| # taz.de -- Flüchtlingspolitik in Deutschland: 475 Stimmen für schärferes As… | |
| > Der Bundestag hat die Asylregeln verschärft und Asylverfahren | |
| > beschleunigt. Seehofer forderte zuvor im Landtag Taten. Merkel blieb bei | |
| > ihrem Kurs. | |
| Bild: Nicht nur grafisch gespalten: Merkel und Seehofer. | |
| Berlin/München dpa/afp | Als Reaktion auf die Flüchtlingskrise hat der | |
| Bundestag am Donnerstag ein umfassendes Maßnahmenpaket verabschiedet. Damit | |
| sollen die Asylregeln verschärft, die Verfahren beschleunigt und ein | |
| zügiger Bau von Unterkünften möglich werden. Vorgesehen sind zudem | |
| Milliardenhilfen des Bundes für Länder und Kommunen. Mit Ja stimmten 475 | |
| Abgeordnete, mit Nein 68. 57 Parlamentarier enthielten sich. | |
| In den Erstaufnahmeeinrichtungen sollen Bargeldzahlungen wie das | |
| Taschengeld durch Sachleistungen ersetzt werden. Wer aus wirtschaftlichen | |
| Gründen, aber nicht wegen politischer Verfolgung oder Krieg einreist, soll | |
| schneller abgeschoben werden. Für abgelehnte und ausreisepflichtige | |
| Personen, die einen Termin zur freiwilligen Ausreise haben verstreichen | |
| lassen, sind Leistungskürzungen geplant. | |
| Menschen, die in Deutschland bleiben dürfen, erhalten aber schneller Zugang | |
| zu Integrationskursen sowie zum Arbeitsmarkt. Darüber hinaus werden mit dem | |
| Asylgesetz die Westbalkanstaaten Albanien, Kosovo und Montenegro als | |
| sichere Herkunftsstaaten eingestuft, um die Asylverfahren zu beschleunigen. | |
| ## „Politische Äußerung für die Weltöffentlichkeit“ | |
| Zuvor hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident | |
| Horst Seehofer in Regierungserklärungen sehr unterschiedliche Akzente in | |
| der Flüchtlingspolitik gesetzt. Die CDU-Vorsitzende warb am Donnerstag im | |
| Bundestag für Asylverschärfungen einerseits und eine grundsätzliche | |
| Aufnahmebereitschaft andererseits. Der CSU-Chef verlangte dagegen von | |
| Merkel eine „politische Äußerung für die Weltöffentlichkeit“, damit der | |
| Andrang von Migranten abebbt. | |
| Die Kanzlerin müsse klarmachen, „dass auch für ein reiches Land wie | |
| Deutschland Grenzen der Zuwanderung bestehen und wir nicht alles bei uns | |
| aufnehmen können, was zu uns kommt“, sagte Seehofer im Landtag in München. | |
| Er forderte die Regierung zum Handeln auf: „Was die Menschen jetzt | |
| brauchen, sind Taten.“ Statt schlauer Sprüche oder „warmer Worte“ brauche | |
| man einen klugen Kompass und klares Handeln – vor allem eine Begrenzung der | |
| Zuwanderungszahlen. „Ohne Begrenzung der Zuwanderung werden wir als | |
| staatliche Gemeinschaft in Deutschland und Europa grandios scheitern“, | |
| betonte Seehofer. „Ohne Begrenzung der Zuwanderung werden wir unabsehbare | |
| Sicherheitsprobleme bekommen.“ | |
| Die Regierungserklärungen in Berlin und München waren auch angesichts der | |
| großen Unruhe in den Unionsparteien mit Spannung erwartet worden. Erst am | |
| Mittwochabend war Merkel bei einer CDU-Veranstaltung im sächsischen | |
| Schkeuditz Unverständnis und Unmut der Parteibasis über ihre großzügige | |
| Flüchtlingspolitik entgegengeschlagen. In der Wählergunst sind CDU und CSU | |
| nach einer aktuellen Umfrage auf den tiefsten Stand seit der Bundestagswahl | |
| 2013 gefallen. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, käme die Union im neuen | |
| Insa-Meinungstrend auf nur noch 38 Prozent. Bei der Bundestagswahl hatten | |
| CDU/CSU zusammen 41,5 Prozent der Wählerstimmen geholt. | |
| Im Bundestag warb Merkel vor diesem Hintergrund auch vehement für | |
| Asylverschärfungen, die das Parlament möglichst breit beschließen solle. | |
| Menschen ohne Asylanspruch müssten das Land schneller verlassen, | |
| Schutzbedürftige bekämen durch die Gesetzespläne dagegen effizientere | |
| Hilfe, sagte sie. Die Kanzlerin mahnte ein „gemeinsames Handeln aller | |
| Ebenen“ an. Doch betonte sie auch: „Abschottung im 21. Jahrhundert des | |
| Internets ist auch eine Illusion.“ Dies sagte sie offenkundig in Richtung | |
| parteiinterner Kritiker, die Grenzschließungen fordern. Kriege und Krisen | |
| gelangten „immer häufiger direkt vor unsere Haustür“. | |
| ## Seehofer: Bund ist allein an allem schuld | |
