität für die | |
Sehnsucht nach Liebe, nach Leben. So sind während des Kriegs auch die | |
Geburten auffällig angestiegen. Die Frauen sehen die Zerstörung und wollen | |
dennoch, dass es eine Zukunft gibt. | |
Bei Ihrer dritten und letzten Reise dokumentieren Sie zusammen mit einer | |
Menschenrechtsgruppe die Schäden, die Assads Luftwaffe bei der | |
Bombardierung eines Krankenhauses angerichtet hat. Danach werden Sie | |
überfallen. Sie entkommen, aber Ihr Kollege, der polnische Fotograf Marcin | |
Suder, wird entführt. Was ist aus ihm geworden? | |
Er wurde später freigelassen. Man hat wahrscheinlich ein Lösegeld gezahlt. | |
Er lebt heute wieder in Polen. Er war sehr mutig, hat vieles fotografiert | |
und dokumentiert, ein ganz toller Mensch. Als der IS die Mediengruppe | |
angegriffen hat, wussten die nicht, wer ich war. Ich war tief verschleiert. | |
Sonst hätten sie mich auch mitgenommen. Entführungen sind Teil des | |
Kriegsgeschäfts. | |
Russland hilft Assad aus der Luft, Iran und Libanons Hisbollah stellen dem | |
Diktator Bodentruppen. Die Freie Syrische Armee ist geschwächt und dennoch | |
weiterhin bevorzugtes Ziel der Angriffe. Was kann man in dieser Situation | |
überhaupt machen, müsste man nicht eine Flugverbotszone gegen Assad und | |
Russen durchsetzen? | |
Ich bin für eine politische Lösung. Doch die jetzige Flüchtlingskrise, die | |
inzwischen Deutschland erreicht hat, ist auch eine Konsequenz des | |
Schweigens der Welt gegenüber Assads Verbrechen. Weder Assad noch Putin, | |
noch Iran wollen eine politische Lösung. Um das tägliche Bombardement der | |
Zivilbevölkerung aus der Luft nach jetzt über vier Jahren zu stoppen, fehlt | |
weltweit der Wille. Der Anti-IS-Kampf ist von Russland und Assad nur | |
vorgeschoben. Ihre ersten Feinde sind und bleiben die Aktivisten und | |
Freiheitskämpfer. Ich empfinde den IS und seinen Terror ebenfalls als reale | |
Bedrohung. Doch ist er ursächlich mit den Verbrechen des Assad-Regimes | |
verbunden. | |
Kann es mit Assad überhaupt eine Lösung geben? | |
Man sollte nichts unversucht lassen, um das Töten in Syrien zu beenden. Das | |
halbe syrische Volk ist nicht mehr da, aber der Diktator ist es noch. Ich | |
glaube aber nicht, dass es eine Einigung, eine Übergangsregierung mit Assad | |
geben kann. Und solange der Diktator die eigene Bevölkerung bombardieren | |
darf, wird man auch den IS nicht erfolgreich bekämpfen können. IS und Assad | |
sind die beiden verschiedenen Seiten derselben Medaille. | |
Woher kriegen Sie im Moment Ihre Informationen, reisen können Sie ja nicht | |
mehr? | |
Skype, Internet, das funktioniert ja weiterhin. Fragen Sie mich nicht, wie. | |
Die Büros werden bombardiert, aber zwei, drei Tage später schaffen die es | |
irgendwie, dass eine Verbindung da ist. Eine Sisyphusarbeit. | |
Aus dem Arabischen übersetzt von Larissa Bender | |
16 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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