| Der CSU-Chef schob Merkel und der Regierung in Berlin – an der die CSU | |
| beteiligt ist – die volle politische Verantwortung zu. „Für die Zuwanderung | |
| und ihre Grundlagen ist alleine der Bund zuständig“, sagte er. „Und wenn | |
| der Bund nicht handelt, wir aber vor Ort die realen Auswirkungen haben, | |
| dann trägt der Bund für alle Komplikationen der Gegenwart und Zukunft die | |
| politische Verantwortung.“ Der Bund müsse endlich auf die Signale hören, | |
| die vor allem aus den Kommunen kämen. Seit Anfang September bis zum 13. | |
| Oktober seien fast 300.000 Flüchtlinge in Bayern angekommen. Wenn die | |
| Politik keine Grenzen setze, würden die Menschen der Politik Grenzen setzen | |
| – „und zwar durch Entzug des Vertrauens“. | |
| Merkel räumte ein, so wichtig die am Freitag auch dem Bundesrat | |
| vorliegenden Asylgesetzänderungen seien – zur Lösung der Flüchtlingskrise | |
| reichten die Schritte nicht aus. „Dafür braucht es mehr.“ Weitere | |
| Gesetzesänderungen müssten folgen, so die Kanzlerin. | |
| Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht hat der Bundesregierung | |
| „eklatantes Staatsversagen“ in der Flüchtlingskrise vorgeworfen. Nicht erst | |
| seit der hohen Zahl von Flüchtlingen fehle es an Wohnraum und an Lehrern in | |
| Deutschland, sagte Wagenknecht am Donnerstag im Bundestag. Die Kommunen | |
| bräuchten mehr Geld. „Die 100. Wiederholung des ‚Wir schaffen das‘ hilft | |
| dem Bürgermeister mit Haushaltsnotstand nicht“, sagte Wagenknecht in ihrer | |
| ersten Rede als Fraktionsvorsitzende. | |
| „Natürlich können wir es schaffen, Deutschland ist ein reiches Land“, fü… | |
| Wagenknecht hinzu. „Aber dann muss man auch den Mut haben, das Geld bei den | |
| Reichen zu holen und nicht nur bei den Armen.“ Sie verwies zugleich darauf, | |
| dass es auch Einheimische in Notlagen gebe – etwa Alleinerziehende, die auf | |
| die Lebensmittel der Tafeln angewiesen seien oder Menschen, die unter | |
| Altersarmut litten. „All diese Notsituationen lassen Sie zu, seit vielen | |
| Jahren mit einem ziemlich ungerührten Gesicht“, warf Wagenknecht der | |
| Kanzlerin vor. | |
| Wer selbst von Zukunftsangst gequält sei, sei selten bereit, anderen mit | |
| offenen Armen eine Perspektive zu geben, fügte Wagenknecht hinzu. „Nehmen | |
| Sie endlich Ihre Verantwortung wahr, statt zuzulassen, dass AfD, Pegida und | |
| Co dort ernten gehen, wo sie Spannungen und Überforderung gesät haben.“ | |
| ## Göring-Eckardt kritisiert Uneinigkeit der Union | |
| Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt rief die Union auf, die | |
| Flüchtlingskrise beherzter anzugehen. Es wundere sie, dass die Union | |
| ausgerechnet jetzt „in eine Identitätskrise gerät“, sagte sie in der | |
| Debatte mit Blick auf die unionsinterne Kritik am Kurs Merkels. „Kommen Sie | |
| raus aus der Angstecke“, appellierte Göring-Eckardt an die Union. Wenn sich | |
| die Politik zum „Anwalt der Angst“ mache, „haben wir in der Tat ein groß… | |
| Problem“. | |
| Es gelte, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern, „und nicht den | |
| einen gegen den anderen aufzubringen“, sagte Göring-Eckardt. Sie | |
| kritisierte in diesem Zusammenhang auch Wagenknechts Äußerungen zum | |
| möglichen Auftrieb rechter Kräfte wie Pegida. Sie verurteilte aber zugleich | |
| Äußerungen der Bundesminister für Inneres und Finanzen, Thomas de Maizière | |
| und Wolfgang Schäuble (beide CDU), als „Diffamierung“. De Maizière hatte | |
| beklagt, dass Flüchtlinge in Deutschland das Geld für weite Taxifahrten | |
| hätten, Schäuble hatte eine Kürzung des Hartz-IV-Satzes für Flüchtlinge ins | |
| Gespräch gebracht. | |
| Der Bundestag sollte im Anschluss über das Asyl-und Flüchtlingspaket der | |
| Bundesregierung entscheiden. Dieses sieht eine Reihe von Verschärfungen und | |
| Leistungskürzungen im Asylrecht sowie eine Beschleunigung der Verfahren | |
| vor. Auf der anderen Seite werden Integrationsangebote für Flüchtlinge mit | |
| guter Bleibeperspektive ausgebaut. Der Bund will Ländern und Kommunen zudem | |
| mehr Geld für die Versorgung der Flüchtlinge geben. | |
| 15 Oct 2015 | |
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